Überfälliger Schritt zu mehr Selbstbestimmung

BERLIN. (HU) Die Humanistische Union begrüßt das Vorhaben einer gesetzlichen Regelung

der Patientenverfügung  als Schritt in die richtige Richtung zu mehr Selbstbestimmung für kranke und sterbewillige Menschen

 

Die Humanistische Union begrüßt den Gesetzentwurf zur Änderung des Betreuungsrechts (BT-Drs. 16/8442) als ersten Schritt zu mehr Selbstbestimmung kranker und sterbewilliger Menschen. Die Vorsitzende der Bürgerrechtsorganisation, Prof. Dr. Rosemarie Will, sieht in dem Entwurf eine überfällige Klarstellung: "Obwohl Patientenverfügungen immer populärerer werden, fehlt es bis heute an einer gesetzlichen Regelung. Der Gesetzgeber ist bisher blind geblieben vor dem existenziellen Problem des Sterbens und hat damit zur Tabuisierung dieses Themas beigetragen. Eine gesetzliche Regelung von Patientenverfügungen, aber auch der Sterbehilfe, ist dringend geboten." Das bisher geltende Richterrecht sei unübersichtlich, in sich widersprüchlich und führe immer wieder dazu, dass sich Sterbende, ihre Angehörigen oder die behandelnden Ärzte und Pfleger in entscheidenden Situationen mit Rechtsstreitigkeiten oder gar Rechtsverweigerungen konfrontiert sehen. "Die gesetzliche Anerkennung der Bindungswirkung von Patientenverfügungen ist ein erster Schritt, um in unserer Gesellschaft endlich Rechtssicherheit für Sterbende herzustellen", so Rosemarie Will. Sie betont, dass die Achtung ihrer freien Entscheidung für die betroffenen Menschen genauso wichtig ist wie ärztliche Fürsorge und Hilfe.

Die Humanistische Union unterstützt die Klarstellung im Gesetzentwurf (§ 1901a Abs. 1 BGB), dass Patientenverfügung unabhängig vom Krankheitsverlauf verbindlich sein sollen. "Das Recht auf Selbstbestimmung des Patienten darf es nicht nur bei irreversibel, tödlich verlaufenden Erkrankungen geben. Es gehört zu den Leistungen dieses Gesetzentwurfs, dass er keinerlei Reichweitenbeschränkungen für die Geltung einer Patientenverfügung vornimmt." Dadurch würde er jene Rechtsunsicherheit ausräumen, die nach dem Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 17. März 2003 entstanden ist. Die Bundesvorsitzende der Humanistischen Union weist darauf hin, dass jede andere Lösung, die die Wirksamkeit von Patientenverfügungen auf bestimmte Krankheitsphasen einschränken würde, mit den Vorstellungen eines freien, nicht bevormundeten Patienten unvereinbar sei.

Die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen sieht die Humanistische Union jedoch nur als einen Aspekt für die rechtlichen Rahmenbedingungen eines humanen Sterbens an. Rosemarie Will weist in diesem Zusammenhang auf weitergehenden Regelungsbedarf hin: "Der von Joachim Stünker vorgelegte Entwurf beschränkt sich leider auf zivilrechtliche Regelungen, die das Verhältnis zwischen Betreuer/Bevollmächtigten und Betreutem betreffen. Er bleibt damit hinter unseren Erwartungen, aber auch hinter den schon lange in der Öffentlichkeit diskutierten Entwürfen zurück." Im Unterschied zum Vorschlag der so genannten Kutzer-Kommission verschlechtert der Entwurf die Stellung des selbst ausgewählten Bevollmächtigten. "Darüber hinaus fehlt dem heute beratenen Entwurf die längst überfällige Klarstellung im Strafrecht, wie sie auch der Deutsche Juristentag 2006 mit großer Mehrheit gefordert hatte."

Die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union setzt sich seit 1978 für die Anerkennung von Patientenverfügungen ein und hat 1984 einen der ersten Mustertexte für die Bundesrepublik Deutschland entwickelt. Im vergangenen Jahr hat die HU einen eigenen Gesetzentwurf zur Freigabe aktiver Sterbehilfe und der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen erarbeitet.

Weitere Informationen zur bisherigen Rechtssprechung über Patientenverfügungen.

Sven Lüders

 

Anhang:

Gesetzentwurf der Humanistischen Union für die Anerkennung von Patientenverfügung und das Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Beschluss der 20. Delegiertenkonferenz der Humanistischen Union am 22./23.9.2007 in Hannover

Die Humanistische Union spricht sich für die uneingeschränkte Anerkennung von Patientenverfügungen, für passive und aktive Sterbehilfe aus. Um die strafrechtliche Freistellung der aktiven Sterbehilfe zu erreichen, fordert die Humanistische Union folgende Neufassung des § 216 Strafgesetzbuch:
§ 216 Strafgesetzbuch ("Tötung auf Verlangen")"Nicht rechtswidrig sind Handlungen in Fällen 1. des Unterlassens oder Beendens einer lebenserhaltenden medizinischen Maßnahme, wenn dies dem Willen des Patienten entspricht, 2.der Anwendung einer medizinisch angezeigten leidmindernden Maßnahme, die das Leben als nicht beabsichtigte Nebenwirkung verkürzt, 3. einer Tötung auf Grund des ausdrücklichen und ernstlichen Verlangens des Getöteten."

Die Humanistische Union fordert darüber hinaus die uneingeschränkte
Anerkennung von Patientenverfügungen. Dafür schlägt sie folgende
gesetzliche Regelung vor: Bürgerliches Gesetzbuch: § 1901b Patientenverfügungen
"(1) Der Betreuer hat den in einer Patientenverfügung geäußerten Willen des Betreuten zu beachten. Liegt eine Patientenverfügung über die Einwilligung oder die Verweigerung der Einwilligung in bestimmte ärztliche oder pflegerische Maßnahmen vor, die auf die konkrete Entscheidungssituation zutrifft, so gilt die Entscheidung des Betreuten nach Eintritt der Äußerungsunfähigkeit fort. Dem Betreuer obliegt es, diese Entscheidung durchzusetzen. Das gilt auch dann, wenn die Erkrankung noch keinen tödlichen Verlauf genommen hat.
(2) Der Absatz 1 gilt auch für Bevollmächtigte, soweit der Vollmachtgeber nichts anderes bestimmt hat."

Um die Gleichstellung der Patientenverfügung mit anderen Voraus-Verfügungen zu verdeutlichen, soll § 130 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches durch folgenden Satz 2 ergänzt werden: "Dies gilt auch für eine Patientenverfügung, in der der Patient die Einwilligung oder Verweigerung der Einwilligung in bestimmte ärztliche oder pflegerische Maßnahmen für den Fall seiner Äußerungsunfähigkeit erklärt hat."