Brief an einen Freund

BONN. (hpd) In fiktiven Briefen an einen Freund kommentiert der Autor Gerd Eisenbeiß seit Jahren politische und gesellschaftliche Analysen. Aus diesen Briefen wurde inzwischen ein eBook (pdf) erstellt. In einem aktuellen Brief schreibt er über den Terroranschlag auf die Pariser Zeitung Charlie Hebdo.

 

Lieber Freund,

Du bist schockiert, entsetzt, fassungslos, verzweifelt über das, was nun der Redaktion der französischen Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo passiert ist.

Das ist auch mein Gefühl, wenn ich auch seit langem vermute, dass solche Dinge in der islamistischen Terrorszene hundertfach geplant werden, aber eben nur selten gelungen sind – leider 2001 in New York und Washington, dann auch in Madrid und London, nun also in Paris.

Paris ist eine wichtige Stadt in Europa; deshalb war es ein Attentat auf ganz Europa, nicht nur auf Frankreich! Wir brauchen jetzt und bei den nächsten Attentaten starke Nerven und viel Geduld mit Regionen und Gruppen, ohne den unbedingten Willen zu Toleranz und Nicht-Diskriminierung unbeteiligter Mehrheiten (auch der Muslime!) zu verlieren.

Die Gefahr ist groß, dass nun das Zusammenleben zwischen Europäern verschiedener Religionen noch stärker gestört wird, als es schon ist. Da sind klare Worte zur Aufklärung der Gründe wichtig, damit terroristische Gewaltkriminalität nicht denen zugerechnet wird, die irgendeine Gruppengemeinsamkeit mit den Verbrechern haben, sei es Ethnie, Sprache oder Religion, Haartracht oder Kleidung.

Gerade in der laufenden Auseinandersetzung mit den selbsternannten “Patriotischen Europäern” darf nichts vernebelt werden, was ohnehin jeder weiß.

Deshalb ist der Satz “Das hat mit dem Islam nichts zu tun” sachlich und politisch falsch. Pegida-anfällige Mitbürger werden sich verdummt vorkommen, wenn ihnen das zugemutet wird.

Natürlich gibt es einen Zusammenhang mit dem Islam, so wie der Dreißigjährige Krieg einen Zusammenhang mit Christentum und Kirche hatte. Ich denke, Aufklärung sollte wie folgt klingen: “Jede Religion ist intolerant gegenüber anderen, denn man kann einer Religion nicht anhängen, ohne alle anderen Religionen für Irrtümer zu halten”.

Wie in allen Religionen gibt es auch im Islam Menschen (die große Mehrheit), die gewillt sind, andere als Mitmenschen zu achten und mit ihnen in Frieden zu leben, aber eben auch Menschen, die andere Religionen, Sichtweisen und die Freiheit den Denkens und Redens nicht ertragen können. Davon wiederum will ein noch kleinerer Teil seine “Wahrheit” mit Gewalt schützen und verbreiten, bzw. andere religiöse oder a-religiöse Überzeugungen unterdrücken.

Leider können sich beide Positionen auf Stellen im Koran, anderen “heiligen” Schriften und Überlieferungen berufen: das ist die Tragik, an der insbesondere Prediger des Wahabismus, also Saudi Arabien, einen hohen Schuldanteil haben.

Auch Terrorismus braucht Geld – viel Geld. Bei dieser Finanzierung spielen Saudis und andere reiche Scheichs eine ganz wesentliche Rolle. Schon die Taliban wurden in pakistanischen Madrassas mit saudischem Geld finanziert, wahrscheinlich auch jene Gruppen, aus denen jetzt der IS entstanden ist – sehr zum Schrecken der arabischen Monarchen, die sich nun bedroht sehen.

Es ist eine schreckliche Ironie des Schicksals, dass die Ideologie des IS eigentlich die ist, die die saudischen Wahabismus-Prediger schon lange verkünden – mit zwei Ausnahmen: sie predigen kein Kalifat, weil das Herrscherhaus das mit dem Tode bestrafen würde sie predigen nicht jene extremsten Grausamkeiten, sondern nur das saubere, aseptische Abhacken von Gliedern und Köpfen.

Nicht minder als das Entsetzen über die Untaten von Paris, Madrid, London und New York sollte unsere Empörung über Saudi Arabien sein, weil dort ebenfalls wegen Beleidigung des Propheten oder des Islam ein Blogger und Journalist mit 1.000 (!) Peitschenhieben bestraft, also zu Tode geprügelt werden soll.

Aber: bei all dem darf nie übersehen werden, dass die weltweit friedlichen Muslime die am meisten betroffenen Opfer des islamistischen Terrors sind. Sie zahlen mit dem größten Blutzoll – in jedem muslimischen Land von Mali bis Indonesien mit traurigen Schwerpunkten in Nigeria, Somalia, Libyen, Syrien, Afghanistan und Pakistan.

Deshalb ist die Solidarität mit den muslimischen Völkern und Mitbürgern in Europa mehr denn je gefordert. Erfreulich, dass nun endlich auch die muslimischen Gemeinden und Imame selbst offen und konsequent gegen diejenigen vorgehen, die ihre Religion beschmutzen, ihren Gott beleidigen und Massenmorde auch an ihren Glaubensbrüdern und –schwestern verüben.

Gerd Eisenbeiß

 

PS: Falsch ist m.E. auch, die häufige Gleichsetzung von Salafisten und Terroristen: Salafisten sind mitunter auch gewaltfreie einfache Gemüter, die einfach nur nach den wörtlich verstandenen alten Regeln der islamischen Urgemeinde vor 1.300 Jahren (allerdings einschließlich des gewalttätigen Strafrechts der Scharia) leben wollen, wie etwa die “christlichen” Amish people oder manche aus Russland zugewanderte “Volksdeutsche”.