FREIBURG. (hpd) In einem beispiellosen Vorgang hat der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) ein Ultimatum von 24 Stunden gestellt.
Ein Kommentar von Matthias Krause
Die Bundesjustizministerin hatte am Montag Abend (22.02.2010) in den Tagesthemen gesagt, es sei bisher nicht der Eindruck da, dass die Verantwortlichen der Katholischen Kirche auch bei Verdachtsfällen konstruktiv mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten. Ein aktives Interesse an rückhaltloser und lückenloser Aufklärung sei bisher leider nicht ersichtlich. Sie erwarte, dass die Verantwortlichen der Katholischen Kirche endlich konstruktiv mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten, Hinweise geben, mit aufklären.
„Maßlose Polemik“? „Undifferenziert und emotional“?
Zollitsch nannte die Äußerungen “undifferenziert und emotional”. Er erwarte, dass Leutheusser-Schnarrenberger sie innerhalb von 24 Stunden zurücknehme. [sueddeutsche.de]
Aus Kreisen der in Freiburg tagenden Vollversammlung der katholischen Bischöfe hieß es dazu, die Fristsetzung sei ein notwendiger Schritt, um eventuell mit einer Unterlassungsklage dafür zu sorgen, dass die Ministerin ihre Behauptungen aus dem Tagesthemen-Interview vom Montagabend nicht mehr wiederhole. [domradio.de]
Er könne sich keiner schlimmeren Attacke eines Mitglieds einer Bundesregierung gegen die katholische Kirche entsinnen, sagte Zollitsch bei der Frühjahrsvollversammlung der Bischofskonferenz in Freiburg. „Sie hat maßlos gegen unsere katholische Kirche polemisiert.“ [FAZ.NET]
Er wolle seinen Protest am Dienstag auch in einem Telefonat mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ausdrücken.
„Wahrheitswidrig“?
Zollitsch kritisierte die Ministerin scharf, weil diese der Kirche wahrheitswidrig vorhalte, bei der Aufklärung von Missbrauchsfällen nicht mit der staatlichen Justiz zusammenzuarbeiten. “Die Ministerin behauptet, bisher habe sie nicht den Eindruck, dass die Verantwortlichen der katholischen Kirche auch nur beim Verdacht auf sexuellen Missbrauchs konstruktiv mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten wollten”, so Zollitsch. Dies sei rundweg falsch. Auch gebe es seit mehreren Jahren kirchliche Leitlinien, die eine Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft vorsähen. [kath.net]
Es ist allerdings Zollitsch, der hier die Unwahrheit sagt. In dem entscheidenden Satz der bischöflichen Leitlinien heißt es nämlich: In erwiesenen Fällen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger wird dem Verdächtigten zur Selbstanzeige geraten und ggf. das Gespräch mit der Staatsanwaltschaft gesucht.
Mit anderen Worten: Solange es sich nur um einen unbewiesenen Verdacht handelt, wird die Staatsanwaltschaft nicht informiert – anders macht der Hinweis auf die Selbstanzeige keinen Sinn.
Dies war auch genau das, was die Ministerin kritisiert hat, als sie davon sprach, dass nicht erkennbar sei, dass die Verantwortlichen der Katholischen Kirche auch bei Verdacht auf Missbrauch konstruktiv mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten. Konkret zu den Richtlinien sagte sie: „Kindesmissbrauch ist ein Offizialdelikt. Und da können nicht andere drüber entscheiden, ob dieses Delikt verfolgt wird oder nicht. Und dann muss es eben andere Richtlinien geben. Ich glaube, es ist vorbei, zu versuchen, solche Richtlinien zu rechtfertigen. Über 120 Missbrauchsfälle allein in den letzten wenigen Wochen – und es ist ja wohl zu befürchten, dass es immer mehr werden –, und deshalb muss natürlich sofort die Staatsanwaltschaft informiert werden, und es muss aufgeklärt werden – im Interesse der Katholischen Kirche.“
Die Moderatorin hatte gefragt: „Nach den bisherigen Leitlinien der Katholischen Kirche wird immer erst eine kirchenrechtliche Voruntersuchung eingeleitet, und dann gegebenenfalls die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Müsste das nicht sofort in jedem Verdachtsfall geschehen?“
Was, bitteschön, hatte die Justizministerin anders darauf antworten sollen?
Falscher Eindruck?
Der zweite Punkt, den Erzbischof Zollitsch anprangert ist, dass Leutheusser-Schnarrenberger mit ihrer obigen Formulierung von „über 120 Missbrauchsfällen allein in den letzten wenigen Wochen“ suggeriere, dass diese Fälle aus der jüngeren Vergangenheit stammten, während sie tatsächlich 25 bis 30 Jahre zurücklägen.
Wer die Ministerin höre, könnte meinen, die bislang 115 bekannt gewordenen Fälle von Missbrauch und Misshandlung an Kindern und Jugendlichen in der katholischen Kirche seien erst in jüngster Zeit begangen worden. Sie lägen aber 25 bis 30 Jahre zurück. [FAZ.NET]
Auch dieser Vorwurf ist absurd. Denn unmittelbar zuvor hatten sowohl die Moderatorin als auch die Ministerin zum klar zum Ausdruck gebracht, dass es sich um alte Fälle handelt. Die Moderatorin sprach von „jahrzehntelanger Vertuschung“, und Frau Leutheusser-Schnarrenberger davon, dass viele Fälle bereits verjährt seien.
Mod: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, wenn Sie sich das ganze Ausmaß dieser Missbräuche anschauen, die hinter Kirchenmauern jahrzehntelang vertuscht wurden, ohne, dass der Staat eingreifen konnte: Wie hilflos fühlt sich da eigentlich eine Bundesjustizministerin?
SLS: Das ist wirklich erschütternd. Das Ausmaß ist ja noch gar nicht absehbar. Es steht zu befürchten, dass – auch in Deutschland – viele dieser Missbrauchsfälle nicht mehr strafrechtlich geahndet werden können, weil sie verjährt sind. Aber das Allerschlimmste ist: Was hier jungen Menschen angetan wurde, das kann ihr ganzes Leben zerstört haben – und das macht auch etwas hilflos.
Anmerkung: Man wundert sich, weshalb sich die Bischofskonferenz auf die Justizministerin einschießt und nicht auf die Moderatorin, die von „jahrzehntelanger Vertuschung“ als Faktum spricht.
Fazit
Das Ultimatum der Bischofskonferenz an die Bundesjustizministerin ist eine beispiellose Unverschämtheit. Es gibt an den Aussagen der Ministerin nichts zurückzunehmen. Selbstverständlich muss die Bundesjustizministerin fordern, dass bei dem Verdacht auf sexuellen Missbrauch die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wird. Die Leitlinien der Bischofskonferenz sehen dies nicht vor und bestätigen damit gerade den Punkt, den Frau Leutheusser-Schnarrenberger kritisiert.
Daran wird aber auch deutlich, dass die Bischofskonferenz hier ein falsches Spiel spielt: Denn mit dem Hinweis auf die bischöflichen Leitlinien sollen die Bürgerinnen und Bürger offenbar für dumm verkauft werden. Dort ist zwar von einer Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft die Rede – aber nur bei erwiesener Schuld (s.o.) oder wenn die Staatsanwaltschaft sowieso schon ermittelt.
Die Ministerin hat Recht: Das erweckt nicht den Eindruck, dass die Verantwortlichen der Katholischen Kirche auch schon bei Verdachtsfällen konstruktiv mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten.
Ja, man muss erwarten, „dass die Verantwortlichen der Katholischen Kirche [auch bei Verdachtsfällen] endlich konstruktiv mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten, Hinweise geben, mit aufklären.“
Und ja: Die Richtlinien der Bischofskonferenz müssen nicht gerechtfertigt werden, sondern geändert!