ASCHAFFENBURG. (hpd) Pünktlich zu Darwins Geburtstag ist die neue Koproduktion der Ferkelbuch-Macher Michael Schmidt-Salomon und Helge Nyncke erschienen: „Susi Neunmalklug erklärt die Evolution". Die Giordano Bruno Stiftung produzierte auf der Basis des Buchs einen Kurzfilm, der auf dem Darwin-Festakt in der Deutschen Nationalbibliothek uraufgeführt wurde und beim Publikum für große Heiterkeit sorgte. hpd sprach mit den beiden Autoren über die Hintergründe von Buch und Film.
Interview mit Michael Schmidt-Salomon und Helge Nyncke
hpd: Worum geht es bei Susi Neunmalklug?
Schmidt-Salomon: Susi Neunmalklug ist ein hochbegabtes, hyperintelligentes Mädchen, gewissermaßen eine „Superheldin des Geistes“. Normalerweise kann sie ihre Superkräfte gut verstecken, nur manchmal, wenn sie etwas richtig Dummes hört, kann sie sich einfach nicht bremsen. So zum Beispiel, als ihr Lehrer Hempelmann im Unterricht die biblische Mär von der Entstehung der Welt erzählt. Susi kann sich vor Lachen kaum halten und erklärt ihrem Lehrer vor versammelter Klasse, „wie das alles wirklich war“...
hpd: Susi Neunmalklug wird vom Verlag als „Darwin für Kids“ angepriesen und ist somit ein Beitrag zum Darwin-Jahr. Nun ist es sicherlich nachvollziehbar, dass sich das Buch sehr eindeutig in der Debatte um die (Un-)Vereinbarkeit von Evolutionstheorie und biblischer Schöpfungslehre positioniert, aber macht ihr es euch dabei nicht doch zu leicht, wenn ihr den Lehrer Hempelmann als Vertreter des biblischen Kreationismus lächerlich macht? Dieser Hardcore-Kreationismus wird in Deutschland ja nur von einer verschwindenden Minderheit vertreten…
Nyncke: Also, einer meiner Söhne hatte in der Grundschule einen Pfarrer als Religionslehrer, der allen Ernstes den Kindern die Entwicklung der Urmenschen als wissenschaftlichen Unsinn ausreden wollte! Und das war kein Scherz.
Schmidt-Salomon: Ich meine, bei deiner Frage sollte man drei Punkte beachten: Erstens sind diejenigen, die im wortwörtlichen Sinne an die Bibel glauben, zwar eine Minderheit hier in Europa, doch sie sind weltweit im Vormarsch und auch in Deutschland steigt die Zahl der biblischen Kreationisten langsam an. Zweitens muss man berücksichtigen, dass Grundschulkindern der biblische Schöpfungsmythos hierzulande häufig in völlig unreflektierter Form vermittelt wird, auch wenn die Lehrer in den allermeisten Fällen keine Kreationisten sind. Dass diese Geschichte nur ein altertümliches Märchen ohne jeglichen empirischen Gehalt ist, wird den Schülerinnen und Schülern, wenn überhaupt, erst in den höheren Klassenstufen gesagt. Und so setzt sich in ihren Köpfen eine seltsame Mixtur aus Schöpfungsglauben und empirischem Wissen fest, die ein echtes, tiefer gehendes Verständnis der Evolution erschwert.
„Evolutionäres Denken sollte früh eingeübt werden“
hpd: Du meinst, durch die frühe Prägung auf den Schöpfungsmythos werden Kinder daran gehindert, die eigentlichen Mechanismen der Evolution zu begreifen?
Schmidt-Salomon: Ja, so würde ich das sehen. Die Entwicklungstatsache selbst, also den sich über Jahrmilliarden vollziehenden Arten- und Formenwandel, können die meisten gut nachvollziehen. Schwierigkeiten haben sie aber damit, die Mechanismen zu verstehen, die den evolutionären Wandel hervorbringen. Selbst Biologielehrer begreifen häufig nicht, dass Evolution ein völlig sinnblinder, zielloser Prozess ist, dass dieses Auf und Ab der Lebensformen keinem Plan folgt und auch nicht automatisch mit Fortschritt verbunden ist. Die Erfahrungen zeigen, dass evolutionäres Denken schon sehr früh eingeübt werden sollte – und dabei kann Susi Neunmalklug helfen…
Nyncke: Dazu würde ich gerne noch etwas ergänzen: Natürlich sind die allermeisten Kinder klug genug, um irgendwann das Evolutionsprinzip zu begreifen, wenn sie denn gute Lehrer oder andere Bezugspersonen haben, die es ihnen vernünftig beibringen. Aber die frühe Prägung auf den religiösen Mythos wirkt sich trotzdem negativ im Unterbewussten aus, gerade weil sie ja in unseren christlichen Gesellschaftsstrukturen immerzu wiederholt wird: So lernt man nämlich, eigentlich Unvereinbares irgendwie doch nebeneinander zu dulden, ohne weiter darüber nachzudenken, und das halte ich für einen der meist unterschätzten Gefahrenpunkte für einen Fortschritt der Aufklärung in unserer Gesellschaft.
hpd: Michael, du sprachst eben von einem dritten Punkt, den man in Bezug auf Susis Auseinandersetzung mit ihrem schöpfungsgläubigen Lehrer berücksichtigen sollte…
Schmidt-Salomon: Richtig! Unser Lehrer Hempelmann ist ja kein dumpfer christlicher Kreationist, der darauf bestehen würde, dass die Erde 10.000 Jahre alt ist. Nachdem er von Susi vorgeführt wurde, wechselt er geschickt die Perspektive und vertritt statt des biblischen Kreationismus die „Intelligent Design“-Position bzw. die Position einer theistischen, also einer von Gott angeschobenen und gestützten Evolution. Genau das ist nun der eigentliche Clou der Geschichte: Susi zeigt auf, dass die Evolutionstheorie auch mit einer sehr abgespeckten Schöpfungslehre nicht in Einklang zu bringen ist! Ein Gott, der eine solche Natur geschaffen haben soll und dann auch noch meinte, alles sei gut, der müsste, wie Susi sagt, „riesige Tomaten auf den Augen haben“!
hpd: Weil es in der Natur soviel Not und Elend gibt?
Schmidt-Salomon: Ja! Eine unvoreingenommene Betrachtung der Natur führt zu einer weiteren Verschärfung des sog. Theodizee-Problems. Wie kann ein allmächtiger, allwissender, allgütiger Gott für die Erschaffung einer Welt verantwortlich sein, in der es so viel Grauenhaftes gibt? Nicht nur Auschwitz entzaubert die Fiktion eines liebevollen Schöpfergottes, sondern auch der qualvolle Blick eines Zebras, das von einem Löwen gerissen wird…
„Eine Mischung aus Comic und Sachbuch“
hpd: Nun ist „Susi Neunmalklug“ nach „Wo bitte geht`s zu Gott? fragte das kleine Ferkel“ und „Die Geschichte vom frechen Hund“ eure dritte Koproduktion. Es fällt auf, dass sich die drei Bücher im Sprach- als auch im Zeichenstil stark unterscheiden. Weshalb?
Schmidt-Salomon: Das liegt daran, dass die Bücher unterschiedliche Zielgruppen und Inhalte haben. Das „Ferkel“ war ein subversives Kinder- und Erwachsenenbuch, das auf scheinbar naive Weise vermeintlich tiefsinnige Glaubenssätze entzaubern sollte. Wenn man so will, war der Stil des Ferkelbuchs „pseudo-niedlich“. Den „frechen Hund“ hatten wir dagegen „wirklich niedlich“ angelegt, also ohne doppelten Boden, schließlich sollte er den Kleinsten der Kleinen spielerisch vermitteln, warum es klug ist, freundlich zu sein. „Susi Neunmalklug“ ist in dieser Hinsicht anders als die beiden Vorgängerbücher: Als Mischung aus Comic und Sachbuch sollte Susi, die ja für ältere Kinder gedacht ist, nicht in erster Linie niedlich rüberkommen, sondern vor allem witzig, klug und cool…
hpd: Helge, du hast bei „Susi Neunmalklug“ gleich drei unterschiedliche Zeichenstile verwandt. Warum ist das so und wie kamst du auf diese Idee?
Nyncke: Die Idee dahinter ist, schon mit der Bildgestaltung die Unvereinbarkeit der beiden vorgestellten Weltsichten klar erkennbar zu machen. Die inzwischen fast durchgängige Kompromissformel der Kirchen, religiöse und wissenschaftliche Perspektiven einfach für kompatibel zu erklären, wird so sehr anschaulich gleich zu Beginn ad absurdum geführt. Eine naive Märchengeschichte kann einfach nicht mit den gleichen Mitteln dargestellt werden, wie eine seriöse wissenschaftliche Beschreibung. Darum bekommt bei uns jede Ebene genau das, was sie verdient: die eine einen naiven und die andere einen realistischen Stil. Wobei in der Gottesebene durchaus auch feine subversiv-kritische Untertöne eingebaut sind. Die dritte comicartige Ebene schließlich ist ein Entgegenkommen an die optischen Präferenzen der Zielgruppe, die dem Bilderbuchalter schon entwachsen ist und eher die Comics bevorzugt. Und ganz grundsätzlich ist ein Stil- und damit Perspektivwechsel immer ein sehr schönes Hilfsmittel, um kreative und kritische Denkprozesse anzuregen...
hpd: Wie entstehen eure Bücher? Ist zunächst der Text da und danach werden die Bilder gezeichnet oder ist es umgekehrt?
Nyncke: So läuft das bei uns – Michael schreibt den Text zusammen mit ein paar Bildideen, die ihm beim Schreiben spontan in den Sinn kommen, und ich entwickle daraus dann die bildnerische Struktur, überlege, wie die Figuren aussehen könnten, was am Besten wo stehen sollte und wie man es am Deutlichsten umsetzen kann. Das ist dann so eine Mischung aus solidem Handwerk und intuitiver Kreativität. Und am besten läuft´s, wenn einfach sofort der Funke überspringt. Wenn ich den Text lese, dann kommen die Ideen ganz von selbst und ich kann mich manchmal selber vor Begeisterung kaum halten.
Der Susi-Film
hpd: Auf dem Festakt zu Darwins 200. Geburtstag wurde ein dreiminütiger Susi-Kurzfilm gezeigt. Wie kam es dazu?
Schmidt-Salomon: Ich war für die Zusammenstellung des Programms in der Deutschen Nationalbibliothek verantwortlich. Da wir im vorletzten Jahr bei der Verleihung des Deschner-Preises an Richard Dawkins sehr gute Erfahrungen mit unseren Filmeinspielungen gemacht hatten, lag es nahe, auch dieses Mal mit Videobeiträgen zu arbeiten – und da bot sich eine filmische Umsetzung des Susibuchs natürlich an. Also habe ich eine komprimierte Zusammenfassung des Susi-Textes geschrieben, die wir dann als Drehbuch für den Film verwendeten …
hpd: „Susi Neunmalklug erklärt die Evolution“ war zweifellos einer der Highlights des Festprogramms, was nicht nur an der Geschichte und der geschickten filmischen Umsetzung lag, sondern auch an der bezaubernden Darstellerin. Wie kamt ihr auf Lilias Baumhögger?
Schmidt-Salomon: Auch das war sehr naheliegend. Lilias ist die Tochter meiner guten, alten Freundin Fiona Lorenz und ich kenne sie schon seit ihrer Geburt. Dass Lilias die Idealbesetzung für Susi sein würde, war mir sofort klar – nicht nur wegen ihres schauspielerischen Talents, für das sie bereits mit der „Goldenen Tigerente“ ausgezeichnet wurde, sondern auch, weil Lilias ohnehin viele Ähnlichkeiten mit Susi aufweist: Sie ist neun Jahre alt, musisch sehr begabt und intellektuell erstaunlich weit entwickelt. Lilias hat die Figur der Susi Neunmalklug sofort begriffen und so brauchten wir im Studio nur ganz wenige Takes, um die Aufnahmen in den Kasten zu kriegen.
hpd: Die Regisseurin des Videos ist die Dokumentarfilmerin Ricarda Hinz, die u.a. den Film „Die hasserfüllten Augen des Herrn Deschner“ drehte…
Schmidt-Salomon: Ja, ich arbeite schon lange mit Ricarda zusammen, sie ist auch Beirätin der Giordano Bruno Stiftung. Ricarda verstand sofort, worauf es uns ankam und hat sich in dieses Projekt richtig hineingekniet. Glücklicherweise stand sie dieses Mal nicht ganz allein da, sondern konnte auf die Unterstützung von Jochen Schreiber und seinen Kollegen von vr3-produktion zurückgreifen. Wir haben Susi in deren Greenbox-Studio in Düsseldorf gedreht. So war es technisch leicht möglich, die reale Susi-Darstellerin in Helges schönen Zeichnungen agieren zu lassen.
„Heute war’s Herr Hempelmann…“
hpd: Bei dem Film könnte man vielleicht noch stärker als bei dem Buch den Eindruck gewinnen, dass es ziemlich perfide ist, ein kleines Mädchen in die vorderste Front der Auseinandersetzungen um die Evolutionstheorie zu schicken. Die unverhohlene Art, in der Susi einen Erwachsenen vorführt, dürfte einige Pädagogen ziemlich ärgern. Befürchtet ihr nicht, dass man euch Arroganz und Besserwisserei vorwirft?
Schmidt-Salomon (lacht): Nun, Susi Neunmalklug trägt nicht umsonst den Untertitel „Ein Buch für kleine und große Besserwisser“! Ich finde, dass das Wort „Besserwisser“ zu Unrecht einen so negativen Klang besitzt. Etwas wirklich besser zu wissen und dies auch zu artikulieren, sodass andere dadurch etwas hinzulernen können, ist doch nun wirklich keine Schande! Schädlich wäre nur, wenn man „unverbesserlich“ wäre, also selbst nichts Neues hinzulernen wollte. Das aber kann man Susi nicht vorwerfen. Sie hat Vieles gelernt und sich u.a. die neusten Erkenntnisse der Evolutionsbiologie angeeignet. Dass sie sich vor dem Hintergrund dieses Wissens über Hempelmanns Ausführungen lustig macht, ist ihr gutes Recht! Und ihr Lehrer wäre gut beraten, selbst über den grandiosen Quark zu lachen, den er im Unterricht verzapft hat…
hpd: Dennoch: Dass es ausgerechnet ein kleines Mädchen ist, dass den Lehrer vorführt und nicht etwa ein gleichaltriger Evolutionsbiologe, muss man schon als gezielte Provokation begreifen…
Schmidt-Salomon: Aber natürlich! Doch haben Schöpfungsgläubige angesichts der unzähligen Belege für die Evolution etwas anderes verdient? Ich meine nicht! Außerdem finde ich es einfach charmant, dass ein kluges Kind bornierte Erwachsene über den realen Zustand der Welt aufklärt. Susi Neunmalklug adoptiert gewissermaßen das Pippi-Langstrumpf-Prinzip: Ist Pippi das stärkste Mädchen der Welt, das Diebe und Piraten verprügelt, so ist Susi das klügste Mädchen, das erwachsene Dummköpfe aller Art bloßstellt. Das gefällt bestimmt nicht jeder sog. „Autoritätsperson“ – und ich habe auch schon Stimmen gehört, die gesagt haben, dass man so etwas nicht machen sollte. Ich bin gänzlich anderer Meinung! Es sollte doch klar sein, dass auch ein alter Esel nur ein Esel ist und dass Jugend nicht vor Weisheit schützt! Ich finde es schon bemerkenswert, dass ein „denkendes Kind“ so schnell als Provokation empfunden wird, ein „gläubiges Kind“, das bei der Kommunion den Leib des Herrn verspeist, jedoch nicht! Da muss Susi, wie es scheint, noch sehr viel Aufklärungsarbeit leisten…
Nyncke: Außerdem ist es uns enorm wichtig, die Kinder wirklich ernst zu nehmen, darum machen wir ja Kinderbücher! Es geht nicht nur um das Vorführen naiver Erwachsenenstandpunkte, sondern ganz klar um die Unterstützung der Kinder, ihres Selbstbewusstseins, ihres Wissens und ihrer Neugier. Und wir konstruieren auch keinen prinzipiellen Gegensatz zwischen superschlauen Kindern und bekloppten Erwachsenen, denn Susis Erkenntnisse über die wirkliche Welt entstammen schließlich der Forschung erwachsener Wissenschaftler. Der Graben verläuft also nicht zwischen jung und alt, sondern zwischen klug und naiv, und dieser Kontrast soll eben auch nicht beschönigt werden. Und wenn Kinder lieber die kluge Seite wählen, umso besser! Darin kann man sie gar nicht genug fördern und unterstützen. Ich habe jedenfalls vor schlauen Kindern nicht weniger Respekt als vor dummen Erwachsenen.
hpd: Das Buch endet mit dem Reim: „Heute war’s Herr Hempelmann / Morgen ist ein andrer dran / Dumme Leute gibt’s genug / Meint eure Susi Neunmalklug“. Das klingt nach geplanten Fortsetzungen. Wird es weitere Susi Neunmalklug-Bände geben?
Schmidt-Salomon: Ja, das ist gut möglich. Wir müssen natürlich erst einmal sehen, wie Susi bei den kleinen und großen Lesern ankommt. Aufgrund der ersten Reaktionen sind wir allerdings sehr optimistisch. Auf dem Darwin-Festakt fand das Buch reißenden Absatz. Außerdem haben bereits mehrere Lehrer und Bildungsinstitutionen bei uns angefragt, ob sie das Susi-Buch bzw. den -Film im Unterricht einsetzen dürfen. Es sieht also ganz gut aus, dass unsere Susi eine komfortable ökologische Nische finden wird, in der sie nicht nur überleben, sondern sich sogar fortpflanzen kann…
hpd: Vielen Dank für das Interview!
Die Fragen stellte Martin Bauer.
Das Buch „Susi Neunmalklug erklärt die Evolution" ist u.a. bei denkladen.de erhältlich. Susi Neunmalklug im Internet: www.susi-neunmalklug.de