Meinung

Gott – Basta

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Wenn statt Antworten neugierigen Kindern immer nur ein ignorant trivialisierendes, transzendentales Stoppschild gezeigt wird, wird dem Erkenntnisdrang der Weg versperrt. Rolf Mohr über den Schaden frühkindlicher Indoktrination.

"Wie kommt's, dass die Pusteblume solche Fallschirme macht?" – "Der liebe Gott hat das gemacht."
"Woher wissen die Spinnen, wie sie ihr Netz bauen sollen?" – "Der liebe Gott lässt sie das machen. Frag nicht länger."
"Die Vögel haben doch ihre Äuglein oben im Kopf und ihre Füßchen unterm Bauch. Wie kommt es, dass sie ohne hingucken zu können ihre Krallen immer genau um den dünnen Zweig unter sich schließen?" – "Nun nerv nicht immer! Ich hab Dir schon mehrmals gesagt: das macht der liebe Gott. – Basta!"

Mehr als die Fragerei nerven solche Gottes-Basta-Antworten. Und sie nehmen so viel Lebensglück, das im wundernden Bestaunen, im denkenden Forschen und im suchenden Entdecken liegen würde.

Wer solch ein ignorant trivialisierendes, transzendentales Stoppschild vor alle Neugier setzt und sich dem Erkenntnisdrang der anvertrauten Jugend sperrig in den Weg stellt, (darf ich sagen?) "versündigt" sich an der Menschheit – und, schlimmer noch, fühlt sich dabei womöglich noch "moralisch" gerechtfertigt durch eine hochmütige Instanz überdauernder geistiger Vergewaltigung.

Das sind harte Worte über eine jahrtausendealte Tradition, die, angetan mit dem Priestergewand als Rüstung, dem Weihrauchschwenker als Nebelwerfer und "geweihten" Kerzen vom Licht der Erkenntnis ablenken will und etliche Jahrhunderte der Finsternis und des Verbrechens in unserer Welt zu verantworten hat – eine Tradition systematischer, auf Macht und Abhängigkeiten zielender Verdummung.

Wir sind mit diesem traditionellen Malheur der "Kultur" genannten Taten nicht allein auf der Welt. Nahezu umfassend, auf allen Kontinenten, in allen Nationen und Gesellschaften dieses Globus' werden in ähnlicher, häufig sogar noch schlimmerer Weise historisch-tradiert vergleichbare Verbrechen begangen und "transzendental-weihevoll" als "gottgewollt und gottgefällig" – gegen alle natürliche Moral und Vernunft – verantwortet, sogar missionarisch gefördert.

Was müssen das für Götter sein, die es darauf anlegen, und ihre "geweihten Schergen" auf Erden darauf, per Weihe und Gehalt dazu verpflichtet, die Menschheit stupid zu halten, deren bewundernd-forschendes Erkenntnisinteresse mit einem vermeintlich aus anonymer, unidentifizierbarer Sphäre übersetzten "Gott! – Basta!" machtvoll und gern auch mit Sanktionen zu ersticken. Solche Gottheiten kann sich dieser – einzig lebensfähige – Globus jetzt nicht mehr leisten!

Auch der in unseren Regionen übliche Weihrauch lähmt den Atem freier Erkenntnis seit Jahrhunderten, selbst nach der Epoche, die wir "Aufklärung" nennen. Aufklärung darf nicht das kulturelle Etikett einer begrenzten Epoche sein, Aufklärung muss der unübersehbare Wegweiser in Richtung der realen Befreiung menschlicher Denkbegabung sein – überdauernd, einladend, vielleicht sogar fordernd im Sinne einer quasi übergeordneten Verantwortung für diese einzigartige, dreifach gefährdete Biosphäre. Im Moment gibt es reichlich kritische Aufmerksamkeit für die unter der Soutane grassierende Bigotterie, die öffentlich wurde durch die sexuellen Übergriffe an und Vergewaltigungen von Schutzbefohlenen und deren systematische Vertuschung, alles in diametralem Widerspruch zum Anspruch der moralischen Orientierungs- und Wächterfunktion (krasser geht's nicht). Ob dieser zahlreichen widerlichen Verbrechen bleibt dabei die wesentlich umfassendere, nämlich ganze Generationen von Klein- und Kleinstkindern zu ideologischen Opfern machende, geistig-seelische Vergewaltigungspraxis außerhalb des Blicks. Händchen falten, das Gebet mitsprechen, bevor Müdigkeit und Schlaf das gerade der ersten Worte mächtige Kleinkind in die Traumwelt entführen.

So wachsen Abermillionen von Kindern in ein denkverengendes Leben hinein, bevor sie überhaupt einen ersten Begriff von der ungeheuren Vielfalt der Welt und ihrer eigenen Möglichkeiten darin zu entwickeln in der Lage sind, nämlich der Möglichkeiten eigener Orientierung, eigener Kritikfähigkeit, eigener Positionierung, eigener Bewertungen und eigener Widmungen! Wer später im Leben an diese frühen Prägungen zurückdenkt, wird die Empfindungen der verklärt anheimelnden eigenen Kindheit nicht neutralisieren können; er oder sie ist ideologisch infiziert: unfrei durch diese frühe geistige Vergewaltigung im noch gänzlich unmündigen Zustand.

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