Drei Fragen an... Gunnar Schedel

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Foto/Montage: Evelin Frerk, unter Verwendung Szenenbild Musical "In Nomine Patres"

LUDWIGSHAFEN (hpd) Am Wochenende 13./14. März findet die vom Dachverband Freier Weltanschauungsgemeinschaften (DFW) und dem Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) organisierte Tagung „Religiöse und weltanschauliche Meinungsfreiheit“ statt. Im Vorfeld stellt hpd die Referenten und ihre zentralen Thesen in Kurzinterviews vor.

hpd: Die Tagung stellt die Forderung nach Abschaffung des § 166 StGB; teilst du dieses Anliegen?

Gunnar Schedel: Ja, und zwar uneingeschränkt. Der § 166 StGB ist ein reiner Zensurparagraph, der ganz überwiegend dazu dient, respektlose und populär aufgemachte Kritik an Religionen zu unterbinden.

Außerdem birgt die derzeitige Fassung des Paragraphen das Problem, dass sie religiöse Auffassungen umso eher schützt, je intoleranter deren Anhänger sind. Da der heute gültige § 166 StGB in einer Zeit formuliert wurde, in der eher liberale Interpretationen des Christentums in Deutschland tonangebend waren, spielte das bislang keine große Rolle. Aber schon das Urteil im Fall „Maria-Syndrom“ hat gezeigt, welch gefährliches Potential in der Konstruktion liegt, die den „öffentlichen Frieden“ zum schützenswerten Gut macht. In Zeiten, in denen konservative und reaktionäre Strömungen in den großen Religionen zunehmend an Gewicht gewinnen, sehe ich die Gefahr, dass zum Beispiel freche Karikaturen durch inszeniserte Krawalle aus der Öffentlichkeit gedrängt werden können.

hpd: Kann – Stichwort Karikaturenstreit – die Frage der Beschimpfung von Religionen heute wirklich noch so diskutiert werden wie in den 1970er Jahren?

Gunnar Schedel: Nein, natürlich nicht. Durch Migration und Konversion hat sich auch in Deutschland die religiöse Landschaft ausdifferenziert. Als Folge davon lassen sich die Konfliktlinien nicht mehr so einfach bestimmen, wie zu den Zeiten, als sich emanzipatorische Bewegungen und die beiden großen christlichen Kirchen gegenüberstanden. Es gibt Webseiten oder Bürgerinitiativen, die sich einer religionskritischen Rhetorik bedienen, tatsächlich aber – nach meiner Einschätzung – eine fremdenfeindliche Politik verfolgen. Allerdings ist derart „religionskritisch“ maskierter Rassismus in der Regel schnell zu erkennen, denn Religionskritik zielt auf die Emanzipation des Individuums, Rassismus hingegen schreibt Menschen auf eine vermeintlich unwandelbare Identität fest. Wer sich das an einem Beispiel ansehen will, kann einen Blick werfen auf die Reaktionen der überwiegenden Mehrheit der Nutzer des Internetportals Politically Incorrect auf die Forderung nach Asyl für Ex-Muslime.

Insofern haben sich die diskursiven Rahmenbedingungen geändert, nicht aber der Kern des § 166, der nach wie vor auf Kommunikationskontrolle zielt. Wer meint, mit dem „Gotteslästerungsparagraphen“ fremdenfeindliche Hetze aus dem öffentlichen Bewusstsein verbannen zu können, wählt das falsche Mittel – und muss sich fragen lassen, warum.

hpd: Welche rechtlichen oder politischen Instrumente sind notwendig, damit Menschen in ihrer Religionsausübung nicht gestört werden?

Gunnar Schedel: Ideologie muß immer kritisiert werden können, und zwar auch frech und scharf. Insofern sollten Religionen nicht anders behandelt werden als politische Anschauungen und religiöse Würdenträger nicht anders als politische Mandatsträger. Die auch von manchen organisierten Konfessionslosen geteilte Forderung, dass Religion von vorneherein Respekt entgegengebracht werden muss, halte ich für falsch. Respekt kann nur Menschen entgegengebracht werden – wenn sie sich entsprechend verhalten.

Die in einigen juristischen Aufsätzen gepflegte Vorstellung, dass die religiöse Orientierung zum (gewissermaßen unveränderlichen) Kernbestand der Identität gehört, ist ein leicht durchschaubarer Versuch, Religion der Kritik zu entziehen. Denn sie negiert eine der zentralen Ideen der Aufklärung: dass Menschen sich von ihrer „angeborenen“ Religion emanzipieren können. Um also auf die Frage zu antworten: Es muss gewährleistet sein, dass Menschen ihren Glauben leben können, ohne mit gewalttätigen Übergriffen oder systematischer Ausgrenzung und Benachteiligung rechnen zu müssen; aber es kann keinen Anspruch darauf geben, vor Widerspruch und Protest abgeschirmt zu werden.

Die Fragen stellte Martin Bauer.

Gunnar Schedel ist Literaturwissenschaftler und Verleger, als Teil des Schreibkollektivs Clara und Paul Reinsdorf hat er 1997 eine Aufsatzsammlung zum „Gotteslästerungsparagraphen“ herausgegeben. Im Jahr 2000 wurde er anonym wegen Verstoßes gegen den § 166 StGB angezeigt, als im Alibri Verlag das Buch „Dalai Lama – Fall eines Gottkönigs“ erschienen war. Nach sechsmonatiger Ermittlungsarbeit wurde das Verfahren eingestellt. Auf der Tagung wird er über die politischen und rechtlichen Auswirkungen des § 166 StGB referieren.

 


Tagung zur weltanschaulichen Meinungsfreiheit (26.2.2010)