Seit dem missglückten Putschversuch vergangenen Sommer baut der türkische Präsident Erdogan mitsamt seiner AKP-Gefolgschaft Tag für Tag seine Macht aus. Doch nicht nur in der Türkei selbst, sondern auch in Deutschland wächst der Druck auf Oppositionelle enorm. Aktivist und Referent Botan Agir erläuterte im Rahmen eines Vortrages der YXK (Verband der Studierenden aus Kurdistan e.V.) vergangenen Dienstag in Marburg, wie Erdogan mithilfe zahlreicher Organisationen ein landesweites System der Bespitzelung und Einschüchterung errichten ließ.
Im Zentrum der Kritik steht der Moscheendachverband DITIB mit rund 900 Gemeinden in Deutschland. Diese ist der staatlichen Religionsbehörde Diyanet direkt unterstellt, welche gleichzeitig die Entscheidungshoheit über die Entsendung von Imamen besitzt. Die Imame, in der Regel nur mit zeitlich befristeten Verträgen ausgestattet, sind allein gegenüber der Behörde weisungsgebunden und predigen einen politisch konservativen Islam. Sie sind mit ihrer neuen Umgebung kaum vertraut und verfügen meist über nicht ausreichende Deutsch-Kenntnisse. Zugleich üben sie erheblichen politischen Einfluss auf die jeweiligen Gemeinden aus, um einem Abweichen von der vorgegebenen Linie vorzubeugen. Angesichts der Inhalte, die vermittelt werden, stellt dies jedoch das geringere Problem dar. In Comics werden insbesondere Kinder und Jugendliche frühzeitig darauf eingeschworen, sich eines Tages "für das Vaterland zu opfern" und dass es keine größere Ehre gibt, als den "Tod eines Märtyrers zu sterben" – Inhalte, die verdächtig an IS-Propaganda erinnern.
Wie mächtig der religiöse Propaganda-Apparat mittlerweile ist, verdeutlicht das stetig wachsende Budget für die Religionsbehörde. Im Jahr 2017 umfasste der Teilhaushalt rund 6,9 Mrd. türkische Lira, was einem Betrag von etwa 2 Mrd. Euro entspricht – eine Verdoppelung im Vergleich zum Jahr 2008. Damit verfügt die Diyanet über mehr Geld als das Innen- und Außenministerium zusammen und mit insgesamt 120.000 Mitarbeitenden auch über eine deutlich bessere Personalausstattung.
Obwohl bereits Bundesländer wie Hamburg, Bremen oder Nordrhein-Westfalen ihre Zusammenarbeit mit der DITIB entweder ausgesetzt oder beendet haben, ist der Einfluss auf den Unterricht in deutschen Grund- und Mittelschulen nach wie vor immens. Im Rahmen von Kooperationsverträgen ist die DITIB für die Besetzung der Religionslehrer verantwortlich, womit der Islamunterricht zu einem propagandistischen Einfallstor des Erdogan-Regimes wird. Auf diese Weise werden Kinder voneinander isoliert, Parallelgesellschaften verfestigen sich, Integrationsarbeit sabotiert. Zurzeit bleibt es allerdings nicht bei ideologischer Indoktrinierung. In zunehmendem Maße fungiert die DITIB als Spitzelnetzwerk, die die türkische Religionsbehörde über (teilweise vermeintliche) oppositionelle Tätigkeiten auf das Genaueste informiert. Neben der Weitergabe von Informationen kommt es immer öfter zu Einschüchterungsversuchen bis hin zu Morddrohungen. Opfer sind zumeist Gülen-Anhänger, Kurdinnen und Kurden, oder Kritiker des Erdogan-Regimes.
Die DITIB steht dabei nicht alleine, sondern kooperiert mit vielen weiteren Interessengruppen und Behörden, die danach streben Oppositionelle mundtot zu machen. Teilweise wird sogar geduldet, dass Mordanschläge auf bestimmte Personen verübt werden. So wurde im Dezember vergangenen Jahres ein mutmaßlicher Agent des türkischen Geheimdienstes MIT festgenommen, der einen Anschlag auf hochrangige kurdische Aktivisten geplant hatte. Allein der Geheimdienst soll über ein Netzwerk von rund 6.000 Informanten in Deutschland verfügen. Zudem soll dieser in enger Verbindung mit dem nationalistischen Rockerclub "Osmanen Germania" stehen. Diese agitieren auf Demonstrationen und im Internet offen gegen Kurden und Gülen-Anhänger. Laut Spiegel durchsuchten im vergangenen November rund 1500 Polizeibeamte in mehreren Bundesländern Objekte der Rocker, sie beschlagnahmten Waffen, Munition und Drogen.
Wie angespannt die gegenwärtige Lage ist, zeigt sich ebenfalls in vielfältiger Art auf lokaler Ebene. Dazu Botan Agir: "Während es in Marburg noch vergleichsweise sicher ist, konnten wir im näheren Umfeld sowie in Städten wie Kassel oder Frankfurt beobachten, dass sich die AKP-Sympathisantenszene zunehmend radikalisiert. Gewalttätige Übergriffe häufen sich, und DITIB-Imame heizen die Stimmung gegen sämtliche politische Gegner weiter an." Dazu macht Agir auf die Ratlosigkeit politischer Entscheidungsträger aufmerksam: "In manchen Städten ist die AKP-Unterstützerszene so gefestigt, dass es oftmals nicht gelingt, bedrohte Personenkreise ausreichend zu schützen, geschweige die Verantwortlichen vor Gericht anzuklagen. Die Tatsache, dass zahlreiche Landesregierungen ihre Kooperation mit der DITIB noch nicht geprüft haben, zeigt die fehlende Sensibilität für dieses Problem.2
Schließlich macht sich auch ein Versuch politischer Einflussnahme in den Parlamenten bemerkbar in Gestalt einer neuen Partei. Die Allianz Deutscher Demokraten (ADD), dessen Vorsitzender Remzi Aru einst prominentes Mitglied der AKP-Lobbyorganisation UETD war, versucht dieses Jahr in den nordrhein-westfälischen Landtag zu ziehen. Laut der Linken-Abgeordneten Sevim Dagdelen handelt es sich hierbei um "eine türkische Pegida ganz im Sinne der AKP". Mit mittlerweile acht Landesverbänden könnte sich eine ernstzunehmende politische Herausforderung entwickeln, die nicht unterschätzt werden darf.
9 Kommentare
Kommentare
René am Permanenter Link
Sevim Dağdelen
Dieter Bauer am Permanenter Link
...Die DITIB & weitere Marionetten Erdogans in Deutschland .....
Legen wir diesem erdoganischen Umtrieb nicht bald einen Riegel vor, brauchen wir uns nicht zu wundern, schon in naher Zukunft von machtbesessenen Despoten, sich religiösen Hintergrundes bedienend, bestimmt zu werden.
Ramis54 am Permanenter Link
Mündliche Stellungnahme des NRW-Verfassungsschutzes zu den Imamen stellt fest: DITIB als Organisation nicht involviert
•Mündliche Stellungnahme des NRW-Verfassungsschutzes stellt sachlich fest: DITIB ist nicht involviert
•Appell an Politik, Medien und Gesellschaft
Köln, 13. Februar 2017: Wie von der DITIB von Anfang an und wiederholt öffentlich mitgeteilt und nun im mündlichen Bericht des NRW-Verfassungsschutzpräsidenten Burkhard Freier im Innenausschuss des Düsseldorfer Landtags ebenfalls festgestellt, war die DITIB als Organisation nicht in die Thematik zu den Imam-Berichten eingebunden.
Durch den Bericht wurde sachlich festgestellt, dass der DITIB-Bundesverband und die DITIB-Landesverbände zu keinem Zeitpunkt von Personen oder Abteilungen irgendwelche geheimen und persönlichen Informationen eingefordert haben.
DITIB ist nicht Dienstherr der Imame. In Gesprächen mit der DIYANET, welche die Dienstaufsicht über die Imame hat, wurde um Aufklärung gebeten und gemeinsam in Gesprächen nach Wegen gesucht, eine Wiederholung zu vermeiden.
DITIB hat in den vergangenen Tagen und Wochen zu dieser Thematik in diversen themenbezogenen Presse-Erklärungen und in Interviews stringent, mehrfach und wiederholt beteuert, nicht involviert zu sein.
Ditib ist erleichtert, nun mit der mündlichen Stellungnahme des NRW-Verfassungsschutz sachlich und offiziell entlastet zu werden. Seit Beginn der öffentlichen Diskussion um dieses Thema hat die DITIB angemerkt, dass selbige verallgemeinernd und unsachlich geführt wird.
Es war und ist für Hunderttausende von Gemeindemitgliedern im gesamten Bundesgebiet und generell für alle DITIB-Mitglieder sehr enttäuschend, dass ohne jegliche Unschuldsvermutung eine öffentliche Vorverurteilung stattfand. Die undifferenzierte Debatte sorgte nicht nur für einen ungerechten und massiven Reputationsschaden der größten muslimischen Religionsgemeinschaft Deutschlands, sondern behinderte massiv den natürlichen und sozialen Anpassungsprozess muslimischen Lebens und religionsgemeinschaftlicher Strukturen in unserem Land, für das wir uns seit jeher engagiert und partnerschaftlich einsetzen.
Wir hoffen, dass dies nun auch von all jenen in Politik, Medien und Gesellschaft zur Kenntnis genommen wird, welche die DITIB pauschal und undifferenziert abgeurteilt haben. Ferner appellieren wir an die Medien, dass die Berichterstattung mit den aktuellen Erkenntnissen der mündlichen Stellungnahme korrigiert wird.
Wir freuen uns, mit unseren satzungsmäßig definierten, religiösen Angeboten und sozialen Dienstleistungen weiterhin für das Individuum, die Religionsgemeinschaft und das Gemeinwohl wirken zu können.
Wir vertrauen darauf, dass wir unsere Arbeit unbelastet weiterführen können.
DITIB-Bundesverband
Harald Freunbichler am Permanenter Link
Der Kardinalfehler der DITIB ist und war, dass sie gegen die politische Richtungsweisung der DIYANET weder etwas getan hat noch tun will. Wie auch: Wer zahlt, schafft an.
Ich fordere das sofort, umgehend und gründlich.
Dieter Bauer am Permanenter Link
.... verklage doch den Teufel bei seiner Großmutter ......
Kay Krause am Permanenter Link
Für meine Begriffe entfacht dieser DITIP auf deutschem Boden seit Jahren in steigendem Maße einen Religionskrieg, wobei natürlich auch hier - wie überall - die Religion lediglichen ein Mittel zum Zweck ist, welcher &q
Die deutsche Politik - so lese ich - stellt hier und da die Zusammenarbeit mit DITIP ein.
Glückwunsch! Seid Ihr endlich aufgewacht?! Aber es stellt sich doch automatisch die Frage: was tut die deutsche Politik gegen die Anwesenheit und gegen das aggressive Agieren von 6.000 (in Worten: sechstausend!) türkischen Religions-Geheimdienst Mitarbeitern, welche erfolgreich der AfD die Wähler in die Arme treiben? Was tut der deutsche Geheimdienst gegen diese Art von türkischem Geheimdienst, welcher sich in die inneren Angelegenheiten unseres Landes einmischt! Ich vermute, wir werden es nie erfahren, denn sonst wäre es ja kein "Geheim"-dienst! Das Verhalten der politisch verantwortlichen Liga gegenüber diesen religiösen Fanatikern und Weltverbesserern ähnelt doch sehr dem Verhalten gegenüber "unseren" Kirchen: man läßt sie mehr oder weniger gewähren, kriecht ihnen auch in den A...., wenn's denn sein muß, und schmeißt ihnen auch noch unsere sauer verdienten Steuergelder hinterher.
kannichnichtsagen am Permanenter Link
Ich denke, dass die Türkei insgesamt immer mehr unter den Einfluss des Wahhabitismus gerät.
Carmen Frieger am Permanenter Link
BTW: Polizei durchsucht Wohnungen von Ditib-Geistlichen http://www.spiegel.de/politik/deutschland/ditib-spionageverdacht-polizei-durchsucht-wohnungen-von-ditib-geistlichen-a-1134623.html
Dieter Bach am Permanenter Link
Das Hauptproblem ist , dass viele unserer Politiker überfreundlich zu religiösen Vereinigungen sind und Schiss haben, dass sie vielleicht ein paar Wählerstimmen verlieren, wenn sie nicht nach der Pfeife der Kirchen ta
Aber es geht dabei auch um ein grundsätzliches Problem, nämlich den staatlich geförderten Religionsunterricht. Es ist klar, dass ein Staat, der Unsummen für die christliche Heilsverkündung ausgibt, auch Geld für die islamische Heilsverkündung ausgeben muss.
Hier kann es nur eine Forderung geben: Religion raus aus den Schulen!!! Gesellschaftliche Bildung durch Ethik und Humanismus !