Ein Kommentar von Michael Schmidt-Salomon zu dem mutmaßlichen Anschlag in Berlin

Den Terroristen nicht in die Falle laufen!

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Die Nachricht von der Tragödie auf dem Berliner Weihnachtsmarkt war gerade erst über die Ticker gelaufen, da wusste der Landeschef der AfD in Nordrhein-Westfalen Marcus Pretzell bereits, wer die Schuld daran trägt. Via Twitter verkündete Pretzell zu einem Zeitpunkt, als nicht einmal ansatzweise klar war, ob es sich bei den dramatischen Ereignissen an der Gedächtniskirche um einen Unfall, einen apolitischen Amoklauf oder einen terroristischen Anschlag gehandelt hatte: "Wann schlägt der deutsche Rechtsstaat zurück? Wann hört diese verfluchte Heuchelei endlich auf? Es sind Merkels Tote!" Dabei übersah der AfD-Politiker allerdings, dass gerade er und seinesgleichen den Terroristen in die Hände spielen. Denn Rechtspopulisten zählen – wenn auch unfreiwillig – zu den wichtigsten Verbündeten der Islamisten im globalen Dschihad.

Die islamischen Gotteskrieger verfolgen eine perfide und bislang sehr wirkungsvolle Strategie, die in zahlreichen, u.a. im Internet verbreiteten Schriften nachzulesen ist: Da sie nicht die Mittel besitzen, die westlichen Demokratien auf militärische Wege ernsthaft zu gefährden, sollen viele terroristische Einzelaktionen die Bürgerinnen und Bürger in Angst und Schrecken versetzen und entsprechende Aversionen gegen "die Muslime" wecken, was wiederum zu einer weiteren Radikalisierung unter Muslimen führen soll.

Den Masterplan für diese Strategie hat der einflussreiche Islamist Abu Musab al-Suri in seiner 1.600-seitigen Propagandaschrift "Aufruf zum weltweiten islamischen Widerstand" dargelegt. Darin heißt es: "Wenn wir zwölf Angriffsteams in der gesamten islamischen Welt bilden könnten und jedes dieser Teams würde eine Operation im Jahr ausführen, dann gäbe es jeden Monat einen Angriff. Wenn sie zwei Operationen schaffen, wäre das alle fünfzehn Tage ein Angriff." Bezüglich der Angriffsziele gab al-Suri folgende Empfehlung: "Die Angriffsart, die Staaten abschreckt und Regierungen stürzt, ist der Massenmord an der Bevölkerung. Man muss Menschenmengen ins Visier nehmen, um maximale Opferzahlen zu erzielen. Das ist sehr einfach, weil es viele solcher Ziele gibt, wie zum Beispiel gefüllte Sportstadien, jährliche gesellschaftliche Veranstaltungen, gut besuchte Marktplätze, Hochhäuser und andere  Gebäude mit vielen Menschen."

Für die Umsetzung dieser Strategie brauche es nur 100 entschlossene Kämpfer, meinte al-Suri. Sie könnten mit gezielten Attacken die Rechtsstaaten destabilisieren – und dabei auf die unfreiwillige Unterstützung westlicher Nationalisten und "Kreuzzügler" rechnen. Denn diese würden, so das Kalkül al-Suris, reflexartig Gegenmaßnahmen gegen "die Muslime" einleiten. Die damit einhergehende Unterdrückung der Muslime sei eine großartige Stütze im globalen Dschihad. Denn sie führe zu größerer Ungerechtigkeit und zu massiveren Konflikten, was viele junge Muslime dazu motivieren würde, sich am bewaffneten Kampf gegen "die Ungläubigen" zu beteiligen.

Derzeit sieht es so aus, als sei der 23-jährige Pakistani, der in Berlin festgenommen wurde, al-Suris Anweisungen gefolgt, als er mit einem gestohlenen LKW in die Menschenmenge auf dem Berliner Weihnachtsmarkt raste. Gesichert ist diese Annahme im Augenblick noch nicht. Fest steht aber schon jetzt, dass sich Rechtspopulisten wie Marcus Pretzell geradezu sklavisch an das Terror-Drehbuch der Dschihadisten halten. Sie sind, ohne es zu ahnen, die wirkungsvollsten Verstärker des globalen Dschihad. Wenn wir dem Islamismus wirksam entgegentreten wollen, können wir es uns nicht erlauben, weiterhin in diese Falle zu laufen.

Update 21.12.: Dieser Kommentar wurde am Dienstagmorgen (20.12.2016) verfasst, als die Sicherheitsbehörden den 23-jährigen Pakistaner noch als "dringend tatverdächtig" einstuften. Die vorsichtige Formulierung des Kommentars (die viele empörte, da sie hier "Gutmenschentum" witterten) erwies sich dabei als überaus berechtigt, denn schon am Dienstagabend wurde der Mann aus der Untersuchungshaft entlassen. Aktuell (Mittwochmorgen) gilt es zwar als wahrscheinlich, aber eben nicht als gesichert, dass es sich bei dem Anschlag um einen islamistischen Terrorakt handelte. Theoretisch denkbar wäre noch immer, dass die Tat von einem Amokläufer ohne Bezug zum Islamismus begangen wurde. Solange diese Hintergründe nicht geklärt sind, ist es unverantwortlich, einen Zusammenhang zwischen der Berliner Tragödie und der Flüchtlingspolitik herzustellen. Wer so verfährt wie Pretzell, der argumentiert nicht nur "postfaktisch", sondern betreibt eine politische Propaganda, die die tödlichen Strategien der Dschihadisten tragischerweise noch verstärkt, statt sie abzuschwächen.

Übernahme von der Giordano-Bruno-Stiftung.