Filmkritik

Die gruselige Welt der Ultraorthodoxie

Vergangene Woche wurde die Netflix-Miniserie "Unorthodox" mit einem Emmy ausgezeichnet. Die auf dem autobiographischen Roman der Aussteigerin Deborah Feldman beruhende Geschichte erschreckt und macht Mut zu gleich. Eindringlich werden die sektenartigen Lebensverhältnisse einer ultraorthodoxen jüdischen Gemeinschaft in New York geschildert, während der Zuschauer zusammen mit der Hauptrolle die für uns so alltägliche Freiheit entdecken darf.

Religionen sind ein Machtinstrument. Sie verbieten den Menschen alles, was sie nicht lassen können. Alles wird zur Sünde erklärt und fordert Wiedergutmachung, wodurch die Menschen an ihre Religionsgemeinschaft gekettet werden, denn nur durch sie kann es Erlösung geben. Besonders auf Frauen haben es die Religionen abgesehen. Sie zu beherrschen, heißt, die Fortpflanzung zu kontrollieren. Deshalb wird die Frau im fundamentalistischen Umfeld gerne zum Besitz und "Acker" des Mannes erklärt. Dass das im Christentum und dem Islam so ist (beziehungsweise war), wird häufig thematisiert. Doch auch das ultraorthodoxe Judentum steht dem in nichts nach.

Dies wird anhand von Deborah Feldmans Schilderungen deutlich. Die junge Frau floh aus einer chassidischen Gemeinschaft, die in Williamsburg im New Yorker Stadtteil Brooklyn lebt. Mitten in dieser quirligen, freiheitsliebenden Stadt hat sich eine sektenartige Parallelgesellschaft gebildet, die Amish-ähnliche Verhältnisse pflegt: Modernität wird in weiten Teilen ausgeklammert, man kleidet sich, wohnt und lebt wie in vergangenen Zeiten. Feldman schrieb ausgehend von ihrer Lebensgeschichte den hochgelobten autobiographischen Roman "Unorthodox", der zum Bestseller wurde.

Im Frühjahr ging die zugehörige, vierteilige Netflix-Miniserie online. Vergangene Woche wurde sie mit einem Emmy für die Regisseurin Maria Schrader ausgezeichnet – es war das erste Mal, dass eine deutsche Filmemacherin diesen Preis erhielt. Zu Recht: Die Serie beleuchtet ein Thema, das in der Populärkultur nicht oft behandelt wird, ist es doch immer ein Seiltanz unter der Antisemitismus-Keule hindurch. Vor allem wenn eine deutsche Regisseurin einen kritischen Film über eine jüdische Gemeinschaft dreht. Das Projekt gelang durch eine vielfältige Einbindung jüdischer Schauspieler, Drehbuchautorinnen und Berater.

Hauptsache Kinder bekommen

Die 18-jährige Esther (genannt "Esty") wird in eine arrangierte Ehe verheiratet, deren oberstes Ziel es ist, Kinder zu produzieren. Die Gemeinschaft wird durch die traumatische Erfahrung des Holocaust beherrscht und hat es sich zum Ziel gemacht, die sechs Millionen ermordeten Juden zu ersetzen. Das ist die Erwartungshaltung an die Ehe; gleichzeitig ist man so grenzenlos verklemmt, dass keiner der Partner so recht weiß, wie das mit dem Kindermachen eigentlich funktionieren soll. Zärtlichkeiten gibt es nicht. Man legt sich in Nachthemden aufeinander, Decke drüber, Licht aus – und wundert sich dann, warum der Sex nicht klappt. Esty und ihr Mann Yanky verzweifeln zunehmend, ein Jahr lang schaffen sie es nicht, die Ehe zu vollziehen, da Esty sich so verkrampft, dass sie jedes Mal schlimme Schmerzen hat.

Der Druck der Familie auf das junge Paar steigt, alle mischen sich ein und geben wenig hilfreiche Tipps. Schließlich zwingt sich Esty, einen Akt auszuhalten, wodurch sie sofort schwanger wird. Als sie Yanky die freudige Nachricht unterbreiten will, eröffnet der ihr stattdessen, dass er sich scheiden lassen will, weil mit ihr ja offensichtlich etwas nicht stimme. Da beschließt sie zu gehen und flieht nach Berlin, denn sie hat als Wiedergutmachung für die Verbrechen an den Juden ein Recht auf die deutsche Staatsbürgerschaft.

In Berlin angekommen schlägt sich die zur absoluten Unselbstständigkeit erzogene junge Frau tapfer durch, verzichtet auf die Hilfe ihrer Mutter, die der Gemeinschaft ebenfalls den Rücken gekehrt hat und die dafür von dieser verachtet wird. Diese Haltung hat auch ihre Tochter verinnerlicht. Esty lernt eine Clique junger Musiker, die an einem Konservatorium ausgebildet werden, kennen, die sie offen aufnehmen. Mit ihnen entdeckt die junge Frau Stück für Stück das freie Leben und die israelische Schauspielerin Shira Haas kann das Befremden phantastisch spielen, wenn Esty das erste Mal in ihrem Leben eine Jeans anprobiert oder feststellt, dass ihr gar nicht schlecht wird, wenn sie Schinken isst. Eindringlich wird dem Zuschauer die beklemmende Lebenswelt der chassidischen Gemeinschaft vermittelt, genau wie die inneren Konflikte der Hauptperson, die sich mit bewundernswerter Stärke und Mut Stück für Stück aus dem Korsett aus Regeln befreit, in das ihr Leben gezwängt war.

Koschere Handys und rasierte Frauenköpfe

Die dargestellte Religionsgemeinschaft lebt ein streng rituell geprägtes Leben. Sie wollen sich abschotten, da nach ihrer Auffassung jede Assimilation jüdischen Lebens an die sie umgebende Gesellschaft in der Vergangenheit von Gott bestraft wurde: Von der Judenverfolgung des Mittelalters bis zum Holocaust. Man spricht Jiddisch, das im Film nicht synchronisiert wurde. Alle Dialoge zwischen Mitgliedern der Gemeinde sind in der Originalsprache gehalten – in der man sowohl englische als auch deutsche Elemente heraushört – und mit Untertiteln versehen. Die Männer tragen Schläfenlocken und Hüte, die Frauen müssen sich bieder kleiden und bedecken ihre Haare mit einer Art Stoffbadehaube oder einer Perücke – ihre echten Haare werden nach der Hochzeit abrasiert. Internet ist Tabu, es gibt spezielle koschere Handys mit eingeschränkten Funktionen.

Als die Familie von Estys Flucht erfährt, wird ihr Mann zusammen mit seinem zwielichtigen Cousin Moishe losgeschickt, um das verlorene Schäfchen wieder einzufangen. Sie machen sich auf den Weg nach Berlin und beginnen mit nicht immer legalen Methoden, nach ihr zu suchen. Unterwegs gilt "eine andere Thora" erfährt der Zuschauer, auf einmal sind Glückspiel und Puffbesuche möglich, was zu Hause tabu wäre. Natürlich gibt es solche Schlupflöcher nur für Männer, wie in jedem fundamentalistischen System.

Hauptsächlich geht es darum, sich das ungeborene Kind zu sichern, von dem die Familie mittlerweile erfahren hat. Dabei zählt in erster Linie das nachproduzierte Leben, nicht dessen eigene Lebensqualität. Der Schaden, den das Kind davonträgt, wenn man es der Mutter wegnimmt, wird billigend in Kauf genommen, solange die Gemeinschaft so ein Mitglied hinzugewinnen kann. Die auf diese Weise stattfindende Entmenschlichung des Individuums und die dargestellte Lieblosigkeit sind erschreckend. Wer der Gemeinschaft den Rücken kehrt, wird ausgestoßen. Wie auch bei anderen Sekten oder stark religiösen Gesellschaften gilt: Der Preis der Freiheit ist, dass man alles andere verliert. Immer wieder wagen es bewundernswerte Menschen dennoch, diesen Schritt zu gehen. Und das mitanzusehen, macht Mut.

Die vierteilige Miniserie "Unorthodox" ist bei Netflix verfügbar (FSK: 12).

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