Ein „abenteuernder Weltrevolutionär"

(hpd) Che Guevara ist auch und gerade heute „hip" und „in", findet man doch nicht selten sein Konterfei auf den T-Shirts Jugendlicher.

Doch was wissen diese von der historischen Person, dürfte ihnen Che doch mehr Polit-Mythos und Pop-Ikone sein?

 

Über den realen Ernesto Guevara will das voluminöse Buch des Historikers und Journalisten Gerd Koenen mit dem Titel „Traumpfade der Weltrevolution. Das Guevara-Projekt" informieren. Im Unterschied zu den zahlreichen Veröffentlichungen, die Che romantisieren und verklären, will er ein differenziertes und vielschichtiges Bild der interessanten und komplexen geschichtlichen Figur zeichnen. Dabei soll die politische Absicht Guevaras, eine Revolution gegen die USA zu einem weltweiten Flächenbrand auszuweiten und dabei einen „neuen Menschen" als kollektives und selbstloses Individuum hervorzubringen, ernst genommen werden. Immerhin habe diese Auffassung auch das Denken der Achtundsechziger geprägt, für die nach Koenen Che ihr erster Held war und blieb.

Das Buch gliedert sich in 28 Kapitel, die primär das Leben und Wirken Guevaras beschreiben, aber auch lange Ausführungen zu seiner aus der DDR stammenden Mitkämpferin Tamara Bunke und zur Person Fidel Castros und der politischen Entwicklung Kubas enthalten. Der Autor will hierbei den Kult und Mythos um die Figur des „Befreiungskämpfers" Guevara dekonstruieren: Bereits in jungen Jahren habe er beschlossen, gegen die imperialistische Macht der USA „als ein revolutionärer Don Quijote de la Serna zu Felde zu ziehen" (S. 56). Entgegen der Idealisierung seiner Person als Humanist sei Che bereits während der Kubanischen Revolution mit „eine sehr spezifischen Legierung von Enthusiasmus und Terror" (S. 180) gegen jede Abweichung und Disziplinlosigkeit vorgegangen. So verwundere es auch nicht, dass Guevara bei seinem Besuch in Moskau 1960 „für Stalin ... an der Kremlmauer Blumen" (S. 224) niederlegte. Er hatte für Koenen „Züge eines Masochisten und Puritaners" (S. 291) mit stark narzisstischen Zügen.

Kurzum, Che erscheint als Figur des „abenteuernden Weltrevolutionär" (S. 497), der aus ideologischer wie selbstverliebter Verbohrtheit die Bodenhaftung zur Wirklichkeit verloren habe. Betrachtet man sich das Leben und Wirken Guevaras kritisch, so kann man einer solchen Einschätzung durchaus zustimmen. Koenen arbeitet aber merkwürdigerweise die dafür bedeutsamen Aspekte trotz des mehr als sechshundertseitigen Textes nicht klar heraus: Sein Scheitern als Minister und Politiker in Kuba, sein Versagen als Guerilla-Kämpfer im Kongo und in Bolivien werden zwar thematisiert, aber nicht systematisch analysiert. Dies liegt zu großen Teilen daran, dass Koenen trotz seines gegenteiligen Anspruchs mehr Erzähler als Kritiker ist. So erklärt sich wohl auch, dass das titelgebende „Guevara-Projekt" und das Modell des „Neuen Menschen" nicht genauer untersucht werden. Darüber hinaus verärgert das Fehlen von Belegen für Informationen und Zitate. Gleichwohl handelt es sich um ein beachtenswertes Buch, wie jedes Werk, das einen historischen Mythos begründet kritisiert.

Armin Pfahl-Traughber

 

Gerd Koenen, Traumpfade der Weltrevolution. Das Guevara-Projekt, Köln 2008 (Kiepenheuer & Witsch), 602 S., 24,95 €