"Im Zweifel lieber vier Mal mit Nein"

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Frau Dr. Petra Sitte (MdB/Die Linke)
Frau Dr. Petra Sitte (MdB/Die Linke)

BERLIN. (hpd) Am kommenden Freitag wird der Bundestag in namentlicher Abstimmung über die vier vorliegenden Entwürfe zur Sterbehilfe abstimmen. Viele Bürger wenden sich an ihre Bundestagsabgeordneten und fragen nach. Frau Dr. Petra Sitte (MdB/Die Linke) hat ihre Antwort auf eine dieser Mails zur Veröffentlichung freigegeben.

Betreff: Wir brauchen kein Suizidhilfe-Gesetz!

Sehr geehrter Herr xxx (anonymisiert)

vielen Dank für Ihre Mail.

Außer den faktisch nicht zu untermauernden Ängsten vor einem Missbrauch der geltenden Rechtslage, gibt es keinen zwingenden Grund einer Rechtsverschärfung, wie sie von den Gesetzentwürfen Brand/ Griese und Sensburg/ Dörflinger gefordert werden. Hier stimme ich völlig mit Ihnen überein.

Allerdings: Die uneinheitliche Lage beim ärztlichen Berufsrecht und dessen Konflikt mit dem liberalen Strafrecht sind allerdings ein möglicher Grund, Rechtsklarheit zu schaffen. Dies ist ein Ziel des Gesetzentwurfes von Frau Künast, Herrn Gehring, mir und anderen.

Unser Gesetzentwurf regelt, dass alle, die Suizidhilfe leisten wollen, die gleichen Regeln bezüglich Beratung und Dokumentation beachten müssen. Besondere Formulierungen gibt es bei uns vor allem bei den ÄrztInnen, weil die ja bisher mit dem Verbot in einigen ihrer Berufsordnungen zu kämpfen haben. Wenn wir also Ärzte besonders adressieren, dann nur um am Ende vereinheitlichte Regeln zu erreichen.

Wenn diejenigen, die Sterbehilfe leisten, sterbewillige Menschen aus eigennützigen Motiven in den Tod drängen, wäre das aber ein Grund, dies zu sanktionieren. Denn dann ist es kein freiverantwortlicher Suizid. Deshalb pochen wir unter anderem auf die ergebnisoffene Beratung, die auch Alternativen zum Tod aufzeigen soll.

Unser Gesetzentwurf würde die ÄrztInnen aus der jetzigen uneinheitlichen Lage bezüglich ihrer Berufsordnungen holen und allen, die Sterbehilfe leisten, dieselben Beratungs- und Dokumentationsregeln auferlegen. Dies sollte zu Klarheit und Rechtssicherheit führen. Uns wird aber vorgeworfen, dass wir zu viele zu spezifische Regelungen festlegen wollen, als das wir der Vielfalt der mit Sterbehilfe befassten Gruppen gerecht werden. Hier haben wir sicher Nachbesserungsbedarf.

Dennoch ist unser Gesetzentwurf, dem Ziel nach der, der am nächsten an der funktionierenden Praxis der Sterbehilfe in der Schweiz ist. Auch dort gibt es Beratungs- und Dokumentationspflichten, die Missbrauch wirksam verhindern. Er reguliert organisierte und ärztliche Sterbehilfe und setzt damit einen Rahmen für das, was die breite Mehrheit der Bevölkerung will. Er ist von seiner Zielsetzung her der liberalste Entwurf.

Leider aber zeichnet sich ab, dass eine massive Einschränkung der jetzigen Rechtslage ohne belegbare Notwendigkeit und gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung (und sogar gegen die Mehrheit der religiös gebundenen Bevölkerung) im Bundestag besonderer Beliebtheit erfreut. Der Entwurf meiner Kollegen Brand, Griese und anderen, der Suizidassistenz nur noch in Einzelfällen erlaubt lassen soll, wird nicht zuletzt massiv durch die Kirchen und Religionsgemeinschaften, die Funktionärsreihen der Ärzteschaft und die Lobbyisten der Krankenhaus- und Pflegeindustrie gepusht. Ironischerweise mit dem Hinweis, dass mit dem Suizid kein Geschäft gemacht werden dürfte. Dabei verdienen Pflegekonzerne und Pharmaindustrie am Weiterleiden lebensmüder Menschen viel zu gutes Geld.

Es muss also oberstes Ziel sein, diesen Entwurf Brand/ Griese zu verhindern. In diesem Sinne habe ich gemeinsam mit Frau Künast und Herrn Gehring alle unsere Abgeordnetenkollegen angeschrieben. Wenn an der aktuellen Rechtslage überhaupt etwas geändert werden sollte, dann im Sinne einer Klarstellung, nicht aber im Sinne eines Verbots. Deshalb haben wir unsere Abgeordnetenkollegen gebeten, dass sie, wenn sie uns nicht zustimmen können, wenigstens viermal mit "Nein" stimmen.

Auch wenn ich meinen eigenen Entwurf unterstütze, solange er noch im Rennen ist, viermal "Nein" ist mir im Zweifel genauso lieb.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Petra Sitte