Sperren von Internetseiten ist keine Lösung

BERLIN. (hpd) Anlässlich der Verabschiedung des „Zugangserschwerungsgesetz“ durch den Bundestag sprach der hpd mit Florian Walther, Unternehmensberater für IT-Sicherheit in Berlin und einer der Mitgründer des Arbeitskreises gegen Netzsperren und Zensur (AK-Zensur), der die Internetsperren und damit die Internetzensur grundsätzlich kritisiert.


hpd: Herr Walter, im Chaosradio Express Podcast vom 30.5.2009 äußern Sie sich ausführlich zum aktuellen Thema Internetzensur in Deutschland und dem vor kurzem im Bundestag verabschiedeten "Zugangserschwerungsgesetz". Wie sind Sie zu diesem speziellen Thema gekommen?

Florian Walther: So speziell finde ich das Thema gar nicht. Eigentlich ist es naheliegend, dass Informationskontrolle (was Zensur ja ist), in einer Zeit die Informationszeitalter genannt, wird elementar wichtig ist.

Das Internet war und ist ein zutiefst demokratisches Medium, es gibt keine wirkliche Oberaufsicht, jeder ist Sender und Empfänger gleichzeitig, es gibt kein Programm-Komitee - wie bei klassischen Medien (Radio, TV, Zeitung). Jeder kann - im Prinzip -, alles veröffentlichen was er oder sie selber richtig und wichtig findet. Im Iran sehen wir gerade wie wichtig das für die Verteilung von Informationen, Wissen und letztlich für die Freiheit ist. Dieses Riesen-Potential und Chance für unsere Gesellschaft dürfen wir nicht einfach links liegen lassen.

Information und Wissen wurde immer schon versucht als Machtinstrument zu missbrauchen. Mit dem Internet und der modernen Informationstechnik hat die Menschheit erstmals die Möglichkeit erhalten, die verfügbaren Informationen und das Wissen der Menschheit zu sammeln, zu speichern und allen gleichermaßen zur Verfügung zu stellen, unmittelbar, günstig und weltweit, nur einen Mausklick weit entfernt.

Informationskontrolle und Zensur werden uns diese großartige und einmalige Chance wieder wegnehmen und das Wissen und die Kontrolle darüber wieder in die Hand von einigen wenigen Reichen und Mächtigen legen. In so einer Gesellschaft möchte ich nicht leben.

hpd: In der säkular freigeistigen Szene hat man sich beim Thema Internetzensur noch zu keiner eindeutigen Position durchringen können. Wie kann man Ihrer Meinung nach den vorgeschobenen Argumenten von Frau von der Leyen am effektivsten begegnen?

Florian Walther: Das Sperren von Internetseiten keine Lösung sein kann sieht man bei vergleichbaren Problemen im Netz. Banken zum Beispiel fordern nicht, dass man Seiten, die OnlineBankingTrojaner verteilen, mit Stoppschildern versieht, sie werden aktiv um die Seiten möglichst schnell zu löschen. Banken schaffen das - nach einer Studie der Universität Cambridge in durchschnittlich 4 Stunden. Bei Seiten mit dokumentiertem Missbrauch dauert das im Schnitt fast einen Monat.

hpd: Wie hoch ist Ihrer Meinung nach das Missbrauspotential der jetzt neu geschaffenen Zensur-Infrastruktur in Deutschland?

Florian Walther: Das Missbrauchspotenzial ist extrem hoch. Die Erfahrungen aus Ländern wo es solche Sperrlisten schon gibt zeigen ausnahmslos: Dass massiv überblockiert wird, Seiten die wirklich dokumentierten Missbrauch zeigen machen zwischen 1% und 32% der Listen aus, je nachdem wie man zählt und welche Liste man nimmt. Die meisten Seiten auf den bekannten Sperrlisten zeigen selber gar keinen dokumentierten Missbrauch.

Ebenso zeigt sich das auf fast allen bekanten Sperrlisten auch Angebote landen die nichts mit dokumentierten Missbrauch zu tun haben. Da findet man die Webseiten von Speditionen, Kinder-Zahnärzte, Sportvereinen, sowie z.B. politische Seiten wie die Webseiten von (extremen) Abtreibungsgegner und Filesharingportale wie thepiratebay und andere.

In Italien z.B. wurde 2006 auch unter dem Vorwand des dokumentierten Missbrauchs von Kindern Internetsperren eingeführt. Inzwischen werden viel mehr Angebote wegen Seiten im Zusammenhang mit Urheberrechtsverletzungen und Glückspiel gesperrt als Seiten mit dokumentiertem Missbrauch.

Dazu muss man auch wissen, dass die Dokumentation des Missbrauchs nur ca. 1% der Missbrauchsfälle ausmacht. Um also effektiv gegen den Missbrauch von Kindern - was ja das eigentliche Problem ist - vorzugehen müsste man sich auf die Familien und das soziale Umfeld wo Missbrauch stattfindet konzentrieren, dort passieren 99% der Fälle.

hpd: Das "Zugangserschwerungsgesetz" ist trotz einer sehr erfolgreicher Online-Petition vom Bundestag beschlossen worden. Macht ein weiter Protest ab diesem Zeitpunkt überhaupt noch Sinn?

Florian Walther: Aber natürlich. erstens ist das Gesetz zunächst auf 3 Jahre befristet. Wenn es nicht verlängert wird läuft es aus. Nach 2 Jahren soll es eine Überprüfung geben, wobei allerdings unklar ist wie das überhaupt geschehen soll. So gesehen haben wir nun 3 Jahre Zeit, zu zeigen, wie dümmlich diese Idee mit den Netzsperren ist.

hpd: In welcher Form erwarten Sie und Ihre Mitstreiter Unterstützung von gesellschaftlichen Gruppen, deren Schwerpunkt nicht das Thema Internet/Internetzensur ist?

Florian Walther: Wir erwarten erstmal nichts von anderen. Wir sind aber davon überzeugt, dass diese Infrastruktur - die jetzt geschaffen und gesetzlich gefordert wird -, potenziell uns alle, also die gesamte Gesellschaft berührt.

Am Ende des Tages berührt Zensur und Informationskontrolle das Recht auf Leben jedes einzelnen Menschen in diesem Land und global. Ohne Informationen können Menschen nicht frei entscheiden. Zensur (im Internet) stellt sich zwischen jegliche Kommunikation, insofern betrifft es uns alle, jeden einzelnen, jede Organisation, einfach alle. Der Artikel "Von Zensur und der Gesellschaft" auf wikileaks führt das gut aus.

hpd: Der Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss, der vor kurzem die SPD-Fraktion verlassen hat, kritisiert sehr scharf den mangelnden Sachverstand der Bundestagsabgeordneten. Hat er damit Ihrer Meinung nach Recht?

Florian Walther: Ja, absolut, wobei Ausnahmen auch hier die Regel bestätigen. Generell muss man aber sagen, dass der durchschnittliche Bundestagsabgeordnete praktisch keine Ahnung vom Internet, den technischen Grundlagen, seiner Geschichte und seiner 'Bewohner' hat. Insofern hat Herr Tauss Recht.

hpd: In Zusammenhang mit seinem Austritt aus der SPD kündigte Jörg Tauss in einer Mitteilung an, Mitglied der Piratenpartei werden zu wollen. Wie stehen Sie zur Piratenpartei?

Florian Walther: Ich hoffe die Piratenpartei kann dazu beitragen, der Netzpolitik zu ihrem gebührenden Platz in der Politik zu verhelfen. In der Netzpolitik werden die wichtigen Weichenstellungen für die zukünftige Entwicklung einer globalen Informationsgesellschaft gelegt. Der Stellenwert von Werten wie Freiheit und Demokratie wird für unser aller Zukunft - in einer globalen Informations- und Wissens-Gesellschaft -, auf dem Feld der Netzpolitik entschieden werden. So gesehen ist es höchste Zeit dieses Themenfeld auf die Tagesordnung zu setzten, die Piratenpartei trägt dazu bei, das ist gut so.


hpd: Danke für das Gespräch.

Die Fragen stellte athmatrix.