Menschenrechte in der „Islamischen Republik“

„Nach der Wahl – nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses kam es“, so Frau Ebadi „zu Protesten von Tausenden Menschen und zweier der angetretenen Kandidaten.“ Doch als am Abend des zweiten Tages nach der Wahl auf die friedlichen Demonstranten geschossen wurde, hat der Staat dem Volk den Krieg erklärt.

Demonstrationen sind in Iran keineswegs verboten; auch wenn das Regime nachträglich diesen Eindruck verbreiten möchte. Denn die Verfassung des Staates garantiert die Versammlungsfreiheit.

In den Folgetagen wurden nach offiziellen Angaben 4.000 Menschen verhaftet. Frau Ebadi sagte aber, dass diese Zahl tatsächlich weit überstiegen wurde. Es gab Folterungen, Vergewaltigungen und Todesfälle unter den Gefangenen. Die ersten Gerichtsverhandlungen sind abgeschlossen – und es ist bekannt, dass es sich dabei um Schauprozesse handelte. Den Angeklagten wurde vorgeworfen, einen „samtenen Staatsstreich“ vorbereitet zu haben.

Der Begriff „samtener Staatsstreich“ ist jedoch im Strafgesetzbuch des Iran nicht definiert. Deshalb gab es vom Kommandeur der Basiji (6) folgende Erklärung: „Samtener Staatsstreich bedeutet, dass die (Demonstranten) fordern, was der Westen fordert. Wahlen und Demokratie sind daher ein geeigneter Boden für den samtenen Staatsstreich.“ Das bedeutet, wer bei der Wahl nicht dem Kandidaten, der die Macht hat, wählt, macht es sich des „samtenen Staatsstreiches“ schuldig.
Ich meine, dass man solch eine Rechtsauslegung im Allgemeinen Diktatur nennt.

Shirin Ebadi wies darauf hin, dass – entgegen der Äußerungen der Staatsführung – die Menschen des Iran zuerst zum Erhalt des Islam verpflichtet sind und erst in zweiter Linie dem Erhalt des Staates.

Hier begann sie in ihrem Vortrag darüber zu sprechen, dass der Islam mit der Demokratie sehr wohl vereinbar ist, wenn man ihn neu interpretiert.(7) Scheinbar fällt nicht nur mir schwer, diese Möglichkeit anzunehmen, denn aus dem Publikum kamen vereinzelte Rufe, die genau das ebenfalls in Frage stellten.

Allerdings ist Frau Ebadi für mich allein aufgrund ihrer jahrelangen Arbeit als Anwältin der Unterdrückten so gut wie unanfechtbar. Wenn es ihrer Überzeugung entspricht, dass der Islam veränderbar, reformierbar ist und wenn sie weiterhin der Überzeugung ist, dass ein anders interpretierter Islam dazu dienen kann, im Land Iran einen demokratischen Staat zu errichten, dann möchte ich ihr glauben. Selbst wenn es mir aufgrund meiner eigenen Überzeugung schwer fällt. Doch wie ich schon mehrfach betonte: jedes Land, jedes Volk muss die Möglichkeit haben, seinen eigenen Weg in den Demokratie zu finden. Und darin stimme ich mit Frau Ebadi überein: der Weg des Iran zur Demokratie wird vermutlich ohne die Einbeziehung des Islam nicht möglich sein.

Shirin Ebadi begreift die Demokratisierung als Prozess, als etwas dynamisch Wachsendes: „Dieser Prozess hat in Iran begonnen. Die Proteste dauern an und werden die Regierung zwingen, die Forderungen zu erfüllen.

Sie streitet dem derzeitigen Regime ab, sich Forderungen der Weltöffentlichkeit zu verbitten und zu entziehen, „denn universelle Menschenrechte und deren Einhaltung sind keine inneren Angelegenheiten eines Landes“. Sie verschwieg nicht, dass auch in den westlichen Staaten Menschenrechtsverletzungen noch immer vorkommen. Jedoch: „Menschenrechtsverletzungen in einem anderen Staat können nicht Rechtfertigung für diese in Iran (oder jedem anderen) sein.

In ihren letzten Sätzen bat Shirin Ebadi die Zuhörer (und die Welt) darum, sich nicht an Krieg oder Boykott gegen den Iran zu beteiligen. Denn dies würde die gerade beginnende Demokratiebewegung zerstören und letztlich nur den einfachen Menschen schaden.

Sie verabschiedete sich vom Publikum, dass sie mit stehenden Ovationen feierte, mit den Worten: „In der Hoffnung auf den Tag...

Frank Navissi
 

Anmerkungen:

(1) Die Schari'a, eingedeutscht Scharia … ist das religiös legitimierte, unabänderliche Gesetz des Islam. (Wikipedia)
(2) Darüber schreibt Shirin Ebadi sehr eindrucksvoll in ihrer Biographie „Mein Iran“.
(3) http://www.un.org/apps/news/story.asp?NewsID=32567&Cr=iran&Cr1=human+rights
(4) http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/480899/index.do
(5) Diese Einschätzung Shirin Ebadis darf auch als Kritik an Mir-Hossein Mussavi, Mehdi Karoubi und Mohsen Rezaie verstanden werden.
(6) Die Basidsch-e Mostaz'afin (auch Basij, Bassiji, Bassidji, Bassidschi )sind eine paramilitärische Miliz des Iran, die sich aus Freiwilligen rekrutiert. Organisatorisch sind sie eine Abteilung der Iranischen Revolutionsgarde. (Wikipedia)
(7) Vgl. http://nicsbloghaus.org/archives/927-Shirin-Ebadi-Mein-Iran.html