MAINZ (hpd). Im Vorfeld der dritten Sitzung des „Runden Tischs Heimerziehung“, der am 15. und 16. Juni in Berlin stattfinden wird, hat der Verein ehemaliger Heimkinder (VEH) seine politischen Forderungen konkretisiert.
Auf der Mitgliederversammlung des Vereins am Pfingstwochenende in Mainz wurde mit großer Mehrheit ein Antrag verabschiedet, der u.a. die Einrichtung eines Entschädigungsfonds in Höhe von 25 Milliarden Euro vorsieht. Zusätzlich fordern die ehemaligen Heimkinder einen rentenversicherungsrechtlichen Ausgleich für die Zwangsarbeiten, die sie leisten mussten, sowie sofortige Verbesserungen der Rahmenbedingungen für die Behandlung der Traumata, unter denen viele ehemalige Heimkinder leiden.
Experten sprechen in Bezug auf die zumeist in katholischen und evangelischen Institutionen erfolgte Heimerziehung der 50er und 60er Jahre von systematischen Menschenrechtsverletzungen. In Irland und Kanada haben Klagen von Heimkindern bereits zu Entschädigungen in Milliardenhöhe geführt.
Zur Begründung der Entschädigungsforderung in Deutschland führte der Rechtsanwalt des VEH, Gerrit Wilmans, aus: „Auch wenn die Forderung auf den ersten Blick hoch erscheint, ist sie angesichts der großen Zahl der Betroffenen und der Schwere des erlittenen Unrechts, das ganze Biografien zerstört hat, maßvoll. Auch im internationalen Vergleich liegt die Forderung bezogen auf den Einzelfall absolut im Schnitt.“ Monika Tschapek-Güntner, die frisch gewählte erste Vorsitzende des Vereins, sagte: „Es darf keinen Unterschied machen, ob die grausamen Misshandlungen von Kindern und Jugendlichen in Irland, Kanada oder Deutschland stattgefunden haben. Jede dieser Taten ist eines zivilisierten Staates unwürdig und ist gleichermaßen zu entschädigen, unabhängig davon, wo sie geschehen sind.“
Kirchen dürfen sich ihrer Verantwortung nicht entziehen!
Der Vorstand des VEH erklärte, dass die Entschädigungssumme nicht vorwiegend vom Steuerzahler getragen werden solle. Zwar habe der Staat seine Aufsichtspflicht grob verletzt, in erster Linie verantwortlich seien jedoch die zumeist kirchlichen Heimträger sowie die beteiligten Industrie-, Gewerbe und Landwirtschaftsbetriebe, die von der Zwangsarbeit der Heimkinder profitierten. Der Vorsitzende der Giordano Bruno Stiftung, Herbert Steffen, der die Mitgliederversammlung der ehemaligen Heimkinder leitete, formulierte es so: „Die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände haben in den letzten Jahrzehnten viele Milliarden vom Steuerzahler erhalten. Sie sind nachweislich im Besitz eines kolossalen Vermögens. Es wäre ein Skandal, würden sie sich jetzt ihrer Verantwortung entziehen! Gerade sie sind gefordert, alles zu tun, um das Unrecht zu kompensieren, das den Heimkindern widerfahren ist.“
"Ein deutliches Zeichen in Richtung Runder Tisch"
Gespannt blickt der Vorstand des VEH nun der nächsten Sitzung des Runden Tisches Heimerziehung entgegen, der sich erstmals mit der Frage der Entschädigung befassen wird. „Mit dem klaren Votum der Mitgliederversammlung haben wir ein deutliches Zeichen in Richtung Runder Tisch gesetzt und erwarten nunmehr, dass am Runden Tisch mit uns und unseren Anwälten auf dieser Grundlage in ernsthafte Verhandlungen über die Entschädigung ehem. Heimkinder eingetreten wird“, erklärte VEH-Vorsitzende Tschapek-Güntner. Das Verhalten der Leiterin des Runden Tischs, Antje Vollmer, die die neu gewählten Delegierten des VEH sowie deren Rechtsvertreter nicht zum Runden Tisch zugelassen hatte, hatte beim Verein scharfe Kritik ausgelöst (hpd berichtete). Durch die Kooperation mit der Giordano Bruno Stiftung und eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit will der VEH nun stärkeren Druck auf den Runden Tisch ausüben, so dass die Verhandlungen über den Entschädigungsfonds vorankommen. Das fortgeschrittene Alter sowie der akute Therapiebedarf vieler Betroffener dulde es nicht, das Verfahren noch weiter hinauszuzögern.
Zum Thema siehe auch die vorangegangenen Meldungen des hpd ("Ehemalige Heimkinder düpiert", "Kindesmissbrauch in Irland. Und Deutschland?") sowie die Originaldokumente in der Anlage dieser Pressemeldung.