Plakativ statt substantiell:

Wie die "Sloganisierung" unsere Debatten zerstört

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Politische Slogans – egal wie vernünftig sie, wie beispielsweise in der Klimadebatte, erscheinen mögen – haben mit der Realität relativ wenig zu tun, findet unser Autor.
Demoschild fordert Klimagerechtigkeit

Mithilfe von Slogans führen Politiker und Parteien ihren Wahlkampf, begeistern Wähler für ihre Ideen beziehungsweise bedienen damit die politischen Wünsche der Wählerschaft. Mit der Realität haben politische Slogans dann aber relativ wenig zu tun. Eine Reduktion auf die Kernaussage löst kein vielschichtiges Problem und beantwortet keine komplexe Frage.

"You campaign in poetry. You govern in prose" – so formulierte es der US-amerikanische Politiker Mario Cumo bereits 1985 in einer Rede an der Harvard University und beschrieb damit etwas, das wir heute Sloganisierung nennen können. Darunter versteht man in Politik, Marketing und Kommunikation die Verwendung einprägsamer und stark vereinfachter Phrasen in Kampagnen oder Debatten. Dadurch werden komplexe Ideen verdichtet und so für die breite Öffentlichkeit verständlich gemacht. Oder eben ästhetisch auf den Punkt gebracht: Den Wahlkampf betreibt man mit Poesie, regiert wird nach Prosa.

Was zu Beginn gut klingt, inspiriert, mobilisiert und eint, ist leider nur Teil der Wahrheit. Donald Trump versprach "Make America Great Again" und eine Mauer an der Grenze zu Mexiko; Obama proklamierte "Yes, We Can!" und stellte in Aussicht, Obamacare einzuführen. Nun sind diese Slogans an sich unproblematisch und mir geht es auch nicht darum, konkrete Slogans und die Idee dahinter zu diskreditieren, sondern ich möchte veranschaulichen, dass es fragwürdige bis absurde Auswüchse annimmt, wenn der Slogan zum Inhalt wird. Wenn also der inhaltliche Unterbau mit all seinen weiteren Informationen, Nuancen, Grautönen und Ausnahmen komplett gestrichen und durch den simplen Slogan ersetzt wird.

Dieses Phänomen ist nicht neu, wirkt in der algorithmusgesteuerten Gesellschaft aber stärker als je zuvor. Und es gilt auch für alle möglichen Beispiele. Es geht also nicht darum, irgendwelche Slogans und die dazugehörigen Bewegungen zu verteufeln, sondern darauf aufmerksam zu machen, dass eine Reduktion auf die Kernaussage kein vielschichtiges Problem lösen und keine komplexe Frage beantworten wird.

Slogans funktionieren so gut, weil sie nicht nur unseren Verstand, sondern auch unsere Emotionen ansprechen. So schaffen sie es, heterogene Interessengemeinschaften unter dem kleinsten gemeinsamen Nenner zu vereinen. Denken wir an die Demonstrationen gegen Polizeigewalt oder gegen eine Covid-19-Impfpflicht, die etwa zeitgleich stattfanden – bei Zehntausenden von Demonstranten kann rein logisch jeweils nicht von homogenen Gruppen ausgegangen werden. Das Einzige, was alle Demonstranten einte, war jeweils der Slogan: "Black Lives Matter" respektive "Freiheit statt Zwang". Völlig unerheblich, ob ein Demonstrant für die Abschaffung der Polizei oder schlicht gegen rassistische Diskriminierung marschierte, hier war man sich einig: Schwarze Leben zählen. Ganz egal, ob ein Demonstrant die Impfpflicht aus Angst vor einem implantierten Bill-Gates-Nano-Chip ablehnte oder seinen Wunsch nach körperlicher Selbstbestimmung vertrat, für beide galt: Ich entscheide selbst. Welche konkreten Maßnahmenwünsche diese Überzeugung beinhaltet, steht auf einem ganz anderen Blatt Papier.

Nehmen wir das Beispiel des Klimawandels beziehungsweise der Klimaschutzbewegung, denn auch diese Debatte krankt am Syndrom der Sloganisierung. Denken wir an "Climate Justice Now!"– Klimagerechtigkeit jetzt! Klar, wer will das nicht? Auch ich möchte, dass meine Kinder noch auf einem lebensfähigen Planeten leben können beziehungsweise, wenn man den pessimistischsten Prognosen glauben darf, nicht in ein paar Jahren Zeugen bereits unzähliger humanitärer Katastrophen als Folge des Klimawandels werden. Und ich behaupte, niemand möchte das.

Matthias A. Narr
Matthias A. Narr (Foto: privat)

Die meisten Argumente gegen eine radikale Kehrtwende in der Klima- und damit Wirtschaftspolitik sind nicht so krud, wie sie häufig dargestellt werden. Lassen wir die tatsächlichen Klimawandelleugner außen vor, genauso wie die Handvoll Psychopathen, denen wirklich völlig egal ist, was mit unserem Planeten passiert – angemessen skeptische Gegner stellen folgende Punkte infrage:

  1. Wie groß ist der menschliche Einfluss? Es ist durchaus relevant, ob die menschengemachten Einflussgrößen einen großen, mäßigen oder geringen Anteil an den steigenden Temperaturen haben. Je größer der Einfluss, desto essenzieller eine Veränderung und umgekehrt.
  2. Wie groß ist der Zeithorizont? Es ist durchaus relevant, ob es bis zur Klimakatastrophe noch ein, zehn, zwanzig oder fünfzig Jahre sind. Je mehr Zeit wir haben, desto weniger krass muss die Reaktion ausfallen und umgekehrt.
  3. Sind die Folgen prognostizierbar? Es ist durchaus relevant, ob Umfang und Ausmaß der erwarteten Katastrophen (klimatisch, wirtschaftlich, humanitär) exakt, ungefähr oder kaum zutreffend sind. Je präziser die Prognosen, desto mehr Panik ist angemessen und umgekehrt.
  4. Nutzen wir die richtigen Maßnahmen? Es ist durchaus relevant, ob die nachhaltigen Technologien kostengünstig und effektiv genug sind oder nicht. Je besser die Technologien, desto schneller sollten wir wechseln und umgekehrt.
  5. Ist die Kursänderung bezahlbar? Es ist durchaus relevant, ob die Weltwirtschaft derart einschneidende Veränderungen finanziell sehr gut, mäßig oder schlecht verkraftet. Je stabiler die Wirtschaft, desto konsequenter können Veränderungen umgesetzt werden.
  6. Liegt zu wenig Fokus auf der Gegenwart? Es ist durchaus relevant, ob das zukünftige Leid potenzieller Menschen wichtiger, gleich wichtig oder weniger wichtig ist als das aktuelle Leid existierender Menschen. Je mehr Relevanz wir der Zukunft zuschreiben, desto weniger Rücksicht sollten wir auf das Hier und Jetzt legen und umgekehrt.
  7. Ziehen genug Parteien am gleichen Strang? Es ist durchaus relevant, ob die Gesamtheit der nachhaltigen Bemühungen locker, gerade so oder nicht ausreicht, um eine globale Veränderung zu bewirken. Je wahrscheinlicher die Bemühungen von Erfolg gekrönt sind, desto konsequenter sollten wir sie verfolgen und umgekehrt.

Politische Slogans – egal wie vernünftig sie, wie beispielsweise in der Klimadebatte, erscheinen mögen – haben mit der Realität dann aber relativ wenig zu tun. "Climate Justice Now!"– Klimagerechtigkeit jetzt! Soweit zur Poesie, kommen wir zur Prosa: Was genau können wir tun? Wie genau erreichen wir dieses Ziel? Unter welchen Umständen? Für wen? Für wen nicht? Welche Hindernisse gibt es? Wie wird es finanziert und welcher Finanztopf wird deswegen gestrichen? Welche Kompromisse müssen eingegangen werden? Wie viel festes Reimschema ist noch übrig, wenn das schöne Gedicht erst durch die zahlreichen Mahlwerke der Politikmühlen gelaufen ist? Spätestens dann, wenn es um konkrete Maßnahmen geht, wird den Vertretern eines Slogans erst mal klar, wie weit die Ziele der Interessengemeinschaft eigentlich auseinanderklaffen.

In der modernen Politik und im modernen Aktivismus sehen wir dieses Prinzip immer häufiger: Mithilfe von Slogans führen Politiker und Parteien ihren Wahlkampf, begeistern Wähler für ihre Ideen beziehungsweise bedienen damit die politischen Wünsche der Wählerschaft. Entsprechend stand auch auf keinem Wahlplakat der Grünen "Klimawende dann, wenn wir genug Kompromisse eingegangen sind, sodass die restliche Regierung einverstanden, sogar die Opposition ausreichend an Bord ist und wirklich alle wichtigen Lobbyversprechungen bedient wurden. Und natürlich auch dann nur in dem Maße, dass wir nicht zu viele kritische Wähler verprellen – wir wollen ja schließlich wiedergewählt werden."

Auf dem Plakat steht "Klimawende jetzt!". Wer das aber mit dem eigentlichen Parteiprogramm verwechselt und darüber hinaus nicht versteht, dass es kein realpolitisches Ziel sein kann, ist natürlich nicht nur enttäuscht, sondern auch sehr naiv. Während einer politischen Kampagne verwenden die Kandidaten oft große Visionen und emotionale Appelle, um ihre Anhänger zu inspirieren und zu mobilisieren. Sobald ein Kandidat oder eine Partei dann gewählt ist, verlagert sich der Schwerpunkt auf die praktische Umsetzung der Politik, das Treffen von Entscheidungen und die Verwaltung des Tagesgeschäfts. Diese Arbeit ist dann komplexer, weniger glamourös und vor allem weniger konsequent als die Rhetorik einer politischen Kampagne.

Um einen vernünftigen Dialog in Bezug auf wichtigen Themen zu finden, braucht es auch ein tiefergehendes Verständnis vonseiten der Gesellschaft. Aber wenn selbst die wirklich ins Thema investierenden Aktivisten nicht mehr zu bieten haben als eindimensionale Slogans zu brüllen, scheint mir das eher unwahrscheinlich. Wer sich mit einem besseren Spickzettel bewaffnet, bestehend aus drei politischen Stichworten, in den politischen Dialog begibt und das dann auch noch mit substanziellem Inhalt verwechselt, versteht keine Argumente der Gegenseite, er kennt sie nicht mal. Wie auch – wenn er ganz offensichtlich noch nicht einmal die eigene Position wirklich durchdrungen hat.

Der Autor hat das Buch "Dialog statt Dogma – wie wir gesellschaftliche Konflikte lösen, ohne zu spalten", Eulogia Verlag 2024, 182 Seiten, 19,99 Euro geschrieben. Der Text entspricht zu großen Teilen dem Kapitel IX "Sloganisierung".


Hinweis der Redaktion: Der Anriss wurde am 01.08.2024 um 13:15 Uhr überarbeitet.

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