Weltanschauliche Diskriminierung in Europa (I)

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Veranstaltungsplakat

GRAZ. (hpd) Mit der komplexen Thematik der religiös-weltanschaulichen Diskriminierung befasste sich am 27. und 28. Mai 2010 eine internationale Konferenz mit Wissenschaftlern aus ganz Europa im Meerscheinschloss der Universität Graz. Die Tagung veranlasste Gerhard Czermak zu grundsätzlichen Erwägungen über die Diskriminierung von Säkularen in Deutschland, die in zwei Teilen erfolgen wird.

Initiator und Hauptveranstalter war der Grazer Prof. Christian Brünner von der Rechtswiss. Fakultät in Verbindung mit FOREF Europe (Forum für Religionsfreiheit), weitere Veranstalter waren Prof. Gerhard Besier von der Philos. Fakultät der TU Dresden, Willi Fautré von „Human Rights Without Frontiers“, Brüssel und Rechtsanwalt Reinhard Kohlhofer aus Wien, ein Menschenrechtsspezialist.

Teil 1: Religiöse Diskriminierung

Angesichts des gewaltigen Tagungsprogramms (Konferenzsprachen Deutsch und Englisch) mit dem Fokus auf Gesellschaft und Recht können hier inhaltlich nur einige punktuelle Eindrücke wiedergegeben werden. Sie machen leider kaum Hoffnung auf eine deutliche Verbesserung der Verhältnisse in naher Zukunft. Das betrifft, wenn auch weniger auffällig, auch säkulare Humanisten.

Christliche Identität und „Sekten“bekämpfung?

Die Tagung wurde von religiös unabhängigen Institutionen und Personen getragen. In seiner Einführung lehnte Prof. Brünner eine staatliche Herrschaft über die Werte ab, zumal das stets zu Diskriminierungen führe. Er führte u.a. aus: Eine christliche Identität kann keine europäische Leitkultur sein, denn Menschenwürde bedeutet ja das Recht auf Anderssein. Ein Problem ist die wechselseitige Instrumentalisierung von Religion und Politik. Auf eine bloße Privatsache ist die stets auf Sichtbarkeit angelegte Religion nicht zu reduzieren. Bei der Suche nach Regeln für Toleranz und Konfliktlösung sollten sich auch die Nichtgläubigen beteiligen.

– Prof. Besier verwies auf aktuelle Attacken der deutschen kirchlichen Sektenbeauftragten auf die Zeugen Jehovas (ZJ). Der baden-württembergische Justizminister Ulrich Goll verschickte unlängst Briefe an Aussteiger, um mehr über die Zeugen Jehovas zu erfahren, deren Gleichstellung mit den Kirchen er verhindern will. Die Vorwürfe gegen die ZJ seien nicht substantiiert: ein typisches Verhalten aller Sektenbekämpfer. Sie arbeiten mit Stereotypen und abstrakten Begriffen wie „konfliktuös“, was bereits negative Wirkungen erziele, zumal in die andere Richtung gehende konkrete Informationen ausgeblendet würden. Wer als Stellensuchender angebe, einer kleinen Religionsgemeinschaft anzugehören, vermindere seine Chancen dramatisch. – Prof. David Kirkham, Provo/USA benannte generell als Gründe für die internationale offizielle und inoffizielle religiöse Diskriminierung Unwissenheit, Angst und Machtstreben.

Länderberichte

a) Im Rahmen der zahlreichen Länderberichte stellte Marat Shterin Großbritannien als einen besonders säkularisierten Staat vor, obwohl 74% der Bevölkerung sich als „christlich“ bezeichneten. Das werde aber als unwichtig angesehen zur Beurteilung der Frage, ob man sich britisch fühle. 81% lehnten es ab, andere zu missionieren. Die Regierung sei vollkommen säkular und praktiziere Neutralität in Religionsangelegenheiten. Auch in England gebe es in Wirklichkeit keine Staatskirche. Religiös diskriminierende Parteien oder Bewegungen kenne man nicht. Paradoxerweise wüchsen sowohl Toleranz und Relativismus als auch eine Gegenbewegung.

b) Frankreich bemüht sich, auf Grund seiner besonderen historischen Tradition (kirchenkritische Trennungsgesetzgebung von 1905) die Sphäre des Öffentlichen von Religion frei zu halten. Damit hängen wohl zumindest teilweise die besonderen Schwierigkeiten zusammen, die Frankreich mit seinen neuartigen religiösen Minderheiten hat. Man macht sich nicht die Mühe, den behaupteten Missbrauch der Religion konkret zu untersuchen und ggf. zu sanktionieren, sondern geht rigide und pauschal von Staats wegen gegen religiöse „Sekten“ vor.

Auch Belgien folgt dieser französischen Politik des Misstrauens gegen religiöse Nonkonformisten und stigmatisiert diese, wie Willy Fautré, Director of Human Rights Without Frontiers Int. ausführte, nur nicht ganz so aggressiv wie Frankreich. Dabei hat Prof. Fautré 1999 einen Aufsatz immerhin mit dem Titel versehen: „Belgium’s Anti-Sect War“ und redet sogar von „Hass-Sprache“. Auch der belgische Staat betreibe eine Institution zur Sektenbeobachtung und habe zusammen mit den Medien ein Klima der Intoleranz und Diffamierung geschaffen. Der Hauptirrtum der belgischen Autoritäten (und nicht nur dieser, sondern z.B. auch deutscher), resümiert Fautré, besteht darin, dass man auf politische, ideologische oder private Interessengruppen hört und gegen warnende Stimmen von Soziologen, Religionshistorikern sowie Verfassungs- und Menschenrechtlern taub ist. In Italien, so ein Politologe, werden alle diskriminiert, die nicht katholisch sind.