Pro Reli argumentiert irreführend

BERLIN. (hpd) In der offiziellen Begründung von Pro Reli, die den Bürgerinnen und Bürgern in die Hand gegeben wird, um Sie zu überzeugen, in einer Volksabstimmung für den Gesetzentwurf zu votieren, befinden sich einige wichtige Aussagen, in denen Pro Reli „irreführend“ und „verschleiernd“ argumentiert. Dies geht aus einer Analyse hervor, die Lina Fröhlich erstellt und „Pro Ethik“ zugesandt hat.

Die Autorin studiert Ethik als Lehramt im 3. Semester. Unter anderem schreibt sie: „Mir fällt auf, dass viele Menschen wirklich gar nicht WISSEN, was ein getrennter Unterricht zur Folge haben würde und dass die Religion keineswegs durch Ethik verdrängt wird! Deshalb habe ich einige der Pro-Reli-Argumente klargestellt. [...] Pro Reli arbeitet mit verschleiernden und irreführenden Argumenten, da müssen wir die Berliner und Berlinerinnen mit der Wahrheit bedienen!“

Im Folgenden dokumentieren wir die Analyse der Studentin Lina Fröhlich:

Pro Ethik bedeutet nicht Contra Reli!

Im Zuge der Debatte um den Ethikunterricht und die Einrichtung eines Wahlpflichtfaches Ethik/Religion an Berliner Schulen gehen die Argumente wild durcheinander. Jedoch ist es notwendig, für Klarheit zu sorgen, denn viele Argumente sind falsch oder irreführend. Hier sollen fünf Punkte (zitiert von der Pro-Reli-Homepage: Download am 29.09.08, Zitate in Kursiv) auf Richtigkeit überprüft werden.

Gründe für Wahlfreiheit laut Pro Reli und ihre Richtigstellung

  • 1. Frei Wählen: Jeder soll frei wählen können. Zwischen Ethik, evangelischer, katholischer, islamischer und jüdischer Religion oder Weltanschauungs-unterricht. Ein Zwangsfach Ethik für alle bedeutet Bevormundung.

    Welchen Religionsunterricht ein Schüler besucht, ist derzeit und wird auch weiterhin völlig freigestellt. Der Ethikunterricht hindert niemanden daran, einen speziellen Religionsunterricht zu besuchen, sondern er soll alle Gemeinschaften zusammenführen, damit ein gemeinsamer Dialog entsteht. Müssen die Schüler zwischen Ethik und Religion wählen, wird dieser Dialog unterbunden.

  • 2. Grundrechte auch in Berlin: Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach an öffentlichen Schulen ist in Artikel 7 des Grundgesetzes garantiert. Diese Bestimmung gilt ausgerechnet in der deutschen Hauptstadt Berlin nicht.

    Dass Religion ein ordentliches Lehrfach werden soll, bedeutet nicht, dass man zwischen Ethik und Religion wählen muss (Wahlpflichtfach). Das Fach Ethik wird als Sündenbock ausgenutzt, um ein langes Erstreben der Religionslehrer durchzusetzen – auf Kosten unserer Kinder und Gesellschaft!

  • 3. Berlin ist multikulturell: Nur die Wahlfreiheit nimmt die kulturelle Vielfalt Berlins auf. Jeder wird mit seinen kulturellen und religiösen Wurzeln ernst genommen.

    Der Begriff der Wahlfreiheit wird hier falsch benutzt. Wahre Freiheit ist, sich nicht entscheiden zu müssen, sondern beide Möglichkeiten, also sowohl einen gemeinsamen Werte- als auch den in Gruppen aufgeteilten Religionsunterricht wählen zu können. Ein gemeinsames Miteinander kann nur ein gemeinsamer Unterricht fördern! Über diesen hinaus kann jedes Kind den Religionsunterricht besuchen, den es (oder die Eltern) möchte/n. Wenn ein Siebtklässler so viele Wochenstunden hat, dass er sich nicht bereit sieht, zusätzlich freiwillig zum Religionsunterricht zu gehen, ist dies nicht die Schuld des Faches Ethik!

  • 4. Besseres gemeinsames Lernen: In fast allen Schulfächern wird gemeinsam unterrichtet. Respekt und Toleranz gegenüber Anderen gibt es aber nur, wenn man etwas über den eigenen Glauben und die eigene Weltanschauung weiß.

    Man kann nur wiederholen: Über den eigenen Glauben und die eigene Weltanschauung kann jeder Schüler und jede Schülerin Berlins freiwillig etwas lernen (und Pro Reli geht es ja offiziell um Freiwilligkeit!). Ethik soll alle Anschauungen zusammen - und in einen Dialog bringen. Denn das ist es, was in Berlin fehlt: der Kontakt und die Kommunikation.

  • 5. Werte auch für kleine Kinder: Werteunterricht sollte nicht wie bisher erst in der Oberschule verpflichtend sein. Kinder brauchen so früh wie möglich Orientierung.

    Dem kann man nur zustimmen, wobei zu beachten ist, dass man gerade Kinder, die so leicht zu beeinflussen sind, eine Möglichkeit auch bezüglich ihrer Religion bieten sollte. Das heißt, dass die so genannte „Orientierung“ eher durch einen allgemeinen Unterricht, der alle Religionen und Weltanschauungen behandelt, geleistet wird als durch einen Religionsunterricht, über dessen Teilnahme die Eltern bestimmen. Werteunterricht in der Grundschule ist sicherlich wichtig, allerdings sollte man jetzt erstmal dafür sorgen, dass jener an der Oberschule durch das Fach Ethik für alle erhalten bleibt!

Fazit: Die Probleme, die von Pro Reli als Argumente angesprochen werden, existieren nicht deshalb, weil es das Fach Ethik gibt.

Ethik wird hier als Sündenbock genommen, um die eigene Existenz zu sichern. Wer seine Kinder nur in der eigenen Gemeinschaft behält und sie nicht mit anderen Kulturen und Glaubensgemeinschaften bewusst in Kontakt treten lässt, sorgt für eine die Entwicklung einer Parallelgesellschaft.

Außerdem: Was nicht angesprochen wird, ist der immense Erfolg, der den Ethiklehrern bei ihren jetzigen 8./9.-Klässlern im Umgang miteinander schon nach zwei Jahren Ethikunterricht auffällt. Des Weiteren wird nie genannt, wie man es sich vorstellt, nicht nur katholischen und evangelischen, sondern auch muslimischen, jüdischen, buddhistischen etc. Religionsunterricht an den Schulen als ordentliches Lehrfach einzuführen. Welche Religion wird unterrichtet und welche nicht? Wird ein einzelner Schüler jüdischen Glaubens seinen Unterricht bekommen? Wie ist dies organisatorisch zu schaffen? Wer soll die Lehrkräfte bezahlen? Oder dürfen nur die Kinder katholischer und evangelischer Eltern einen Sonderunterricht bekommen, während die anderen im Ethikunterricht sitzen (müssen, dabei soll das Muss doch verhindert werden)? Dann würden wenigstens Konfessionslose und Muslime in ein Gespräch kommen, während sich die Christen raushalten. Das kann doch nicht das Ziel sein!

Noch einmal: Wenn Kinder im Ethikunterricht beisammen sind und miteinander voneinander lernen, statt im Religionsunterricht getrennt übereinander zu reden, führt dies NICHT dazu, dass sie ihren Religionsunterricht aufgeben müssen! Es bedeutet nur, dass diese Kinder, wenn sie erwachsen sind, welt- und kulturoffen sind und gegenseitiges Verständnis Wirklichkeit werden lassen.

Ethik muss verpflichtend für alle Schüler und Schülerinnen bleiben!
(Darüber hinaus kann jeder gerne den Religionsunterricht besuchen, den er für richtig hält.)“

Lina Fröhlich, 29.09.2008
Telefon: 030 / 365 04 167, E-Mail