Krawallatheisten aus der Hölle

(hpd) Andreas Müller verteidigt seine Artikelreihe gegen den Kuschelatheismus. Was haben Christen mit Faschisten gemeinsam? Warum ist Antireligiosität so unbeliebt? Wäscht der HVD den Atheismus wirklich weicher? Oder ist am Ende alles eine riesige Verschwörung? Finden Sie es heraus!

 

Ein Kommentar von Andreas Müller

 

Mitte November 2008 ging es der Humanistischen Akademie um die Frage „Was ist Humanismus heute?". Offenbar wurde dort heftig debattiert über meine drei Polemiken gegen die „Kuschelatheisten". Ich hatte nicht vor, auf die Kritik einzugehen, weil ich nicht dort war und nur oberflächlich weiß, worum es ging. Außerdem meinte ich, bereits alles gesagt zu haben. Der Umstand, dass seit Erscheinen der HVD für diese umstrittenen Artikel verantwortlich gemacht wird, nötigt mich allerdings zu einer Stellungnahme.

Die Gelegenheit nutze ich, um auch auf andere strittige Punkte einzugehen und zu erläutern, was der Antitheismus, den ich zusammen mit den anderen Neuen Atheisten vertrete, eigentlich ist. Leider hat der Artikel wieder mehrere Teile, aber wenigstens verfügt man somit über genügend Material, über das man sich streiten kann. Wäre ansonsten ja langweilig, immer nur über etwas zu reden, das gar nicht existiert.

Alle gegen den HVD

Wie mir der Präsident des HVD, Horst Groschopp, mitteilte, muss sich der Verband mit allerlei wütenden Reaktionen auf meine Artikel herumschlagen, obwohl er gar nichts mit ihnen zu tun hat. Auch andere Organisationen sollen sich beschwert haben, weil ich ihren Ruf durch meine Meinungsäußerungen schädigte.

Die vernünftige Reaktion eines empörten Lesers bestünde darin, sich beim Autor zu beschweren und nicht bei irgendwem, der zufällig beim selben Pressedienst seine Meinungen kundtut, nur weil er im weitesten Sinne ebenfalls säkular ist. Ich bin kein Mitglied des HVD und habe auch nicht vor, beizutreten. In der Tat umschreibt die Bezeichnung „Kuschelatheisten" kaum eine andere Organisation so treffend. Wie absurd, ausgerechnet das Ziel der Polemik als seinen Urheber anzunehmen.

Damit nicht noch weitere Fehlzuweisungen auftreten, in wessen „geheimen Auftrag" ich diese Artikel geschrieben haben soll: Der IBKA (Internationaler Bund der Konfessionslosen und Atheisten) wird in Teil 1 der Reihe für seinen zu engen Fokus auf die Trennung von Staat und Kirche kritisiert, was auf der falschen Überzeugung basiert, die Verbannung der Religion ins Private würde alle Probleme in diesem Bereich lösen.

Wie ich dort argumentiere, gibt es so etwas wie einen „privaten Glauben" überhaupt nicht. Wer etwas glaubt, der handelt entsprechend diesem Glauben. Man kann nichts exklusiv in seinem Gehirn „glauben", das sich nicht auch gesellschaftlich äußern würde. Eine bizarre Vorstellung. Man könnte fast annehmen, Vertreter dieser These hielten Gläubige für Monster aus Frankensteins Labor, deren Verstand ganz anders funktioniert als der von normalen Menschen.

Eine Verschwörung gegen die Säkularität?

All dies soll nicht bedeuten, dass es keine Gemeinsamkeiten zwischen den Überzeugungen dieser Organisationen und meiner eigenen gäbe. Aber ich schreibe nicht in ihrem Auftrag, noch in irgendeinem Auftrag, sondern ich habe drei Polemiken aus meiner eigenen Perspektive gegen bestimmte Positionen verfasst, die in der säkularen Szene sehr beliebt sind.

Nun scheint in säkularen Posteingängen die Meinung die Runde zu machen, ich würde das alles insgeheim für die Giordano Bruno Stiftung schreiben. Auch das ist natürlich falsch, weil die GBS nicht antireligiös ist. Sie wurde immerhin nach einem Pantheisten benannt, während ich schon mehrere Artikel gegen den Pantheismus geschrieben habe, darunter auch einen Teil der Reihe, um die es hier geht. Dass ich momentan trotzdem für die GBS an darwin-jahr.de arbeite, liegt daran, dass diese Stiftung abweichende Meinungen tolerieren kann, was für bestimmte andere Organisationen offenbar ein größeres Problem darstellt, sieht man sich die absonderlichen Verschwörungstheorien rund um diese Artikelreihe an.

Diese intoleranten Atheisten

Nun ist es so, dass ein Teil der Leserschaft das entweder nicht versteht oder nicht verstehen will. Ein ähnliches Beispiel findet man bei Äußerungen des Pro-Reli-Vorsitzenden Christoph Lehmann, der den HVD mit einem Artikel (der nicht von mir stammt) auf dem hpd in Verbindung bringt und ihm deshalb Religionsfeindlichkeit vorwirft. In einem Bericht vom Tagesspiegel wird er wie folgt zitiert: „In diesem Artikel mit der Überschrift ‚Die religiöse Dressur des Kindes‘ werden Erstkommunionskinder mit Zirkuspferden verglichen. Eine solche Herabwürdigung Andersgläubiger oder Andersdenkender sei Ausdruck weltanschaulicher Intoleranz und mangelnden Respekts vor der Religiosität anderer, sagte Lehmann."

Es ist interessant zu sehen, dass ausgerechnet Pro-Reli von „weltanschaulicher Intoleranz" sprechen sollte, wo diese Organisation doch mit allen Mitteln versucht, Schüler von jedem weltanschaulichen Dialog abzuhalten, indem sie den gemeinsamen Ethikunterricht abschaffen möchte. Und das ausgerechnet im Schmelztiegel Berlin, wo die Muslimin dem Buddhisten die Hand reicht (reichen sollte?). Die Auseinandersetzung mit Pro-Reli ist ein positives Beispiel dafür, dass der HVD beizeiten das größere Bild sieht, indem er sich entgegen seiner eigenen Interessen - er bietet schließlich Lebenskunde an - für den Ethikunterricht einsetzt.

Trotzdem ist der HVD in keiner Weise antireligiös. Warum darf er also alle Loorbeeren ernten für eine Haltung, die er gar nicht vertritt?

Strohmänner mit einschlagender Wirkung

Nun zu der Kritik an den Artikeln selbst: Ausgerechnet meine rücksichtsvolle Entscheidung, in den Polemiken keine Namen zu nennen, erzeugte eine große Angriffsfläche. Es wurde angeführt (in Kritiken jenseits der oben erwähnten Konferenz, unter anderem im BrightsBlog), dass die drei Artikel somit nur aus Strohmännern bestehen, also aus Argumenten, die ich mir selbst ausdenke, sie meinen Gegnern unterschiebe, und sie dann kritisiere.

Das ist falsch, weil dies nicht nur implizieren würde, dass ich keine Quellen angegeben habe, sondern auch, dass es diese Quellen gar nicht gibt. Angesichts der zahlreichen Leser und Organisationen, die sich sogar persönlich angesprochen fühlten, kann davon aber keine Rede sein. Zudem fragt man sich, warum eine Artikelreihe die Gemüter dermaßen erhitzen sollte, wie es offenbar der Fall war, wenn sie sowieso niemanden betrifft.

Interessanterweise bezeichnen sich manche nun absichtlich als „Kuschelatheisten", um sich von mir zu distanzieren. Das erinnert mich an die Zeitgenossen, die sich absichtlich „Hühnchen" nennen, weil ihnen jemand Feigheit vorwirft.

Die Form wahren

Erstaunlicherweise ging es überwiegend um Formelles. Inhaltliche Kritik war rar gesät oder richtete sich gegen Haltungen, die ich gar nicht vertrete. Zum Beispiel geht es mir nicht darum, dass sich jeder nun als „Atheist" bezeichnen soll und nicht als „Agnostiker". Das ist bedeutungslos, wie ich in Teil 2 der Reihe unmissverständlich geschrieben habe:

„Gläubigen ist es ganz egal, wer für sie keine Moral hat, ob nun Atheisten oder Naturalisten. Man kann sich nennen, wie man will."

Es geht vielmehr um inhaltliche Fragen, es geht nicht um Selbstbezeichnungen und nicht um formelle Vorlieben. Ob jemand polemisch oder sachlich Religionskritik betreiben möchte, ist abhängig von der persönlichen Veranlagung und dem, was und wen er erreichen will, und war nicht Bestandteil der Kritik - wobei man allerdings feststellen kann, dass es stets die Anhänger der Neuen Sachlichkeit sind, die den Stil der Polemiker nicht akzeptieren. Beide Stile sind richtig und wichtig. Sie erreichen verschiedene Zielgruppen und ergänzen sich gegenseitig.

Christentum und Faschismus

Der heilige Zorn richtete sich vor allem gegen einen Satz: „Liberales Christentum ist wie Faschismus light." Er wird noch an der selben Stelle erläutert: „Das moderne Christentum ist Nostalgie, beeinflusst durch die Romantisierung des katholischen Mittelalters seit Novalis. Allerdings mutet die Verehrung eines patriarchalen und abergläubischen Kultes in unserer Zeit ganz schön bizarr an."

In der Tat frage ich mich jedesmal, wenn ich eine christliche Prozession im Fernsehen sehe, wann sie endlich einen Teil ihrer Ernte opfern und den Regentanz aufführen. Dann hätte das Ganze wenigstens einen gewissen Unterhaltungswert. Eine andere Idee wäre eine theatralische Neufassung des Trojanischen Krieges. Die Bronzezeit hatte weitaus Spannenderes zu bieten als das, was uns Christen zur besten Sendezeit vorführen.

Der Hauptkritikpunkt an dem harmlosen Sätzlein lautete, er wäre doch ganz schön unfreundlich. Vor nicht allzu langer Zeit versuchten die zum überragenden Teil christlichen Deutschen (1933 gehörten 95,2% der katholischen und der evangelischen Kirche an, nicht eingeschlossen die Freikirchen), die Welt zu unterjochen und die angeblichen Christusmörder endgültig zu vernichten. Das ist „unfreundlich". Recht unfreundlich ist ebenso die komplette Weigerung der liberalen Christen unserer Zeit, diese Tatsache anzuerkennen und das eigene Weltbild auf die Frage hin zu untersuchen, wie das möglich sein konnte. Stattdessen heißt es christlicherseits, dass der Nationalsozialismus eine „atheistische Doktrin" gewesen sei, was die Sache offenbar für sie erledigt (siehe auch diesen Artikel bei der FAZ oder diesen Blogbeitrag Misantrophs zu Bischof Gerhard Ludwig Müllers Äußerungen; natürlich sind hier nicht alle Stellungnahmen von modernen Christen zum Thema erfassbar). Auch das ist ganz schön unfreundlich.

Die gute alte Zeit

Eine andere Kritik an diesem Satz lautet wie folgt: Es handle sich nicht um Nostalgie, weil keiner der Betroffenen die güldene Blütezeit des Christentums, das finstere Mittelalter, das „christliche Abendland", mit seinen Kreuzzügen, Hexenverbrennungen und Judenvernichtungen, wiederbeleben möchte. Doch „Nostalgie" bedeutet nicht einfach, dass man sich die Vergangenheit zurückwünscht, sondern dass man sich eine verklärte Vergangenheit zurückwünscht. Heißt es denn nicht überall, man müsse das „christliche Abendland" (das seit 700 Jahren nicht mehr existiert) vor den „muslimischen Horden" verteidigen?

Und genau hier kommt mein Vergleich mit dem heutigen Italien ins Spiel: „In Italien werden gerade Mussolini-Bierflaschen und andere Merchandising-Artikel zu Ehren des Diktators verkauft. In einem Schaufenster in Neapel kann man auch kleine Holzfiguren bewundern, die Inquisitoren nachempfunden sind. Die gibt es im Set mit Folterinstrumenten in Puppengröße."

Eine Mafia zum Schießen

Als ich in der Funktion eines Touristen vor ein paar Jahren Italien besuchte, war ich in der Tat schockiert vom Mussolini-Kult, den man dort überall vorfinden kann. Schlimmer war nur die Führung durch einige von der Mafia beherrschte Stadtviertel Neapels (und die Art und Weise, wie Italiener Auto fahren). In der Tat gibt es auch hier Parallelen: Die meisten anderen Teilnehmer der Touristengruppe fanden diese Führung ungemein amüsant und unterhaltsam, während ich und wenige andere beinahe ausgerastet wären bei dem Gedanken, welche alten Mütterchen einem hier durch die Fenster zuwinken: Nämlich die Mütter von Mafiosis, die andere Menschen erpressen, bedrohen, verprügeln, foltern und sie in Salzsäure auflösen, wann immer sie ihnen im Weg sind. Was daran so amüsant sein soll, habe ich bis heute nicht verstanden.

Bei dem Hinweis der Führerin, dass die Polizei „machtlos" sei, brach sogar allgemeines Gelächter aus. Wahrscheinlich aus Sympathie mit den „Rebellen" der Mafia, genau wie heute zahlreiche Verwirrte den Islamisten zujubeln, die gegen die amerikanische „Besatzungsmacht" im Irak kämpfen.

Diese Verherrlichung und Verkitschung der Mafia, der Inquisition und von Mussolinis Tyrannei in Italien, hat eine Entsprechung in Deutschland: Das liberale Christentum. Es scheint das glatte Gegenteil dessen zu sein, was man über 1000 Jahre lang unter „Christentum" verstand und was man in weiten Teilen dieses Planeten noch immer darunter versteht. Seit wann ist denn eine monotheistische Religion „liberal"? Karlheinz Deschner drückte es so aus: „Die guten Christen sind am gefährlichsten - man verwechselt sie mit dem Christentum."

Übrigens interessant: Warum wird ein altes Argument von dem „großen Karlheinz Deschner" (wie ihn die säkulare Szene in der Regel sieht) auf einmal zu einem Skandal, wenn ich es anführe?

Mit Gott und den Faschisten

Wo wir schon einmal dabei sind, kann ich dieses Argument noch weiter ausführen. Es ist weithin bekannt (unter Atheisten), dass die katholische Kirche immer wieder eng mit faschistischen Regimen zusammengearbeitet hat. Der Vatikan hat mit Mussolini und Franco zusammengearbeitet, er hat mit Hilfe des Reichskonkordats sogar mit Hitler zusammengearbeitet. Und das sind nur die bekanntesten Beispiele.

Karlheinz Deschner hat nicht nur eines, sondern mehrere Bücher über das Thema geschrieben. Bei der NRHZ finden Interessierte einen Vortrag von Deschner zum Thema mit dem vielsagenden Titel „Mit Gott und den Faschisten". Auch die Neuen Atheisten weisen in ihren Büchern und öffentlichen Debatten darauf hin. Und wer die Diskussion über missbrauchte Heimkinder in der Nachkriegszeit verfolgt hat, weiß auch, in welcher Tradition sich die Erziehungsmethoden in deutschen, evangelischen Einrichtungen lange Zeit befanden. Von den zahlreichen Um- und Neubauten christlicher Kirchen unter den Nazis ganz zu schweigen, was die Gläubigen damals offenbar nicht weiter störte. So inkompatibel schien das Christentum nicht zu sein mit diversen Varianten des Faschismus.

Liberale Christen sollten sich einmal fragen, wie es zu dieser weltanschaulichen Sympathie kommen konnte, scheint sie doch so gar nicht vereinbar mit dem, was man heute unter „Christentum" versteht, nämlich „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst" und „Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein". Meine Antwort folgt in einer Woche.

 

Andreas Müller

 

Die Neuen Atheisten
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