(hpd) Der Sozialwissenschaftler Peter Ullrich untersucht in seiner Studie „Die Linke, Israel und Palästina. Nahostdiskurse in Großbritannien und Deutschland“ die Auffassungen von Linken zu Israel und Palästina. Das etwas zu sehr „methodenlastige“ Werk kommt dabei zu der Auffassung, das Fehlen einer pro-israelischen Linken in Großbritannien erkläre sich durch den geringeren Stellenwert des Holocaust für das öffentliche Bewusstsein.
„Wie kommt es, dass man mit Karl Marx auf den Lippen sowohl Geld für die israelische Armee als auch für palästinensische Militante sammeln kann?“ (S. 12). Diese metaphorische Formulierung bildet die Hauptfragestellung einer Analyse, die der Sozialwissenschaftler Peter Ulrich vorlegte und die nach den Hintergründen der linken Einstellungen zu Israel und Palästina fragt. Er verweist dabei auf die „Antideutschen“, die eine pro-israelische Auffassung haben, und die „Antiimperialisten“, die eine pro-palästinensische Position vertreten. Beide berufen sich gleichzeitig aber auf identische politische Grundwerte, ob das der Antifaschismus und die Kapitalismuskritik oder der Marxismus und der Sozialismus ist. Ulrich fragt daher auch: „Was also bedingt die verschiedenen Positionierungen der Linken in diesem Konflikt und insbesondere: Welchen Einfluss hat die Prägung durch den Diskurs des Herkunftslandes?“ (S. 12). Um Letzteres zu ermitteln, nahm er einen Vergleich der Linken in Deutschland mit denen aus Großbritannien vor.
Dies geschah auf der empirischen Basis von 57 qualitativen Interviews mit Linken aller Spektren aus beiden Ländern, die inhaltsanalytisch bezogen auf die jeweiligen Deutungsmuster (frames) ausgewertet wurden. Entsprechend gliedert sich die Arbeit in drei große Teile: Zunächst werden die inhaltlichen und methodischen Grundlagen für den Forschungsansatz skizziert, wobei insbesondere auf Ansätze aus der Bewegungs- und Diskursforschung eingegangen wird. Dem folgt der inhaltliche Schwerpunkt mit den Fallstudien zu den Nahost-Diskursen in der britischen und deutschen Linken, jeweils bezogen auf das allgemeine Bild von den Linken in den jeweiligen Ländern und danach hinsichtlich der Positionierungen zum Nahostkonflikt. Und schließlich präsentiert das Vergleichskapitel eine Betrachtung zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden der entsprechenden Diskursen in Deutschland und Großbritannien, wobei auch hier der Bewegungsdiskurs und die Gelegenheitsstrukturen von herausragender Bedeutung sind.
Bilanzierend bemerkt der Autor: „Die Uneinigkeit der deutschen Linken, die anders als die britische sowohl GegnerInnen als auch FreundInnen Israels respektive der PalästinenserInnen kennt, liegt in der hohen diskursiven Bedeutung der Shoah und ihrer Erinnerung begründet, denn dieser Diskurs und der über den Konflikt im Nahen Osten überlagern sich. Die ganz klar und lagerübergreifend pro-palästinensische britische Linke kennt solche Interferenzen kaum“ (S. 13). Sie werden zentral darauf zurückgeführt, dass der Holocaust im öffentlichen Diskurs in Deutschland einen viel höheren Stellenwert hat und sich dieser Tatbestand auch auf die innerlinken Differenzen auswirkt. Und weiter heißt es in diesem Sinne: „Aber dass die jeweilige radikale Zuspitzung der einseitigen Parteinahme in Großbritannien nur die palästinensische Seite und nur in der Bundesrepublik auch die israelische Seite erfährt, ist kein Zufall, sondern angelegt in den diskursiven Gelegenheitsstrukturen, die in beiden Ländern den Kontext des Agierens der Linken bilden“ (S. 306).
Ullrichs Studie beeindruckt durch sein methodisch reflektiertes Vorgehen, wobei die Begründung dafür einen viel zu hohen Textteil beansprucht. Dies erklärt sich möglicherweise dadurch, dass die Arbeit aus einer Dissertation hervorgegangen ist. Für den Leser, der über keine Gutachter-Funktion verfügt, lesen sich die entsprechenden Äußerungen aber überaus sperrig: Notwendiges wird nicht von Nicht-Notwendigem, Wichtiges nicht von Nicht-Wichtigem getrennt. Dafür erhält man anschlißend eine informative und typologisierende Darstellung zur britischen und deutschen Linken und deren Positionen zum Nahost-Konflikt. Stärkere Beachtung hätte dabei die Frage finden können, ob sich bei bestimmten Auffassungen latent antisemitische Einstellungen ausmachen lassen können oder nicht. Ullrich konzentriert sich demgegenüber all zu sehr auf die Aussage, der Verweis auf den Holocaust erkläre auch das Fehlen einer pro-israelischen Linken in Großbritannien. Das ist aber als „Arbeitsertrag“ einer solchen Studie ein wenig wenig.
Armin Pfahl-Traughber
Peter Ulrich, Die Linke, Israel und Palästina. Nahostdiskurse in Großbritannien und Deutschland, Berlin 2009 (Karl Dietz Verlag), 327 S., 19,90 €