Zeichnung: Janosch Ganz einmal davon abgesehen, dass die Mehrzahl der Mitarbeiter bei Caritas und Diakonie Mitglied der Kirchen sind bzw. sein müssen und deren Kirchensteuern den größten Teil dessen darstellen, was die Kirchen aus der Kirchensteuer dort finanzieren. Insofern ist es für die Kirchen beinahe ein finanzieller Selbstläufer.
In Deutschland werden rund 900.000 Menschen bei den beiden konfessionellen Wohlfahrtsverbänden beschäftigt und rund 280.000 bei den Kirchen selber. Das heißt mit Bezug auf die Finanzierung, dass nur 1 Prozent der Mitarbeiter bei Diakonie und Caritas aus Kirchensteuermitteln finanziert wird, also 9.000 MitarbeiterInnen, und in den Kirchendiensten sind es rund 10 Prozent, also 28.000 MitarbeiterInnen. Würden also die Kirchensteuer dafür ausfallen und es keinerlei Möglichkeit der Kompensation geben, würden ca. 37.000 Arbeitsplätze wegfallen. Eine nicht unerhebliche Zahl. Was sagt aber Bischof Müller im Interview dazu, auf Alternativen angesprochen?
„Hunderttausende Arbeitsplätze bedroht“
„Ich sehe auch nicht ein, warum wir unser bewährtes System aufgeben sollten, das ohnehin ganz andere Möglichkeiten für das Wirken der Kirche in Deutschland und für die Hilfe in anderen, gerade den armen Ländern eröffnet. Bisher hat noch niemand zeigen können, wie er die unweigerliche Schließung von kirchlichen Einrichtungen und Hilfeleistungen, den Verlust von Hunderttausenden Arbeitsplätzen und den Schaden für die Gesamtgesellschaft verantworten könnte. Allenfalls kann man staatlicherseits darüber nachdenken, dass diejenigen, die sich der Kirchensteuer entziehen, um privat mehr Geld zu haben, eine Ersatzsteuer entrichten müssten. Denn die Kirchensteuerzahler sind doppelt belastet; von ihrem Geld profitiert die Gesamtgesellschaft, der Wirtschaftskreislauf und der Arbeitsmarkt und keineswegs nur die kirchliche Gemeinschaft.“
Die Darstellung, dass Hunderttausende von Arbeitsplätzen gefährdet seien, das wären aufgrund des Plurals mindestens 200.000 bis 300.000 Arbeitsplätze, wenn nicht sogar mehr, ist eine so grobe Lüge, dass sich die Balken biegen.
„Wir haben kein Interesse“
Diese Aussage ist ein starker Tobak, da sie sachlich so sehr an der Realität vorbei geht, dass ich bei der Pressestelle des Bischöflichen Ordinariats anrufe und den stellv. Pressesprecher frage, ob der Text des Interviews so vollständig und korrekt sei. Das bestätigt er. Auf meine Frage, welche Belege oder Informationen er mir zu der Aussage seines Bischofs geben könne, dass „Hunderttausende von Arbeitsplätzen bedroht" seien, kommt die Rückfrage, was ich damit meine. Ich erläutere ihm kurz, dass rund 98 Prozent der Arbeitsplätze des Caritasverbandes ja nicht von der Kirche finanziert werden, deshalb könne die Zahl der gefährdeten Arbeitsplätze gar nicht so hoch seien, unterbricht mich der Pressesprecher: „Wir können das Gespräch hier gleich abbrechen. Wir haben kein Interesse daran, mit dem Humanistischen Pressedienst zu sprechen.“ Damit ist das Gespräch beendet.
Bischof Müller ist ein intelligenter Mann, der innerhalb der katholischen Kirche Karriere gemacht hat. Vor seiner Berufung zum Bischof war er u.a. Professor für Dogmatik in München und steht dem Papst sehr nahe. Er wurde von Papst Benedikt XVI. persönlich mit der Herausgabe der 16 bändigen „Gesammelten Schriften Joseph Ratzingers" (JRGS) beauftragt.
„Caritas-Legende“
Die Kirche weiß zur Genüge, dass ihnen die Gläubigen weglaufen und die Zahl der kirchlichen Trauungen und der Gottesdienstteilnehmer am Sonntag sich seit Jahrzehnten im beständigen Absinken befindet. Viele der kritisch gewordenen und zur Kirche distanzierten Menschen antworten auf die Frage, warum sie nicht aus der Kirche austreten, „weil die Kirchen soviel Gutes tun.“ Diese „Gute“ ist, was die Finanzierung anbelangt, weiter oben bereits als marginal beschrieben worden. Die Kirche tut aber gut daran, diese Legende aufrecht zu erhalten, was genau Bischof Müller auch tut, verknüpft jetzt aber, als Neuigkeit, mit dem drohenden Arbeitsplatzverlust – eine der größten Ängste, die viele Menschen in Deutschland haben.
In einer nationalen Umfrage sind vor wenigen Jahren Kirchenmitglieder gefragt worden, ob sie aus der Kirche austreten würden, wenn die Kirchen nur wenig oder fast gar nichts aus der Kirchensteuer für soziale Ausgaben verwenden würde – was ja der Realität entspricht. Knapp die Hälfte aller Befragten sagten dazu, dass sie dann aus der Kirche austreten würden. Und je jünger die Befragten, desto größer ist dann der Anteil derjenigen, die aus der Kirche austreten würden. Wenn sie es denn wissen würden.
Insofern wird Müllers Lügerei verständlich, die Kirchenmitglieder nicht mehr mit dem Fegefeuer oder dem Höllenfeuer zu bedrohen, an die sowieso kaum noch jemand glaubt, sondern mit einem drohenden sozialen Absturz in die Arbeitslosigkeit.