FRAUENFELD/CH. (hpd) Jeden Freitag veröffentlicht der hpd einen Artikel zu einem Film oder einer Serie, die mit einem “humanistischen Auge” gesehen werden. Heute stellt Sascha Erni den Film “Looper” vor, den Rian Johnson im Jahr 2012 veröffentlichte.
Ostern sind vorbei, also bespreche ich nur zu gerne eine modernere Geschichte voller Blut, Gewalt und Silberlingen. Ganz ohne Auferstehung nach drei Tagen. Denn das wäre zu inkonsequent für einen Film wie Looper.
Looper machte 2012 von sich zu reden: Das Werk von Regisseur und Autor Rian Johnson (der später unter anderem die großartige Breaking Bad-Episode “Ozymandias” gedreht hat) wurde zum Überraschungshit und demonstrierte eindrucksvoll, dass auch gestandene Hollywood-Größen wie Bruce Willis gerne für Independent-Produktionen zu haben sind, wenn diese denn nur mit klugem Drehbuch und engagierten Mitstreitern daherkommen.
Die Story
Wir schreiben das Jahr 2044. Beziehungsweise das Jahr 2074, denn Zeitreisen und die damit einhergehenden Paradoxen sind ein zentrales Element der Geschichte. Zeitreisen wurden zwar schon lange verboten, das hält aber das Verbrechersyndikat um den rätselhaften “Rainmaker” nicht davon ab, sie im eigenen Interesse zu nutzen.
Da in der Zukunft von 2074 auch die Ermittlungsmöglichkeiten der Polizei endlich annähernd das Niveau von CSI Miami erreicht haben werden, ist es faktisch unmöglich, jemanden ohne Konsequenzen beiseite zu schaffen. Die Lösung des Rainmakers ist denkbar simpel und erschreckend logisch: Die Opfer werden gefesselt und mit einem Sack über den Kopf dreißig Jahre in die Vergangenheit (also in das Jahr 2044) geschickt. Dort wartet ein so genannter “Looper” bereits mit der Schrotflinte auf die Ankunft der Zeitreisenden, schießt sie über den Haufen und entsorgt die Leichen in seiner Gegenwart. Ganz ohne CSI und ohne Verbindung zum Jahr 2074.
Bezahlt werden Looper mit Silberbarren, die den Opfern vor deren Verabschiedung auf die Rücken geschnallt werden. Looper leben entsprechend ausschweifend in ihrer Gegenwart, jedenfalls so lange ihr zukünftiges Ich keinen Stress mit dem Rainmaker bekommt. Wenn doch? Dann findet der Looper nach getaner Arbeit Gold- statt Silberbarren an der Leiche und weiß, dass er gerade sein 2074er-Ich erschossen hat. Ein Grund zum Feiern, denn erstens ist man noch reicher geworden und zweitens weiß man ziemlich genau, wann man sterben wird, kann also bis dahin das Leben ohne Sorgen genießen. Carpe diem!
Tja, und so wäre es auch Looper Joe (Joseph Gordon-Levitt in seiner dritten Rolle unter Rian Johnson) ergangen. Hätte sein zukünftiges Ich (Bruce Willis) die unfreiwillige Zeitreise nicht pragmatisch umgenutzt, um den Rainmaker zu töten – bevor dieser sein Imperium aufbauen kann. Da aber Zeitschleifen geschlossen gehören, hat Joe keine Wahl: Er muss den zukünftigen Joe wie geplant töten, oder das Syndikat wird sich um beide kümmern – “close the loop”. Wie logisch und vor allem drastisch vorgegangen wird zeigt eine Szene mit einem anderen Looper, der versagt hat. Ich sage nur: Finger … 2044er-Joe muss also sein zukünftiges Ich töten, um noch drei Jahrzehnte in Luxus leben zu können. Während 2074er-Joe es auf den Kopf des Syndikats abgesehen hat. Der dummerweise 2044 noch ein Kind ist.
Die Story stellt vordergründig die alte Frage: Wenn du in die Vergangenheit reisen könntest und dort Adolf Hitler als Kind begegnetest, würdest du ihn töten? Der Rainmaker ist nicht nur Kopf eines Verbrecherimperiums, sondern auch mit telekinetischen Fähigkeiten ausgestattet – kommt in der Zukunft (beziehungsweise der erzählerischen Gegenwart 2044–74) nicht all zu selten vor, der Rainmaker aber ist mit Abstand der mächtigste und brutalste Mutant-Telekinetiker, der jemals lebte. Der Name “Regenmacher” kommt nicht von ungefähr. Aus Sicht des 2074er-Joes muss der Rainmaker weg, bevor er seine Verbrecher-Laufbahn antreten oder seine Fähigkeiten voll ausbilden kann. Koste es, was es wolle.
Der 2044er-Joe ist noch nicht so skrupellos wie sein zukünftiges Ich, ihm fehlen sowohl ein paar Jahre in diesem schmutzigen Geschäft als auch der Tod einer ihm noch unbekannten Geliebten. Ihn treiben weder persönliche Verluste noch Sorge um die Gesellschaft an; er erledigt einfach (s)einen Job. 2074er-Joe jedoch rechtfertigt seine Rachegelüste mit der Rettung der gesamten Menschheit. Wenn er über einem toten Kind weint, dann nicht, weil er sich als Monster erkennt. Sondern weil er das falsche Kind erwischt hat.
Tja, und während 2074er-Joe den kindlichen Rainmaker sucht, flüchtet 2044er-Joe vor dessen Häschern aus der Zukunft und hofft darauf, die Schleife selbst schließen zu können, bevor er verstümmelt und entsorgt wird. Und stolpert dabei über die alleinerziehende und überaus wehrhafte Mutter Sara (Emily Blunt in einer Glanzrolle). Mutter. Kind? Ich muss das nicht ausführen, oder?
Was prägt den Menschen?
Looper ist eigentlich mehr Charakterstudie als Science-Fiction-Film. Oder wie es der Co-Produzent Jim Stern sagte: “What I love about this movie is it’s a character film that uses sci-fi; it’s not a sci-fi film that uses character.” Es geht weniger um Zeitreisen oder eine dystopische Gesellschaft, in der Auftragsmörder Rockstars sind – beides ist nur Mittel zum Zweck.
Die eigentlichen Fragen sind: Wie entwickeln sich Personen? Was prägt sie, was traumatisiert sie, wie schreiten sie durch ihre Lebensjahre? Wird man “böse” geboren, oder wird man es durch äußere Umstände? Wird man als Auftragsmörder mit den Jahren immer abgebrühter, oder ist man das von Haus aus, sonst hätte man diesen Beruf nie ergriffen? Und wie konsequent kann, wie konsequent will man wirklich sein? Reicht es, Kinder zu töten? Oder muss man weiter gehen? Oder einen Schritt zurück? Oder resignieren? Und kann “Liebe” etwas bewirken, oder ist “Liebe” ein bequemer Ausweg aus einem selbstverantworteten moralischen Dilemma?
Johnsons Regie wurde von verschiedenen Seiten kritisiert, mir persönlich erscheint sie als sehr effektiv. Selbst in harmlosen Situationen schwingt immer Bedrohung mit, der karge Stil erinnert stellenweise an Fargo der Cohen-Brüder, nur um dann Inception-mäßig mit Spezialeffekten die Zuschauer aus der Bahn zu werfen oder gewisse Fight Club-Anleihen zu verfolgen.
Was aber wichtiger ist: Johnson legt so den Fokus tatsächlich auf die Charakterentwicklung, das Wachsen des Menschen und dessen Wandel innerhalb der Gesellschaft, als Reaktion auf Dinge außerhalb des eigenen Einflusses. Das Trio Willis, Blunt und Gordon-Levitt überzeugt auf ganzer Linie, die Nebendarsteller sind mehr als etwas Salz in der Suppe: Sie geben den nötigen Rahmen für dieses Moralspiel. Nicht nur in dieser Hinsicht gleicht Looper dem 1998er Genre-Klassiker Dark City. Ob die Telekinese-Sache ebenfalls diesem Film entliehen wurde? Falls ja, ist es sinnvoll eingearbeitet und mehr als ein bloßes Zitat oder ein Scifi-Gimmick.
Ich möchte die Auflösung nicht verraten – vielleicht haben einige Leser den Film noch nicht gesehen. Aber was ich dazu sagen kann ist das: verstörend, konsequent, und: Passion Christi – erschreckend konsequent.
Trailer:
Looper (USA/China, 2012). Drehbuch und Regie: Rian Johnson. Darsteller u.a. Joseph Gordon-Levitt, Emily Blunt, Bruce Willis, Paul Dano, Pierce Gagnon. Vertrieb: Universal Pictures.