Selten in der jüngeren Vergangenheit war ein Jahreswechsel mit so viel Unsicherheit beladen wie dieser: Weder die Spitze der führenden Weltmacht noch die Verfassung des politischen Europa noch die deutschen Befindlichkeiten zu Beginn eines Wahljahres sind dazu angetan, besondere Hoffnung auf stabile Verhältnisse und menschlichen Fortschritt zu nähren.
Im säkularen Rahmen bleibt uns jedoch nichts anderes übrig, als die Spielräume für Aufklärung und Humanismus zu nutzen, wo immer sie sich bieten. Eine Berufung auf höhere Mächte steht uns nicht zur Verfügung. Vernunft und Menschlichkeit bleiben unsere Ideale, obwohl auch sie verdreht und missbraucht werden können.
Vielleicht ist es gerade zu Beginn des Luther-Jahres ein erhellender Gedanke für freie Geister, dass wir alle der Vernunft unmittelbar unterstehen und unvermittelten Anteil an ihr haben. Wie einst die heilsvermittelnde Wirkung des katholischen Klerus von Luther kritisiert und seine Legitimation in Zweifel gezogen wurde, so sehen wir heute auch säkulare Funktionäre unter Rechtfertigungsdruck: Viele Menschen bedürfen ihrer Vermittlungsleistungen offenkundig nicht und finden ihren eigenen Weg, selbstbestimmt und ungebunden. Wer wollte ihnen das verdenken?
Die säkularen Organisationen können die Gesellschaft nur dann nachhaltig bereichern, wenn sie einladend und einbeziehend wirken, offen und transparent agieren, und sich nicht gegenseitig geringschätzen und blockieren. Im KORSO-Vorstand ist in den letzten Jahren eine Kultur des Miteinanders über Verbandsgrenzen hinweg gelungen, die produktiv ausstrahlen könnte. Vorhandene Unterschiede in Zielen und Strategien, in Größe und Anspruch, in Geschichte und Identität werden dabei offen angesprochen und respektvoll anerkannt. Gemeinsames kann gefördert werden, ohne Trennendes zu verleugnen.
Im KORSO können wir im abgelaufenen Jahr auf eine erfolgreiche und produktive Klausur im Juni in Klingberg zurückblicken. Sie hat gute Grundlagen gelegt für ein behutsames Agieren des KORSO, das keiner Mitgliedsorganisation schadet. Und wir blicken voraus auf eine erstmalige Pressekonferenz zum Jahresanfang am 13. Januar in Berlin.
Aus Sicht der säkular denkenden Bürger, seien sie agnostisch oder atheistisch, freidenkerisch, freigeistig oder humanistisch geprägt, kommt es sicherlich eher auf den Inhalt an, auf die "Botschaft" und den Kontakt zu Gleichgesinnten, als auf die organisatorische Hülle oder gar die Eigeninteressen einzelner Organisationen. Daher muss es kein Schaden sein, wenn es in der "säkularen Szene" viele unabhängige Aktivitätszentren gibt. Sie können nebeneinander bestehen und Vielfalt garantieren. Normierung ist unsere Sache nicht, und – pathetisch gesprochen – der Geist der Aufklärung und des Humanismus weht, wo er will.
An vielen Orten können säkulare Kräfte Sinnvolles bewirken, ob in großem oder in kleinem Rahmen, ob haupt- oder ehrenamtlich, ob in theoretischer oder praktischer Arbeit. Engagement bleibt sinnvoll. Es gibt keinen Grund, sich dabei bevormunden oder in falsche Abhängigkeiten bringen zu lassen. Wer im Diesseits verhaftet ist, darf sich zum selbstbestimmten Denken befreit fühlen.
Das kalendarische Angebot des Neuanfangs zum Jahreswechsel kann uns Anstoß sein, wo nötig neue Schwerpunkte zu setzen und den Ausläufern nachwirkender Kausallinien erhobenen Hauptes zu begegnen. Wer im Inneren verwirklichen kann, was er nach außen verkündet, und wer vorleben kann, was er von anderen erwartet, ist für das neue Jahr gut gerüstet. Denn persönliche Glaubwürdigkeit ist auch für Ungläubige eine Tugend. Lasst uns als Säkulare auch 2017 dem menschlichen Fortschritt dienen!
1 Kommentar
Kommentare
Horst Groschopp am Permanenter Link
Hallo Helmut, ich verstehe nicht, "dass wir alle der Vernunft unmittelbar unterstehen und unvermittelten Anteil an ihr haben".