Atheismus als Wunder

(hpd) Das ist schon wundersam, dass der Atheismus als ein Mirakel erklärt und gleich anfangs vom Autor Lutz von Werder im pluralis majestatis die Erfüllung dieses Mysteriums so versprochen wird: „Wir werden zeigen, dass die Wahrheit jenseits von Theismus und Atheismus liegt.“

„Sinntiefen“ werden in Aussicht gestellt. Am Ende des Buches wird der Leser schließlich zu zehn Schluss-Übungen angehalten, um zu seiner eigenen atheistischen Lebensphilosophie zu finden.

Auch zwischendurch wird schon viel geübt. Bei der Schluss-Übung Nr. 10 ist nach theistischen und atheistischen Wertevorgaben der je eigene Wert zu ergründen und in eine Tabelle einzutragen zwecks individueller Lebenskunstausprägung. Das geht dann so: „Die Werte des Atheismus lassen sich durchaus mit den Werten der Religion vergleichen ...“ (S.221): Unterordnung vs. Revolte, Anpassung vs. Existenz jenseits der Masse, Rituale vs. Spontaneität, ständige Dankbarkeit vs. Kreativität ... Doch: Welche Religion ist gemeint? Gibt es keine religiösen Revolten? Und: Was ist das für ein Atheismus? Gibt es keine atheistischen Rituale?

Was Lutz von Werder in seinem neuen Buch (siehe pdf Inhaltsverzeichnis und pdf Buchrücken) entwickelt, das ist den Quellen nach weitgehend bekannt und studiert anhand der einschlägigen Bücher von Hiorth, Ley, Mauthner und Minois. Es geht dem Autor um eine Philosophie der Lebenskunst. Die Einsichten berühmter Atheisten (nicht alle sahen sich so) wie Büchner, Haeckel, von Hartmann, Heidegger, d’Holbach, Meslier, Nietzsche, Sartre, Schopenhauer, Voltaire u.a. werden herunter gebrochen auf das, was Menschen, wie sie der Autor sieht, die jedenfalls nicht berufliche Philosophen sind, sich anzueignen in der Lage und bereit sind.
Es geht von Werder nicht um konkret vorkommende „Volksatheismen“ (wie sie z.B. als eine Variante in Ostdeutschland beobachtet wird, andere in Tschechien und Estland zu finden sind), sondern um philosophische Lebensbewältigungsphilosophien für eine ganz eigene Art Publikum.
Der Autor zeigt dem Begriff der „Weltanschauung“ und den realen Weltanschauungen gegenüber eine deutliche Distanz. Zudem ist er sehr davon überzeugt, Menschen bedürften der Spiritualität, die er dann allerdings voraussetzungslos als Eigenheit des Religiösen bestimmt und dagegen seine atheistische Variante setzt, die sich – daher die Annahme eines Wunders – den machtvollen theistischen Weltreligionen entgegenstellt und dabei immer besser voran kommt.
Sich dieser Weisheit zu vergewissern und sich dieser Bewegung von Individuen anzuschließen, dazu bedarf es der Aneignung einer atheistischen Lebenskunst durch das Studium des vorliegenden Buches samt den dort gebotenen Übungen; denn, im Gegensatz zu Religionen, sei Atheismus nicht organisierbar.

Dem Autor ist in einigen seiner Begründungsfiguren nur sehr schwer zu folgen. So stellt er die kurzschlüssige Behauptung auf, es hätte „atheistische Staatsreligionen“ gegeben, die er als roten und braunen Nihilismus sieht. Zudem stört das Belehrende im Stil die Lektüre. Hinzu kommen Lehrsätze und Wichtigkeit anzeigender Fettdruck. Auf einen Leser, der schon ein Buch zum Thema Atheismus vorher gelesen hat, wirkt das alles etwas zu aufdringlich. Mag das noch angehen, so wird die Konzeption, von der aus von Philosophie auf Lebenskunst geschlossen wird, nicht recht plausibel – dies deshalb, weil keine „Übersetzung“ erfolgt, sondern eine Umsetzung recht subjektiver und vereinfachender Vorgaben per „Grundkurs“ in individuelle Ein-Übungen.

Die Botschaft des Kapitels „F“ hör’ ich gern, allein mir fehlt der Zweifel: „Das Zentrum der atheistischen Lebenskünste wird der optimistische und militante Humanismus. ... Der optimistische Humanismus hat also eine relativ sichere Zukunft.“ (S.144) Als Botschafter dieser Zukunftsgewissheit gelten neben Bloch, Dawkins, Deschner, Harris, Kurtz, Mackie, Martin, Russel und (ausgerechnet) Sloterdeijk die lieben Kollegen Kahl und Schmidt-Salomon. Ich seh’ sie gern in dieser Eintracht. Doch kennt der Autor leider nicht Joachim Kahls Buch über den „Weltlichen Humanismus“ von 2005, denn sonst hätte er dessen Lebenskunst-Auffassung sicher einer tieferen Betrachtung unterzogen, eingeschlossen dessen Thesen der atheistischen Spiritualität. So erkennt von Werder das Konzept Kahls lediglich als dieses: „An die Stelle der Religion tritt die Feier des Lebens.“ (S.168)

So erfasst der Autor auch nicht die Pointe, warum Schmidt-Salomon philosophisch etwas gegen Kahl haben könnte und umgekehrt.  Lutz von Werder nennt die Giordano-Bruno-Stiftung „die wichtigste atheistische Institution in Deutschland“. (S.175) Die „Zehn Angebote“ geraten ihm dann leider arg verkürzt und die evolutionsbiologische Spitze geht ihm gar nicht auf. Dafür wird dem Leser /der Leserin folgende Übung aufgegeben: „Wie würden Ihre moderenen [sic!] zehn Gebote heißen, die Sie im Alltag auch wirklich befolgen können?“ (S.177)

Jedenfalls zeigt das vorliegende Buch, dass Atheismus sich derzeit nicht nur gut verkauft, sondern in der URANIA wie in Kaffeehäusern eingetroffen ist. Atheismus ist damit als Thema volksbildungstauglich geworden. Das kann nun wirklich als wunderbare Botschaft genommen werden.

Horst Groschopp

Lutz von Werder: Das Wunder des Atheismus. Uckerland: Schibri-Verlag 2008, 228 S., ISBN 978-3-86863-017-6, 15.- €