Bei Waldspitzmäusen schrumpft der Schädel im Winter um bis zu 15 Prozent, um dann im Frühjahr wieder um bis zu neun Prozent zu wachsen. Die Tiere verlieren insgesamt fast ein Fünftel ihres Körpergewichts über den Winter, verdoppeln ihr Gewicht dann aber im Frühjahr wieder. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell und Seewiesen haben herausgefunden, dass nicht nur die Knochen, sondern auch Organe und sogar das Gehirn abgebaut werden. Vermutlich sichert die Schrumpfung den Tieren mit ihrem hohen Stoffwechsel das Überleben in den kargen Wintermonaten.
Waldspitzmäuse führen ein Leben auf der Überholspur. Die daueraktiven, nur zehn Gramm schweren Insektenfresser teilen sich mit den Mäusen aufgrund ihrer Körperform nur den Namen. Tatsächlich sind sie eng mit Maulwürfen und Igeln verwandt. Der Energiebedarf einer Spitzmaus ist so hoch, dass sie verhungert, wenn sie nur zwei bis drei Stunden keine Nahrung findet. Weder Tages- noch Jahreszeiten halten sie in ihrem kurzen, kaum 13-monatigen Leben vom Fressen ab. Im Sommer ernähren sich Spitzmäuse hauptsächlich von Würmern und Larven. Im Winter, unter ungleich härteren Lebensbedingungen, leben sie primär von Insekten und Spinnentieren.
Der polnische Zoologe August Dehnel hatte bereits in den 1950er Jahren bemerkt, dass im Winter gefangene Spitzmäuse nicht nur leichter sind, sondern tatsächlich auch kleiner. Seine Vermessungen haben gezeigt, dass die Schädel flacher und die Wirbelsäulen kürzer sind. Aber auch viele Organe und insbesondere das Gehirn seiner Tiere wiesen ein um 20 Prozent geringeres Volumen auf als im Sommer.
Anpassung an winterliche Lebensumstände?
Um zu untersuchen, ob einzelne Individuen ihre Körpermaße tatsächlich auf diese Weise verändern, fing der Doktorand Javier Lazaro vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell um den Campus am Bodensee rund 100 Waldspitzmäuse. Er stattete die Tiere mit reiskorngroßen elektronischen Chips aus, wie sie auch – in einer größeren Variante – auch für Haustiere zur Identifikation verwendet werden. Die Tiere wurden alle geröntgt, um ihre Schädel zu vermessen und anschließend wieder in die Freiheit entlassen. In regelmäßigen Wiederfangaktionen konnte rund ein Drittel der Tiere einmal oder mehrmals wiedergefangen und erneut geröntgt werden.

Röntgenaufnahme eines Schädels einer Waldspitzmaus im Sommer (links) und darauffolgenden Winter (Mitte) sowie im Sommer des nächsten Jahres (rechts).
© MPI f. Ornithologie/ J. Lazaro
Tatsächlich sind alle untersuchten Individuen im Winter geschrumpft und im Frühjahr wieder gewachsen. "Die Schädelhöhe nahm im Winter um 15 Prozent, manchmal sogar bis maximal 20 Prozent ab und im Frühjahr wieder bis zu neun Prozent zu", sagt Javier Lazaro. Dina Dechmann, Koautorin der Studie, interpretiert dieses Phänomen als bisher unbekannte Strategie von Tieren mit einem hohen Stoffwechsel, den Nahrungsmangel und die niederen Temperaturen im Winter zu überleben. "Normalerweise sind Tiere in kälteren Zonen größer und haben dadurch ein gutes Verhältnis von Volumen zu Oberfläche, um Wärmeverluste zu kompensieren. Die Spitzmaus hingegen hat eine im Verhältnis zum Volumen große Oberfläche und könnte durch das Schrumpfen überlebenswichtige Energie sparen", sagt Dechmann.
Erst kürzlich gelang es Dechmanns Arbeitsgruppe, ähnliche Veränderungen auch am Schädel von Wieseln zu zeigen. Diese kleinen Raubtiere, Angehörige einer völlig anderen Säugetiergruppe, haben einen ebenfalls überaus hohen Energiebedarf und können dem Winter nicht ausweichen oder eine Winterruhe einlegen. "Die Veränderungen am Knochen und an den Organen liefern uns Ansatzpunkte für unsere weitere Forschung. So untersuchen wir zusammen mit Kollaborationspartnern an einer Uniklinik die Veränderungen an der Knochensubstanz. Diese ähneln Vorgängen wie sie bei Osteoporose ablaufen. Auch die Veränderungen an Gehirn und Herz könnten medizinisch interessant werden", erklärt der Leiter der Studie Moritz Hertel aus dem Institutsteil Seewiesen. Die Studie ist also ein Beispiel dafür, wie die Grundlagenforschung der Max-Planck-Gesellschaft zu unerwarteten medizinischen Erkenntnissen führen kann. (SSp/HR)
6 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
"Bei Waldspitzmäusen schrumpft der Schädel im Winter um bis zu 15 Prozent, um dann im Frühjahr wieder um bis zu neun Prozent zu wachsen.
Frank Nicolai am Permanenter Link
Lt. Wikipedia werden die possierlichen Tierchen nur 16 Monate alt... https://de.wikipedia.org/wiki/Waldspitzmaus
Hans Trutnau am Permanenter Link
Tja, da beißt die Maus keinen Faden ab...
Wolfgang am Permanenter Link
Trifft das nur bei Spitzmäusen zu oder ist es auch bei bestimmten Menschen möglich?
Wenn ich mir so bestimmten Menschen ansehe.....
Kay Krause am Permanenter Link
Lieber Herr Trutnau! Gerade hatte ich die Absicht, die von Ihnen richtig erkannte Rechnung humorvoll in einen Kommentar zu verfassen. Sie haben mir den Text sozusagen aus den Tasten genommen.
Frage an die Viertklässler der Grundschule: Ein Mann bringt im Alter von 20 Jahren 75 Kilo auf die Waage. Wieviel wiegt er unter gleichen Bedingungen, wenn er seinen 70sten Geburtstag feiert?
Mit Gruß von Kay Krause
Hans Trutnau am Permanenter Link
Und überhaupt - der Schädel wird immer _kleiner_!