Heimkinder

Wo ist die deutsche Einheit?

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Fotos: © Evelin Frerk

BERLIN. (hpd) In der sowieso schon schwierigen Thematik der ehemaligen Heimkinder gibt es nun das zusätzliche Problem der unterschiedlichen Wahrnehmungen bei gleichem Sachverhalt. Die "Ost-Fonds" für Opfer der DDR-Heimerziehung sind faktisch ausgeschöpft. Außer netten, zuversichtlichen Worten schien sich bisher niemand wirklich zuständig zu fühlen.

Nun kommt doch noch ein Papier auf den Tisch, dass eine Reduzierung der Leistungen 'vorschlägt'. Der Arbeitskreis Fonds Heimerziehung der DDR (ABH-DDR) erklärt sich damit grundsätzlich nicht einverstanden.

Er gab aktuell eine Presseerklärung heraus, in der es heißt: "Ein Vorschlag zur Fortführung des Fonds wurde dem Arbeitskreis unterbreitet, der reduzierte Leistungskriterien einführen soll. Der Vorschlag stützt sich auf ein Protokoll aus den Jugend- und Finanzministerien vom 16. Januar 2014 und steht im Widerspruch zu den Vereinbarungen, die der Deutsche Bundestag in der 183. Sitzung am 13. Juni 2012 beschlossen hat. Der ABH-DDR ist mit diesem Vorschlag nicht einverstanden und widerspricht."

Im Juli 2012 wurden die Fonds begründet, aus denen Opfer der DDR-Heimerziehung (1945 – 1989) Leistungen beantragen können. Um Anträge zu stellen, sind Beratungsgespräche erforderlich. Dafür wurde in jedem Bundesland eine Anlauf- und Beratungsstelle eingerichtet. Die Errichter der Ost-Fonds waren hälftig der Bund und die Bundesländer, die Kirchen blieben außen vor. Während diese bei den Anfang 2012 aufgelegten West-Fonds mit auf der Seite der Einzahlenden sind. Anhaltspunkt für das Volumen der Fonds war für den Osten die Anzahl der Bevölkerung, die West-Fonds bezogen sich auf die bekannten Heimplätze. Eine Gemeinsamkeit haben Fonds Ost und West: sie waren beide nicht "gedeckelt" - so jedenfalls wurde es einmal zugesagt.

Am 12. Dezember 2013 hieß es in einer Information zur "Aussteuerung des Fonds Heimerziehung in der DDR" über die Fonds: "Der Lenkungsausschuß habe ein Verfahren zur weiteren Umsetzung des Fonds ... beschlossen, diejenigen Betroffenen vorrangig auszuzahlen, mit denen bereits Leistungsvereinbarungen entstanden sind. Man werde den sieben Anlauf- und Beratungsstellen jeweils ein Finanzkontingent zuweisen, nach Ausschöpfung dessen wären von dort wohl die Beratungen weiterzuführen. Es bestehe bis zu einer Entscheidung über eine Fortführung des Fonds keine Möglichkeit ... materielle Hilfen oder Rentenersatzleistungen in Anspruch zu nehmen."

Erste Reaktionen und Berichte

In der zweiten Dezember-Hälfte, der dunklen Jahreszeit mit kurzen Tagen und mitten in den Koalitionsverhandlungen, waren die Reaktionen darauf unterschiedlich:

Beratung ja – Anträge auf Leistungen nein? Da ist der Gedanke einer Ungleichbehandlung nicht weit entfernt. Betroffene und ehemalige Heimkinder riefen spontan zu einer Demonstration vor dem Kanzleramt auf. Die Demonstration kam jedoch nicht zusttande.

In Berichten heißt es: Die Fonds Ost seien durch die Länderfinanzminister der Neuen Bundesländer eingefroren worden. Von den anfangs geschätzten 40 Millionen Euro sind aktuell 27 Millionen Euro ausgegeben worden.

Allerdings machen eigene Recherche deutlich, dass bereits gestellte Anträge an die Ost-Fonds, die mit der sogenannten Schlüssigkeits-Prüfung von den zuständigen Stellen abgeschlossen sind, jetzt noch zur Auszahlung kommen. Addiert man die Summen dieser Anträge, sind die Ost-Fonds "virtuell" ausgeschöpft - sprich: leer.

Stellungnahmen zum Thema (Auswahl)

07.Januar 2014 - DIE WELT: "DDR-Heimkinder-Fonds muss aufgestockt werden: Anne Drescher,Landesbeauftragte für Stasi-Unterlagen in Mecklenburg-Vorpommern zeigt sich am Dienstag sicher, dass .... aufgestockt wird....."

09.Januar 2014 - Ingo J. Skoneczny, Vorsitzender des Fachbereichs zur Begleitung der Anlauf- und Beratungsstelle für den Entschädigungsfond für die ehemaligen Heimkinder in Berlin stellt als Autor Fragen und sein Resümee zur Diskussion u. a., "Gehen im Osten die Lichter aus?" (Seinen Beitrag dokumentiert der hpd auf den Seiten 3 bis 5 in voller Länge.)

Der rbb berichtet zu den Ost-Fonds: "Die Mittel werden wohl nicht ausreichen. Die Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig wolle klären, wie allen Betroffenen geholfen werden kann." Weiter heißt es: "Die Bundesregierung und die Ost-Länder gingen davon aus, dass der Finanzbedarf für die Ost-Fonds bei insgesamt 200 Millionen Euro liegt."

13.Januar 2014 - Radio Allgäu, Leipziger Volkszeitung//MVOP (Auswahl) zitieren die Bundesfamilienministerin Manuael Schwesig: "Wir dürfen die Betroffenen nicht im Regen stehen lassen."

Die Medien zeigen sich zuversichtlich, dass der Bund mit den ostdeutschen Ländern eine gemeinsame Lösung finden wird. In den Berichten wird die Aufstockung der Ost-Fonds "um einen höheren zweistelligen Millionenbetrag" prognostiziert und die Worte der Bundesministerin werden wiederholt: "... die Fonds werden von den Betroffenen gut angenommen."

Zu erkennen ist, dass das Thema marginal aufgenommen wird. Einer anfängliche Schroffheit mit dem Hinweis, es bestünde kein Anspruch der Betroffenen mehr auf Leistungen aus den Fonds, weicht einem vorsichtigen Optimismus, die notwendigen Gelder noch zur Verfügung stellen zu können. Dabei setzt die Positionierung der Bundesministerin offensichtlich ein wesentliches Zeichen. Die Fonds sind als Resultat eines demokratischen Prozesses anzusehen, der sich nicht einfach vom Tisch wischen lassen darf.

Dennoch, es bewegt sich nichts.

Unsere Recherchen

Weil die Ausgangssituation so unübersichtlich war und sich vor allem die Aussagen zu widersprechen schienen, haben wir selbst umfangreich recherchiert.

Mit dem Ziel, wirklich Fakten benennen zu können, nahmen wir u. a. Kontakt mit den Anlauf- und Beratungsstellen auf und fragten bei dem zuständigen Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen, Jugend (BmfsfJ an.

Anlauf- und Beratungsstellen

Auf die Frage, wie die Situation der Ost-Fonds sein, kam die überraschende Antwort: "Alle haben Recht. Am 10. Dezember 2013 war real kein Geld da, weil von den Bundesländern die vereinbarten Zusagen über die Ratenzahlungen in den Fonds nicht eingehalten wurden. Es kam zu einer Nothilfs-Aktion. Berlin hat dabei den ersten Schritt gemacht und das Geld für die Jahre 2014, 2015, 2016 vorgezogen eingezahlt und somit den finanziellen Engpass aufgefangen.

Antragstellern aus Berlin ist die Auszahlung garantiert, wenn

  • fertige Verträge abgeschlossen sind,
  • mit der Anlaufstelle bereits Vereinbarungen getroffen wurden und
  • die Einzel-Vereinbarungen unmittelbar bevor stehen und diese nur noch einen "letzten Schliff" benötigt.

Ab Januar 2014 können allerdings vorerst keine neuen Verträge abgeschlossen werden. Über die aktuelle Situation informiert die Anlauf- und Beratungsstelle mit einem Anschreiben und rät den Betroffenen, die vereinbarten Termine wahrzunehmen, um nicht weitere Zeit zu verlieren.

Das Team der ABH-DDR geht davon aus, dass die Ost-Fonds aufgefüllt werden und die Leistungen somit weiter laufen können. Dabei erfahren wir, dass eine Wartezeit von bis zu eineinhalb Jahren auf ein ersten Beratungsgespräch nicht ungewöhnlich sind.