Jubiläum

Säkulare Feier zu 70 Jahre Grundgesetz

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Thomas Darnstädt bei der Verfassungsfeier

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Michael Schmidt-Salomon & Ingrid Matthäus-Maier

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Unter den Gästen: Kristina Hänel

Am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz erlassen. Bei einem Festakt in Karlsruhe feierten das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) und die Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) das 70. Jubiläum der Verfassung. 

Das Grundgesetz ist zweifelsohne einer der entscheidendsten Meilensteine in der Entwicklung Deutschlands zu einem demokratischen und modernen Rechtsstaat. Mit ihm wurden wesentliche Elemente der UN-Menschenrechtserklärung in die deutsche Verfassung aufgenommen, die uns heute fast als selbstverständlich erscheinen. 70 Jahre Grundgesetz heißt nämlich auch 70 Jahre Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person – und das unabhängig von Geschlecht, Herkunft und Weltanschauung. 

Die staatlichen Feierlichkeiten zum Grundgesetz-Jubiläum begannen am Mittwoch mit einer Ansprache von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Unweit davon entfernt, im Spiegelsaal des altehrwürdigen Schlosshotels, veranstaltete das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) in Kooperation mit der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) einen eigenen Festakt, bei dem nicht nur die Licht-, sondern auch die Schattenseiten des deutschen Rechtssystems beleuchtet wurden. Im Vordergrund standen dabei vor allem die historische Rolle der Justiz im säkularen, weltanschaulich neutralen Staat. 

"70 Jahre Grundgesetz bieten nicht nur die Gelegenheit, unsere Verfassung zu würdigen, sondern auch kritisch darüber nachzudenken, ob der Verfassungstext auch bereits Verfassungswirklichkeit ist", erklärte Michael Schmidt-Salomon, Vorstandssprecher der gbs und Mitglied des ifw-Direktoriums, der die Gäste der frühzeitig ausgebuchten Veranstaltung begrüßte. Denn in vielen Bereichen bestehe bis heute eine Diskrepanz zwischen Anspruch des Grundgesetzes und der politischen Realität – beispielsweise bei der Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen oder der Gesetzgebung zur Sterbehilfe. 

Beispielbild

Foto: © ifw


Eine kritische Würdigung des Grundgesetzes

Wie es dazu kommen konnte, beleuchtete der Festredner Thomas Darnstädt. Als Jurist und langjähriger Redakteur beim Spiegel hatte er sich intensiv mit den weitgehend unbekannten Hintergründen der jüngeren deutschen Rechtsgeschichte beschäftigt und diese in dem vielgelobten Buch "Verschlusssache Karlsruhe: Die internen Akten des Bundesverfassungsgerichts"  festgehalten. 

Darnstädt wurde 1949 geboren – im gleichen Jahr also, als das Grundgesetz in Kraft trat. In seiner lebhaften Rede beschrieb er, wie die Karlsruher Richterinnen und Richter nach dem Untergang des nationalsozialistischen Unrechtsstaates die Grundlagen für eine freiheitliche Gesellschaft legten und die Gleichberechtigung der Geschlechter gegen den erbitterten Widerstand religiös-patriarchaler Kräfte durchsetzten: "Die Befreiung von der 'ewigen' Wahrheit über Männer und Frauen war zugleich der entscheidende Schritt in die Demokratisierung der Gesellschaft". Damit sei auch ein Tabu gebrochen worden: "Warum sind Männer und Frauen gleichberechtigt?", fragte Darnstädt. "Nicht weil dies einer höheren Schöpfungsordnung entspräche, sondern weil es zum Teufel im Grundgesetz steht!" Die Richter hätten die Demokratie "sozusagen von Wolke Sieben des Wertehimmels auf den Boden des Grundgesetzes gestellt."

Darnstädt führte aus: Die Erfolgsgeschichte der Verfassung sei eng verbunden mit der Abkehr von überholten Ideen, Dogmen und Sittlichkeitsvorstellungen, die der Selbstentfaltung und Handlungsfreiheit des Einzelnen entgegenstehen. Nicht die Freiheit des Bürgers sei rechtfertigungspflichtig, sondern deren Beschränkung. Denn jeder darf das tun und lassen, was er möchte, solange es ihm oder ihr nicht mit "verdammt guten Gründen" verboten werden kann. 

Doch nicht immer wurden die Prinzipien der Liberalität und weltanschaulichen Neutralität berücksichtigt. So hatte das Bundesverfassungsgericht beispielsweise bei der Bewertung der Homosexuellenverfolgung in der Bundesrepublik eine unrühmliche Rolle gespielt. Es folgte dem Druck ultrakonservativer christlicher Kreise und stellte religiöse Moralvorstellungen über die im Grundgesetz verankerten Selbstbestimmungsrechte des Individuums.

Im Anschluss an die Festrede vertiefte Thomas Darnstädt seine Ausführungen bei einer Podiumsdiskussion mit Ingrid Matthäus-Maier und Michael Schmidt-Salomon. Matthäus-Maier setzte sich in den 1970er und 1990er Jahren im Deutschen Bundestag für die Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs ein und engagiert sich heute insbesondere gegen religiöse Diskriminierung am Arbeitsplatz. In der Diskussion skizzierte sie, wie vehement die Kirchen an ihren Sonderrechten festhalten und sich damit außerhalb das allgemein geltenden Gesetzes bewegen – etwa indem sie ihren Angestellten das Streikrecht verwehren.

Beispielbild

Zur Feier des Tages: Die Verfassungs-Torte – Foto: © ifw



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