Traditionelle Glaubensgemeinschaften in der Sektenfalle

In allen Religionsgemeinschaften steckt im Kern etwas Sektenhaftes. Das Zitat ist nicht von mir, sondern vom Religionswissenschaftler, Theologen, Pfarrer und ehemaligen Leiter der reformierten Sektenberatungsstelle relinfo.ch Georg Schmid (nicht zu verwechseln mit seinem Sohn gleichen Namens, der inzwischen die Beratungsstelle leitet). Zu erwähnen ist, dass Schmid ein sehr toleranter und verständnisvoller Beobachter religiöser Phänomene ist.

Sein Grundgedanke: Religionen zeichnen sich durch einen Absolutheitsanspruch aus. Das liegt im Wesen des Glaubens, birgt aber auch die Gefahr des Radikalen. Die Geschichte der Glaubensgemeinschaften und die vielen Religionskonflikte zeigen, dass Georg Schmid mit seiner Analyse sicher nicht falsch liegt.

Einen weiteren Punkt sehe ich im Umstand, dass die meisten Heilslehren einfache Glaubenskonzepte anbieten, die aus heutiger Sicht nicht sehr glaubwürdig oder plausibel wirken. Sie fixieren sich weiterhin auf den Anspruch der unverrückbaren Glaubenswahrheit. Damit verschanzen sie sich im geistigen Reduit und lenken unter anderem von den Widersprüchen ab.

Die Krux traditioneller Glaubensgemeinschaften liegt darin, dass sich die Welt geistig und wissenschaftlich in eine Richtung entwickelt, die den Religionen nicht bekömmlich ist. Unser Leben wurde in den letzten Jahrzehnten derart komplex, dass der Kontrast zu religiösen Heilskonzepten mit ihren einfachen Erklärungs- und Deutungsmustern augenfällig wird.

Eine weitere Krux: Ein religiöser Glaube muss möglichst massentauglich sein. Man kann den Gläubigen keine religiösen Konzepte präsentieren, die hochkomplexe theologische Abhandlungen enthalten.

Die Mehrheit der Gläubigen will Götter zum Anfassen und religiöse Geschichten, die leicht fassbar sind. Mit geistig anspruchsvollen Ideen lassen sich nur schlecht religiöse Rituale zelebrieren, die ein emotionales Schaumbad im Kollektiv bieten.

Doch die Reduktion der komplexen Realität auf einfache Glaubensmuster kann dem Anspruch an philosophische, transzendentale und metaphysische Phänomene nicht wirklich gerecht werden. Es ist nur schon eine geistige Herkules-Aufgabe, das Sein zu ergründen.

Wer schon einmal versucht hat, Werke von Kant oder Hegel zu verstehen, dem kommt beispielsweise die christliche Heilslehre mit ihrem Gott im Himmel und der Erlösung nach dem Tod etwas gar eindimensional vor.

Interpretationsspielraum für Gläubige

Um der Sektenfalle zu entgehen, wäre eine tolerante Haltung der Glaubensgemeinschaften gegenüber den Gläubigen wichtig. Diese müssten mehr Spielraum erhalten, um die Dogmen und Heilskonzepte nach ihren Bedürfnissen anwenden und interpretieren zu können. Das würde zwar den Absolutheitsanspruch aufweichen, die Gläubigen erhielten aber mehr Freiheit und die Indoktrination würde erheblich erschwert.

Leben bedeutet Bewegung. Wer sich bewegt, verändert sich. Das Bewusstsein von uns Menschen unterliegt einem dauernden Wandel, einem Prozess – gefördert von geistigen, wissenschaftlichen und technischen Erkenntnissen, Errungenschaften und Fortschritten.

Die Religionen und Glaubensgemeinschaften entziehen sich wegen ihren starren Dogmen und dem Absolutheitsanspruch weitgehend diesen natürlichen Prozessen. Deshalb müssen sie sich nicht wundern, wenn die Karawane weiterzieht und sie mehr und mehr am Wegrand liegen lässt.

Übernahme mit freundlicher Genehmigung von watson.ch.

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