Paulskirche – Weimar – Grundgesetz

FREIBURG. (ibka/hpd) Am 17. Juni 2009 traf sich der Regionalverband Freiburg des Internationalen Bunds der Konfessionslosen und Atheisten e.V. zu seiner eigenen Verfassungsfeier. Dabei wurde die folgende Rede gehalten.

Ein Beitrag von Michael Rux

„Wir sind heute zu einer etwas anderen Verfassungsfeier zusammengekommen. Landauf, landab hat man in diesem Jahr der sechzigsten Wiederkehr der Verabschiedung des Grundgesetzes gedacht. Gelegentlich hat man dabei auch an das neunzigste Jubiläum der Weimarer Reichsverfassung erinnert. Aber es gibt noch ein drittes Verfassungsjubiläum: Vor 160 Jahren wurde in der Frankfurter Paulskirche die erste demokratische Verfassung des deutschen Reiches verabschiedet.

In diesem Jahr 2009 ist deshalb ein dreifaches Jubiläum zu begehen. Aus diesem Anlass wollen wir heute an die lange Geschichte des Kampfes um die Menschen- und Bürgerrechte in unserem Land erinnern und wir wollen vor allem die verfassungsrechtlich garantierte Religionsfreiheit in Deutschland betrachten – wir wollen würdigen, was erreicht wurde und benennen, was noch aussteht.

Die Paulskirchenverfassung von 1849 markierte eine säkulare Zeitenwende.

Die Paulskirchenverfassung von 1849 markierte eine säkulare Zeitenwende. Mit ihr erhielten die Glaubens- und Gewissensfreiheit in Deutschland erstmals Verfassungsrang. Auf ihren Text gehen die „Kirchenrechtsartikel“ der Weimarer Reichsverfassung zurück. Und unser heutiges Grundgesetz hat diese teilweise wörtlich übernommen. Insofern sind wir alle Kinder der ersten deutschen Revolution von 1848 und 1849.

Das ist einer Feier wert und eines Innehaltens und Besinnens: Denn bis heute sind wir nicht fertig mit dieser Aufgabe, mit der Befreiung der Menschen aus religiöser Bevormundung und Gewalt.

Fast ein Jahrtausend lang lebten die Menschen im christlichen Europa in einer Welt, die von Geistern und Gespenstern bevölkert war, von Engeln und Teufeln und von Heiligen beziehungsweise deren verehrungswürdigen Reliquien – und darüber thronte eine dreieinige Gottheit. Seit Karl der Große anlässlich der gewaltsamen Christianisierung der Sachsen angeordnet hatte, den Versuch, sich der Taufe zu entziehen, die Nichtbeachtung der Fastenzeit oder die Ausübung heidnischer Praktiken mit dem Tod zu bestrafen, war das gesamte Leben unserer Vor-Vorfahren in einer Weise von der christlichen Religion durchdrungen, die sich heutige Menschen nur schwer ausmalen können.

Was wir heute fordern, die Trennung von Religion und Staat war für die damaligen Menschen unvorstellbar. Den Staat im heutigen Sinne gab es früher noch gar nicht, sagen wir also lieber: die Trennung der einen, der alleinigen, der katholischen Kirche von der „weltlichen Macht“. Zwar lieferten sich im Mittelalter, wie wir alle einst im Geschichtsunterricht gelernt haben, die Päpste als Repräsentanten Gottes auf Erden und die Kaiser als gesalbte Verkörperung der weltlichen Macht erbitterte Kämpfe darüber, wer denn nun das Sagen hatte und wer dem anderen die Krone oder die Tiara aufsetzen durfte. Aber die Religion war allgegenwärtig. Mit dem Ausschluss von den heiligen Sakramenten konnte man selbst Kaiser auf die Knie zwingen.

Allerdings: Das waren nicht nur Wortgefechte und die Waffen waren nicht nur die Exkommunizierung des Kaisers oder die Absetzung des Papstes. Die Geschichte Europas ist eine Abfolge von grausamen und blutigen Religionskriegen bis hin zum Völkermord: Man entledigte sich der Ketzer nicht nur durch die Inquisition und blanken Mord, sondern auch durch die Vertreibung. Noch die „ethnischen Säuberungen“ der neueren und neuesten Geschichte Europas sind häufig Erbschaften aus dieser blutrünstigen Tradition des christlichen Abendlandes.

Die Geschichte Europas ist eine Abfolge von grausamen und blutigen Religionskriegen

Mit der Renaissance, dem Humanismus und der Reformation begann ein Wandel in den Köpfen der Menschen und auch in der religiösen und weltlichen Verfassung. Stück um Stück emanzipierten sich die Denkenden. Sie wagten, sich eine Welt ohne Götter und ohne den einen Gott oder zumindest doch ohne eine allein seligmachende Kirche vorzustellen. Und sie begannen auch, über die Freiheit des Einzelnen nachzudenken, über das Recht des Menschen, sein Leben selbst zu gestalten. Aber in der weltlichen Verfassung kam es nach der ersten Serie von Religionskriegen, der im Übrigen danach weitere folgten, zu einem Waffenstillstand der Herrschenden: Unter dem Motto: Cuius regio, eius religio“ – zu Deutsch: Wer die Krone trägt, bestimmt, was seine Untertanen glauben müssen“ – versuchten die Fürsten, die heißen Kriege zu vermeiden.

Mit dieser Formel zimmerten sie das Bündnis von Thron und Altar. Staat und Kirche fielen in eins. In vielen Ländern, gerade auch in Deutschland, einem Konglomerat von Kleinstaaten, hatten die Untertanen zu folgen, wenn der Fürst – zum Beispiel aus dynastischen Gründen oder einer reichen Erbschaft – den Glauben wechselte. Mehr noch: In den nicht-katholischen Ländern wurde der weltliche Herrscher jetzt zugleich zum Kirchenoberhaupt. In Preußen war der König bis zum 9. November 1918 zugleich der oberste Bischof der evangelischen Kirche.

In Baden war das nicht ganz so: Hier vertrat ein Prälat den Großherzog – der erste war übrigens Johann Peter Hebel. Im Südwesten Deutschlands gingen die Uhren schon immer ein wenig anders als in Preußen. Man war hier näher dran an Frankreich, in dem mit der Revolution von 1789 die Menschen- und Bürgerrechte triumphierten, dann in einem Strudel von Gewalt und Tyrannei zunächst wieder untergingen, aber sich als Idee und Wirklichkeit nicht mehr von Tagesordnung entfernen ließen. Frankreich war das Land, in dem zum ersten Mal (1792) der Unterricht dem Staat unterstellt und die bis dahin mit der Erziehung betrauten religiösen Bruderschaften aufgelöst wurden. Auch das Tragen religiöser Kleidung wurde damals untersagt, ausgenommen den Priestern in Wahrnehmung ihrer religiösen Pflichten. Aber die Geschichte der Freiheit ist ein Weg voller Windungen und Rückschläge. In Frankreich dauerte es bis zum Jahr 1905, dass die Laicité, die vollständige Trennung von Kirche und Staat, Gesetz wurde.

Das waren damals revolutionäre Forderungen, für die man ins Gefängnis gesteckt oder als Lehrer aus dem Schuldienst entlassen wurde

Dennoch, es darf nicht wundern, dass sich das Bemühen um die Abschaffung der religiösen und konfessionellen Erziehung und der Ruf nach religiöser Freiheit in Deutschland zuerst im Land Baden Bahn brachen. Von hier aus gibt es eine kontinuierliche Linie bis zu den „Kirchenrechtsartikeln“ im heutigen Grundgesetz. Und deshalb muss heute in Freiburg daran erinnert werden.