Humanistische Bestattungskultur

BERLIN. (hpd) Dass immer weniger Menschen in Deutschland den Kirchen angehören, zeigt sich mittlerweile auch im Alltag immer deutlicher. Besonders augenfällig wird diese Entwicklung im Bereich der Bestattungen. Die Humanistische Akademie Deutschlands hat dazu im Sommer 2009 eine Tagung veranstaltet; nun liegt der Band mit den Vorträgen und weitere Texten in der Schriftenreihe der Akademie vor. hpd sprach mit Herausgeber Horst Groschopp.

Über ein Drittel der Menschen wird heute in Deutschland bereits ohne Kirche bestattet – worin liegt der Unterschied zwischen einer weltlichen und einer humanistischen Bestattungskultur?

Horst Groschopp: Ich halte „Weltlichkeit“ für ein wichtiges Element humanistischer Bestattungskultur, aber nicht für hinreichend, sie zu definieren. Die Bestimmung „weltlich“ entstand im 19. Jahrhundert im Zuge der Säkularisierungen in Gesellschaft und Staat. Das Wort war zunächst Teil des Streits zwischen den weltlichen Laien und den kirchlichen Priestern, und wurde um 1900 von freidenkerischen Freireligiösen aufgegriffen. „Weltlich“ wurde dann in den 1920er Jahren zu einem freidenkerischen Kampfbegriff („weltliche Schule“). Die Bezeichnung bekam hier sowohl die eindeutige zeitliche Dimension der Endlichkeit des Lebens als auch einen klaren irdischen Bezug auf Diesseitigkeit, weshalb es auch zu Debatten über „weltliche Trauerfeiern“ kam, besonders bei den Feuerbestattungen. Da jedoch dem konsequenten Nichtglaubenden alles „weltlich“ ist, wäre sozusagen jede nichtreligiöse Bestattung eine humanistische.

Humanistisch sind Bestattungskulturen, so könnte das Ergebnis des Buches lauten, in denen der Umgang mit dem Tod und mit Toten auch noch zusätzlich nach den Prinzipien der Individualität, Selbstbestimmung, Toleranz, Solidarität und Barmherzigkeit erfolgt und zwei weltanschauliche Grundannahmen beachtet werden: erstens, dass alle Menschen als Menschen gleich sind beim Tod und als Tote; und zweitens, dass die Erklärung des Todes und der Trauer keiner Berufung auf einen Gott oder auf transzendentale Axiome bedarf.


Rituale in der säkularen Szene? Diese Vorstellung dürfte kaum allgemeine Zustimmung finden.

Horst Groschopp: Als vor zehn Jahren die Humanistische Akademie Berlin und besonders mehrere Theoriehefte „humanismus aktuell“ den Begriff Ritual positiv zu besetzen begannen, gab es zunächst auch einigen Widerspruch, besonders bei Kolleginnen und Kollegen, die religionswissenschaftlich bzw. freudianisch geschult waren und ihn mit „Ritus“ in Verbindung mit „Herrschaftsform“ übersetzten. Inzwischen hat ein modernerer Ritualbegriff die Oberhand gewonnen, der von Ritual-Erfahrungen ausgeht und hier Ritualisierungen, Anstandsregeln, Zeremonien, Magien, Liturgien und Feiern unterscheidet und zueinander in Beziehung setzt. Im Allgemeinen gilt heute der Satz: „Sag mir, warum Du hier ein Ritual siehst, damit ich Dir sagen kann, warum ich das auch so oder anders sehe.“


Kann die humanistische Bestattungskultur an Traditionen anknüpfen?

Horst Groschopp: In dem Buch werden mehrere Ansätze vorgestellt, danach zu fragen, zuallererst die eigene Praxis der säkularen Verbände, eingebunden zum Beispiel in die Geschichte der Feuerbestattung und der weltlichen Bräuche der lange Zeit freidenkerisch beeinflussten Arbeiterbewegung. Ganz besonders verweisen will ich auf den Beitrag des Altphilologen Hubert Cancik, der uns erklärt, dass humanistische Anfänge in den Antike liegen, die sozusagen entsäkularisiert wurden durch das Christentum.

Die sich verändernde Bestattungskultur ist sicherlich im Rahmen der fortschreitenden Säkularisierung der Gesellschaft zu sehen, aber welche Prozesse genau laufen da ab?

Horst Groschopp: Ich sehe hier nicht nur einen Trend zur Säkularisierung, etwa bei den inzwischen allgemein vorkommenden „anonymen Bestattungen“, die ich auch als Ausdruck von Individualisierung sehe. Es geht hier insgesamt sehr multireligiös zu und damit zugleich multikulturell. Im Beitrag von Hartmut Kreß wird zum Beispiel aus evangelischer Sicht auf Hemmnisse verwiesen, die aus der vergangenen kirchlichen Dominanz in den Friedhofsordnungen folgern. Dass nun immer mehr muslimische Riten und Friedhöfe möglich werden, ist Ausdruck dieses Wandels. Ich kann auch auf Heavy Metal-Art bestattet werden, wenn ich das will, oder als Fan auf dem HSV-Friedhof. In den großen Städten haben die Bestatter inzwischen Informationen parat, was bei allen irgendwie vorkommenden Bestattung zu beachten ist – auch die christliche muss oft inzwischen erklärt werden.

Frappierend ist, wie Grundsätze etwa humanistischer Trauerreden, in den entsprechenden Organisationen entwickelt, heute zu den Standards im Bestattungsgeschäft gehören, wenn auch oft als Versatzstücke. Aber gerade dies zeigt, dass auf diesem Feld schnelle Veränderungen stattfinden.


Wie sehen die neuen Bestattungsformen konkret aus?

Horst Groschopp: Zunächst, das verdeutlicht der Beitrag von Stephan Hadraschek, gibt es Dominanzen der traditionellen Formen Erd- und Feuerbestattung, je nach Landstrich mit starkem Nordost-Südwest-Gefälle. Aber man kann davon ausgehen, dass das, was machbar ist, auch gemacht wird bis hin zum Pressen von Diamanten aus einem Teil der Asche. Die meisten dieser neuen Formen werden im Buch vorgestellt. Sie bestimmen nicht das Bestattungswesen, werfen aber zum Beispiel Freiheitsprobleme auf: Wem gehört die Asche und wieso muss die Urne auf den Friedhof. All dem geht das Buch nach.