Völkisch-religiöses im Nationalsozialismus

(hpd) Der Sammelband enthält 25 Aufsätze zum Thema. Dabei handelt es sich jeweils um Fallstudien, die direkt aus den historischen Quellen herausgearbeitet wurden und die unterschiedlichsten Aspekte des Verhältnisses von Völkischer Bewegung und Nationalsozialismus berühren.

Fragt man nach den ideologischen und organisatorischen Vorläufern des Nationalsozialismus, so dürfte an erster Stelle die Völkische Bewegung genannt werden. Ab Ende der 1870er Jahre entstanden im Wilhelminischen Kaiserreich unterschiedliche Clubs, Lesezirkel, Parteien, Publikationsorgane und Vereine, die von Antisemitismus, Nationalismus, Rassismus und Sozialdarwinismus geprägt waren. Einige ihrer Aktivisten machten später innerhalb der NSDAP bzw. dem „Dritten Reich“ politische Karriere. Neben den Gemeinsamkeiten gab es aber auch Unterschiede, die in ideologischen Randfragen und strategischen Tendenzen ihren jeweiligen Grund hatten. Ein damit einhergehendes Spannungsverhältnis macht die inhaltliche Linie des Sammelbandes „Die völkisch-religiöse Bewegung im Nationalsozialismus. Eine Beziehungs- und Konfliktgeschichte“ aus. Herausgegeben haben ihn die beiden Historiker Uwe Puschner von der Freien Universität Berlin und Clemens Vollnhals vom Hannah-Arendt-Institut in Dresden.

Das über 500 Seiten umfassende Werk enthält 25 Aufsätze, die in drei große Rubriken eingeteilt wurden: Zunächst geht es aber allgemein um den Forschungsstand zu der völkisch-religiösen Bewegung im Nationalsozialismus und die Angemessenheit einer Rede von „politischer Religion“ in diesem Kontext. Danach stehen „Völkisch-pagane Gemeinschaften“ im Zentrum des Interesses, wobei es Jugendbünde, die „Deutsche Glaubensbewegung“, deren ideologische Entwicklung, die Ludendorff-Bewegung und die völkisch-religiösen Einigungsversuche während des Zweiten Weltkriegs die Schwerpunkte bilden. Bezogen auf „Völkisches Christentum“ finden sich danach Abhandlungen zur Auffassung vom „arischen Jesus“, den „Deutschen Christen“, dem „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“, dem deutsch-schwedischen Theologenaustausch, die Perspektive der „Apologetischen Centrale“ auf die Völkischen und das Verhältnis von Katholizismus und völkischer Religion.

Und im dritten Block des Sammelbandes steht im engeren Sinne das Verhältnis von „Der Nationalsozialismus und die völkisch-religiöse Bewegung“ im Zentrum: Dabei geht es um Alfred Rosenberg und die völkisch-religiösen Erneuerungsbewegungen, die Religionspolitik des „Sicherheitsdienstes“ gegenüber „Sekten“ und völkisch-religiösen Gruppen, die Rolle des Antisemiten Johann von Leers in den religionspolitischen Auseinandersetzungen 1933/34, die Bedeutung des „Urgeistesgeschichtlers“ Herman Wirth im Kontext der völkisch-religiösen Bewegung, die Erforschung germanischer Religion in der Zeit des Nationalsozialismus, Hexendeutungen im Nationalsozialismus, völkisch-religiöse Runengymnastiker in jener Zeit, Anthroposophen in Auseinandersetzung mit völkischer Bewegung und Nationalsozialismus, das Spannungsverhältnis von Freimaurerei und den beiden politischen Bewegungen, den nationalsozialistischen Aktivismus mit der „Arteigenen“ Religion in Norwegen und den Chiemsee-Goldkessel als Kultobjekt aus der NS-Zeit.

Wie die Auflistung der Themen andeutet, handelt es sich jeweils um detaillierte Fallstudien. Eine bilanzierende Einschätzung gegen Ende fehlt leider. Alle Beiträge zeichnen sich aber durch hohen Informationsgehalt und gute Sachkenntnis aus, wurden sie doch meist direkt aus den historischen Quellen unter Berücksichtigung des aktuellen Forschungsstandes herausgearbeitet. Aufgrund der „Überspezialisierung“ der einzelnen Texte dürfte aber jeder Leser eine konkrete Auswahl nach eigenen Interessen treffen. Hier sei auf einige besonders beachtenswerte Aufsätze konkret hingewiesen: Die Abhandlung zu den Auffassungen vom „arischen Jesus“ macht die ideologische Notwendigkeit einer entsprechenden Umdeutung anschaulich deutlich. Die Kritik der Katholischen Kirche an Alfred Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“ bezog sich nur auf dessen Einforderung einer „neuen Religion“ und nicht auf den dabei propagierten Antisemitismus. Und das Verhältnis von Anthroposophie und Nationalsozialismus ist auch heute noch ein intensiv debattiertes Thema.

Armin Pfahl-Traughber

 

Uwe Puschner/Clemens Vollnhals (Hrsg.), Die völkisch-religiöse Bewegung im Nationalsozialismus. Eine Beziehungs- und Konfliktgeschichte, Göttingen 2012 (Vandenhoeck & Ruprecht), 592 S., 79,95 €