Die Zahlen der Missbrauchsstudie der katholischen Kirche sind erschütternd: 1.670 katholische Geistliche in Deutschland wurden beschuldigt, über Jahrzehnte hinweg mehr als 3.600 Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht zu haben. Dennoch wurden nur wenige Täter angeklagt und verurteilt.
Der grüne Abgeordnete und rechtspolitische Sprecher der Landtagsfraktion Toni Schuberl ist skeptisch. Zusammen mit dem an der Universität Passau tätigen Professor für Strafrecht, Dr. Holm Putzke, will er der Sache auf den Grund gehen und hakte bei der Staatsregierung mit einer umfangreichen schriftlichen Anfrage nach. Die nun vorliegenden Antworten hinterlassen bei den Juristen einen gemischten Eindruck.
"Derzeit hat es den Anschein, dass die katholische Kirche eifrig vertuscht und die Staatsanwaltschaft dabei nicht immer genau genug hingeschaut hat. Aber der Rechtsstaat darf nicht vor der Kirchentür haltmachen. Wenn es einen konkreten Verdacht gibt, dann muss auch weitläufig und nicht nur pro forma ermittelt werden", fordert der Landtagsabgeordnete Schuberl. Die nun vorliegenden Antworten entkräften diesen Verdacht laut Schuberl nicht. Insbesondere die Tatsache, dass die Ermittlungsbehörden sich vollumfänglich auf das Material, das ihnen die Kirche selbst zur Verfügung gestellt hat, verlassen haben, verwundert den Juristen. "Dass sich die Ermittler vollständig auf dieselbe Institution verlassen, die zuvor vertuscht hat, ist mindestens zweifelhaft."
Holm Putzke, der in Passau auch CSU-Vorsitzender ist, hatte gemeinsam mit mehreren Strafrechtsprofessoren die Ermittlungen in Bayern 2018 durch bundesweite Strafanzeigen bei 27 Staatsanwaltschaften angestoßen. "Einige Staatsanwaltschaften haben dann ordentlich ermittelt, bei anderen war ich überrascht, wie zurückhaltend sie waren. Es ist bemerkenswert und auch erschreckend, dass der Wille zur Aufklärung so unterschiedlich ausgeprägt war und unterm Strich auch so wenig strafrechtliche Aufklärung geleistet worden ist, was eigentlich zur Kernaufgabe der Staatsanwaltschaften gehört."
Irritierend ist aus Putzkes Sicht auch, dass lediglich die im Zuge der Ermittlungen bekannt gewordenen Zeugen befragt wurden und nicht darüber hinaus: "Wenn feststeht, dass es zahlreiche Straftaten gab und gleichzeitig bekannt ist, dass die katholische Kirche solche Straftaten jahrzehntelang vertuscht und Akten manipuliert hat, was Kardinal Marx im Februar 2019 auf einer Pressekonferenz in Rom sogar zugegeben hat, dann ist das allemal ausreichend, um anlässlich konkreter Sachverhalte Mitarbeiter in einer Diözese – einschließlich des Bischofs – als Zeugen zu befragen, ob ihnen Fälle bekannt sind, von denen die Ermittler noch nichts wissen. Man stelle sich nur vor, es gibt konkrete Nachweise für Betrugstaten oder Ähnliches in einem Unternehmen und man will wissen, ob es weitere Fälle gibt. Selbstverständlich dürfte die Staatsanwaltschaft dann umfassend weitere Mitarbeiter des Unternehmens als Zeugen vernehmen."
Die erhoffte Erklärung für das Verhalten der Ermittlungsbehörden ist die Antwort der Staatsregierung deshalb leider nur teilweise, bedauern Schuberl und Putzke.
5 Kommentare
Kommentare
David See am Permanenter Link
ich meine mal gelesen zu haben das nur 1/8 der Fälle erfasst werden in dem sich die Opfer irgendwie kundtun.
E. Steinbrecher am Permanenter Link
in Bayern speziell hat man nach wie vor den Eindruck, das die Uhren anderst gehen. Letzlich sind auch Staatsanwälte auf ihren Job angewiesen.
Übrigens - umsonst hängen nicht, in den Gerichtssälen, Kreuze. Die Ambiguität geht weiter als man denkt.
Von Wegen Trennung von Staat und Kirche. Wer´s glaubt wird aber seelig.
Kathi am Permanenter Link
So funktioniert Aufklärung und Verurteilung eines Missbrauchsfalles in Bayern, wenn der Täter katholisch ist, wobei ich denke, dass der in Bayern hier kein Einzelfall ist.
Ich frage mich, wie lange es dauert, bis die Gesellschaft gesammelt merkt, wie sie von diesen christlichen Kriminellen und ihren Helfershelfern verarscht wird und endlich die Konsequenzen zieht.
Eine Schande für dieses Land.
Anbei die Links:
https://www.merkur.de/lokales/muenchen/stadt-muenchen/muenchen-ort29098/muenchen-bayern-hier-spaziert-ein-vergewaltiger-in-freiheit-maedchen-15-missbraucht-11628869.html
https://www.augsburger-allgemeine.de/bayern/15-Jaehrige-vergewaltigt-Bewaehrungsstrafe-fuer-Diakon-id53344216.html
M. Landau am Permanenter Link
Wen wundert das? Die Kirchenrepublik und ihre Kirchenjustiz.
Das ist eines Rechtsstaates unwürdig. Aber auch das wundert nicht wirklich, wenn man bedenkt was in Deutschland schon so als "Recht" galt, sowohl vor als auch nach 1945 und wie viele Nazi-Paragrafen heute noch als Recht gelten, darunter auch solche die das Verhältnis von Kirchen und Staat betreffen. Das ist beschämend.
Die Forderung dazu ist keineswegs überzogen: ganz normale rechtsstaatliche Ermittlungen und Verfahren. Das nicht nur nicht zuviel sondern der Standard, der unbedingt gelten sollte und muss.
Kathi am Permanenter Link
Zum obigen Kommentar:Es geht nicht nur um den sexuellen Missbrauch, sondern auch um psychische und körperliche Gewalt bei den Missbrauchsfällen.
(Ending clerical abuse) oder Snap international https://www.snapnetwork.org/ zur Aufklärung, was Opfer durchmachen, statt irgendwelche haltlosen Vermutungen und Unterstellungen zu posten (" ich meine, irgendwo einmal gelesen zu haben" und "so vermute ich mal" )Zitatende. Solche Leute tragen zu Diffamierung und eher noch zur Vertuschung bei. Sowas nennt man Verleumdung.
Aus welcher Quelle stammt denn die Lektüre? Jedenfalls eine völlig unseriöse Quelle, die mit der Realität nichts zu tun hat.
Dass so wenig Fälle aufgedeckt werden hat eher die Ursache, dass die Kirchen überall Privilegien haben und ihre eigene Justiz aufrichten durften. Die Zeugen beispielsweise sollten auch Opfer sein und nicht die Kirchenobrigkeiten selbst. Allein das ist schon ein Unding. Hier decken sich doch die Täter gegenseitig. Unser Staat unterstützt das Ganze noch. Warum werden nicht Durchsuchungsbefehle angeordnet und Beweismaterial beschlagnahmt, wenn Vorfälle beanzeigt werden? Der Staat ist eben nicht säkulär und neutral. Dass dies immer noch so ist, haben wir auch den vermeintlichen " Zwangskonfessionalisierten" zu verdanken, die die Kirche gerne noch als Arbeitgeber wählen und den vielen "Karteileichen", die zwar davon reden, dass in der Kirche soviel schiefläuft, aber auch zu bequem sind, die Konsequenzen zu ziehen. Das heißt: Austritt.