Zum Sterben langweilig

(hpd) Millionen von Menschen richten ihr Leben aufs Dasein im Jenseits aus, freuen sich auf Manna, Huris und ähnliche Köstlichkeiten. Esther Vilar hält dies für falsch. In einem soeben neu aufgelegten Buch begründet sie, warum wir Menschen das ewige Leben vergessen und den Mut zur Angst vor dem Tod aufbringen sollten. Im Interview mit hpd fasst sie ihre Argumente zusammen.

hpd: Frau Vilar, warum schreiben Sie ein Buch ausgerechnet über ein Thema, über das wir eigentlich gar nichts wissen können?
Esther Vilar: Weil wir es uns offenbar verbieten, darüber auch nur nachzudenken. Die Frage lautet: Selbst wenn uns nach dem Tod da drüben dann das herrlichste aller Ewigen Leben erwarten würde, sollten wir Menschen hier auf Erden auch nur ein einziges Gebet sprechen, um dahin zu kommen?

hpd: Und woher wissen Sie, all das, was Sie da behaupten? Sie schreiben doch selbst, dass es kaum ausführliche und konkrete Darstellungen des Paradieses gibt...
Esther Vilar: Ich stelle es mir vor. Anhand dessen, was uns von unseren selbsternannten Überlebensversicherern, den Kirchenleuten, als Belohnung für unser Wohlverhalten auf Erden versprochen wird.

hpd: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, ist Ihre zentrale These, dass es im Paradies zum Sterben langweilig ist – wie kommen Sie darauf, dass sich jemand langweilen könnte an einem Ort, der so unvorstellbar schön ist?
Esther Vilar: Zum Sterben langweilig, jawohl. Aber gerade das kann man dann ja nicht mehr: Sterben. Spätestens nach tausend Jahren würden wir unseren Herr- oder unsere Fraugott auf Knien bitten, uns aus diesem perfekten Imperium wieder zu entlassen. Und das wäre natürlich unmöglich: ein ewiges Leben ist per definitionem ewig – eine Million Jahre, dann noch eine, dann noch eine... Bevor man um sowas bittet, sollte man es sich wirklich einmal ein bisschen ausmalen.

hpd: Aber Frau Vilar, gerade aus Ihrer sehr diesseitigen Perspektive ergäben sich doch faszinierende Perspektiven: Sex and Drugs and Rock’n’Roll, wenn ich das mal so etwas flapsig formulieren darf, das Leben ein nie endendes Fest – da würden Sie doch im Leben nie drauf verzichten...
Esther Vilar: Früher oder später würde jeder darauf verzichten. Auf einem Fest, das niemals zuende geht, möchte doch kein Mensch tanzen.

hpd: Also, ich möchte nicht, dass Sie mich falsch verstehen, es lag mir fern, Sie auf primitive materialistische Bedürfnisse zu reduzieren. Lassen Sie mich nocheinmal anders fragen: Sie könnten mit allen Philosophen der Geschichte diskutieren, also zumindest mit denen, die in den Himmel gekommen sind...
Esther Vilar: Von denen, die mich interessieren, wäre bestimmt keiner drin. Die Belohnung mit dem Paradies hängt ja davon ab, wie gut man sich in der jetzigen Welt das kritische Denken verbietet. Und da muss man sich eben entscheiden: Man kann nicht denken und in den Himmel kommen.

hpd: Ja, das habe ich natürlich in Ihrem Buch gelesen, aber – bitte entschuldigen Sie, dass ich nun ganz direkt nachhake – meine Frage zielte doch auf ihre eigentliche Botschaft hinter der satirischen Darstellung des Paradieses.
Esther Vilar: Meine Botschaft? Wenn es dieses Paradies wirklich gäbe, sollte man keinen Finger rühren, um hinzukommen. Ohne den Tod wäre auch das herrlichste Leben entsetzlich. Vor allem die Gläubigen sollten ein wenig vorsichtiger sein. Falls es ihren Gott tatsächlich gäbe, wäre es immerhin möglich, dass er ihre Bitten erhört.

hpd: Sie meinen das wirklich ernst, dass die paradiesischen Zustände schlimmer seien als alles irdische Elend – Frau Vilar, das ist Zynismus!
Esther Vilar: Pragmatismus. Wir hätten uns da drüben ja nicht einmal etwas zu erzählen. Geschichten entstehen aus dem Wettstreit von Gut und Böse und in einer absolut gerechten Welt könnte es ja nichts Böses mehr geben. Vielleicht wäre das die einzige Entschuldigung für das, was uns unser lieber Gott in diesem Leben alles so durchleiden lässt: Dass wir etwas haben, worüber wir uns dann im nächsten miteinander unterhalten können. Die perfekte Theodizee.

hpd: Ich bitte Sie, ohne einen paradiesischen Ausgleich für unsere erfolglosen Mühen in der diesseitigen Welt wäre doch alles sinnlos...
Esther Vilar: Warum soll denn alles sinnvoll sein? Es geht doch auch so.

Die Fragen stellte Bruder Martin.

Esther Vilar: Die Schrecken des Paradieses. Wie lebenswert wäre das ewige Leben. Mit einem Nachwort von Michael Schmidt-Salomon. Überarbeitete Neuauflage. Aschaffenburg: Alibri 2009. Seiten, kartoniert, Euro 13.-, ISBN 978-3-86569-046-3