Sozialstaat als Wohlstandsmotor

(hpd) Der Betriebswirt Andreas Oppacher vergleicht in seinem Buch die soziale und wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland mit der in Dänemark, Finnland und Schweden. Er macht dabei anhand von statistischem Material überzeugend deutlich, dass eine relativ gleichmäßige Einkommensverteilung in einem aktiven Sozialstaat sehr wohl mit hohem Lebensstandard und stabilem Wirtschaftswachstum einhergehen kann.

 

An Ludwig Erhards bekannte Maxime „Wohlstand für alle“ erinnert man sich heute kaum noch. Die Auffassung, es sei eine gleichere Einkommens-, Güter- und Wohlstandsverteilung möglich, gilt gar als idealistisch und wirklichkeitsfremd. Demgegenüber veranschaulicht der Blick in den hohen Norden: „Wohlstand für viele“ ist keine Utopie, „Wohlstand für viele“ kann Wirklichkeit sein. Dies zeigen die skandinavischen Länder, die ein Mehr an sozialer Gleichheit mit einem Mehr an Bildung und Wirtschaftswachstum und einem Weniger an Arbeitslosigkeit und Armut verbinden. Der Betriebswirt Andras Oppacher macht darauf in einer vergleichenden Perspektive in seinem Buch „Deutschland und das Skandinavische Modell“ aufmerksam. Es will Antwort auf die Frage geben, „wie in Deutschland ein dauerhafter Wohlstand auf breiter Basis erreicht werden kann“ (S. 7). Dazu dient dem Autor, der als „überzeugter Anhänger einer solidarisch geprägten Marktwirtschaft“ vorgestellt wird, vor allem der Vergleich mit Dänemark, Finnland und Schweden.

Zunächst geht es aber um die ökonomische und soziale Entwicklung in Deutschland, die mit der angebotsorientierten Fixierung zu Lohneinbußen, Massenarbeitslosigkeit, Sozialabbau und Wachstumseinbrüchen führte. Aufgrund der Ignoranz gegenüber einer gesamtwirtschaftlichen Perspektive sei es zu einer Vernachlässigung der Nachfrageseite gekommen. Die immer ungleichmäßigere Einkommensverteilung und die tendenziell sinkende Reallohnentwicklung bedingten einen Negativeffekt auf Binnenkonsum und Massenkaufkraft. Demgegenüber gingen die skandinavischen Länder mit einem hohen Lebensstandard bei relativ gleichmäßiger Einkommensverteilung für Oppacher einen anderen Weg: Die allgemeine Arbeitslosenquote wie die Zahl der Langzeitarbeitslosen sei geringer, die allgemeine Beschäftigungsquote wie die für Frauen sei höher. Ein aktiver Sozialstaat gilt ihm nicht nur aus ethischen oder gesellschaftlichen Gründen als wünschenswert, handele es sich doch auch um einen Wohlstandsmotor zur Steigerung von Beschäftigung und Wachstum.

Bilanzierend heißt es: „Das Skandinavische Modell ist unter den gegenwärtigen Wirtschafts- und Sozialsystemen mit Abstand am besten dazu geeignet, dem Ideal des ‚Wohlstandes für alle’ nahezukommen. Eine gleichmäßigere Einkommensverteilung, wie sie in den nordischen Ländern vorherrscht, würde in Deutschland zu einer dauerhaften Stärkung der Binnennachfrage führen und damit wesentlich dazu beitragen, das schwerwiegendste wirtschaftliche Problem unseres Landes zu lösen. In den skandinavischen Ländern scheint es außerdem einen Unterschied in der Sozialethik bzw. in der Wertevorstellung des Menschen zu geben. Die dort vorherrschende Mentalität bewertet das Gemeininteresse traditionell hoch. Daraus folgt auch ein weitaus positiveres Verhältnis der Bürger zu ihrem Staat und der Politik gegenüber“ (S. 102). Oppacher leitet aus diesen Erkenntnissen mit den Stichworten Besteuerung nach Leistungsfähigkeit, Reformierung der Sozialversicherung, Stärkung der Kommunen, Verbesserung des Bildungssystems Empfehlungen für Deutschland ab.

Die vergleichende Betrachtung mit den skandinavischen Ländern macht deutlich: Globalisierung und Wirtschaftsentwicklung sind keine Sachzwänge, welche Gesellschaft und Politik alternativlos hinzunehmen haben. Eine andere Ausrichtung der ökonomischen und sozialen Entwicklung lässt sich in der konkreten Realität ausmachen, es handelt sich um keine utopischen Träume. Oppacher macht dabei deutlich, dass eine gleichmäßigere Einkommensverteilung sehr wohl auch mit einem Mehr an Wirtschaftswachstum einher gehen kann. Dafür präsentiert der Autor Fakten aus offiziellen Statistiken als überzeugende Belege. Sie machen deutlich, was man aus einer vergleichenden Betrachtung lernen kann. Inwieweit sich allerdings die Vorgaben aus Skandinavien auf die Situation in Deutschland übertragen lassen, wäre noch kritisch zu reflektieren. Oppacher hätte hier Unterschiede in der politischen Kultur stärker berücksichtigen können. Gleichwohl verdient sein Blick in den Norden für die Diskussion in Deutschland größte Aufmerksamkeit.

Armin Pfahl-Traughber

Andreas Oppacher, Deutschland und das Skandinavische Modell. Der Sozialstaat als Wohlstandsmotor, Köln 2010 (Pahl-Rugenstein Verlag), 144 S., 14,90 €