Rezension

Ein Leben für die Forschung

Eine fesselnde Autobiografie - verbunden mit weitgefasster Wissensvermittlung: Katalin Karikó, Nobelpreisträgerin für "Physiologie oder Medizin" 2023, erzählt humorvoll, mit einer gehörigen Portion Selbstironie die inspirierende Geschichte einer Wissenschaftlerin, die immer an das glaubte, was sie tat. Spannend authentisch und emotional berührend berichtet sie von ihrem an Höhen und Tiefen reichen Leben und erläutert gleichzeitig die wichtigsten wissenschaftlichen Aspekte ihrer mehr als drei Jahrzehnte währenden Erforschung von Messenger-RNA (mRNA), die als Grundlage für die Entwicklung von COVID-19-Impfstoffen Millionen Menschen vor den schlimmsten Folgen der COVID-19 Pandemie bewahrten.

Katalin Karikó, geboren 1955, wuchs als Tochter eines Metzgers in einer ländlich geprägten ungarischen Stadt unter sehr bescheidenen Verhältnissen auf. Inspiriert durch engagierte Lehrer und die sie umgebende Natur entwickelte sie lebhaftes Interesse für Biologie und entschloss sich frühzeitig, Wissenschaftlerin zu werden. Ungeachtet vieler Widerstände verfolgte sie dieses Ziel mit größter Hartnäckigkeit und Zielstrebigkeit; in ironischer Selbsteinschätzung beschreibt sie sich als die zwar nicht intelligenteste aller Schülerinnen und Studentinnen, wohl aber als die fleißigste und dickköpfigste im Verfolgen ihrer selbstgestellten Ziele.

1973 begann Karikó ein Biologiestudium an der Universität Szeged, das sie 1978 mit dem Diplom und 1982, bereits an der Synthese von RNA und mRNA arbeitend, mit dem Doktorat abschloss. Ihre Postdoc-Forschung am Institut für Biochemie der Ungarischen Akademie der Wissenschaften wurde beendet, als ihr Labor 1985 seine Finanzierung verlor; sie emigrierte daraufhin mit ihrem Mann Béla Francia und ihrer zweijährigen Tochter Susan Francia in die USA.

In prekären akademischen Positionen arbeitete Karikó 3 Jahre an der Temple University in Philadelphia, danach einige Zeit an der University of Health Science, Bethesda und anschließend 23 Jahre an der Medizinischen Fakultät der University of Pennsylvania, wo man ihr allerdings wegen fehlender Forschungsgelderaufbringung immer wieder Schwierigkeiten bereitete und die zustehende Beförderung vorenthielt. Ihr Forschungsgebiet mRNA fand kaum Beachtung und Würdigung, universitätsintern wurde sie als die "verrückte mRNA-Frau" eher belächelt als ernst genommen. "Wenn ich eine Superkraft habe, ist es die Bereitschaft, hart und methodisch zu arbeiten und niemals aufzugeben".

Katalin Karikó i(2003), Foto: © US Embassy Sweden, Wikipedia, CC BY 2.0
Katalin Karikó in der US-amerikanischen Botschaft vor der Verleihung des Nobelpreises (2003), Foto: © US Embassy Sweden, Wikipedia, 

CC BY 2.0

1997 traf sie den Immunologen Drew Weissmann, mit dem sie gemeinsam an der Entwicklung von Medikamenten auf mRNA-Basis zu forschen begann. Im Dezember 2005 erfolgte der Durchbruch (Buchtitel!): "Wir hatten mRNA erfolgreich eingesetzt, um ein spezifisches Protein im Innern einer Zelle zu produzieren. Und wir hatten es mit einer Technik erreicht, die sowohl einfach wie billig war, das klinische Potential dieser Entdeckung war enorm. Mit mRNA konnten wir die richtigen Proteine an den richtigen Platz bringen, ohne dass wir DNA in den Zellkern einschleusen mussten". (Anmerkung: Eine mRNA-Therapie verändert die Zelle nicht dauerhaft, sie kommt dem Erbgut des Patienten nicht einmal nahe; dazu kommt, dass RNA vom Körper schnell abgebaut wird).

Der "Durchbruch" erregte wenig Aufmerksamkeit und eine geplante Medikamentenentwicklung in einer von Karikó und Weissmann dafür gegründeten Firma scheiterte, da das von beiden erlangte Patent von der Universität an die Firma Moderna verkauft worden war. Es folgten gesundheitliche und berufliche Rückschläge, 2012 wurde Karikó von der Universität Pennsylvania entlassen. Auf Arbeitssuche traf sie in Deutschland auf die Gründer der Firma Biontech, Özlem Türeci und Ugur Sahin, die ihr eine Stelle anboten – jahrelang pendelte Karikó zwischen Deutschland und den USA. Von 2013 bis September 2022 war Karikó "Senior Vice President" bei Biontech, seitdem ist sie Professorin an der Universität Szeged und parallel dazu Professorin an der University of Pennsylvania. (Die Tochter Susan Francia wurde zweifache Olympiasiegerin und mehrfache Weltmeisterin im Rudern).

Neben den interessanten, auch unterhaltsam lesbaren autobiografischen Schilderungen bietet das Buch fundiertes Wissen zum Thema Biochemie und verwandte Wissensgebiete. Eingängig und gut verständlich erklärt Karikó das Wesen ihrer Forschungen mit den dabei aufgetretenen Schwierigkeiten und Maßnahmen, die es Schritt für Schritt zu lösen galt. Gleichzeitig vermittelt das Buch auch Kenntnisse zum Forschungsbetrieb an Universitäten sowie zum, vor allem in den USA notwendigen, Einsammeln von Forschungsmitteln. Katalin Karikó war und ist dafür bekannt, ohne Umschweife und Höflichkeitsfloskeln zu argumentieren und ihre wissenschaftlichen Ziele geradlinig zu verfolgen - was ihre Arbeit nicht immer erleichterte: "Mein Ehrgeiz war aus der Neugier geboren. Ich war Wissenschaftlerin durch und durch. Mehr als alle wollte ich verstehen, wie die Welt funktioniert. In meinem Streben nach Wissen setzte ich hohe Maßstäbe, für mich persönlich und für meine Studien".

"Nichts kommt diesem Gefühl gleich, die erste Person zu sein, die etwas weiß, was bis dato niemand anders erkannt hat".

Nach dem Durchbruch folgten noch lange Jahre harter, kräftezehrender Arbeit. Karikós und Weissmanns Forschungsergebnisse trugen maßgeblich zur Entwicklung von mRNA-Technologien bei, die die Grundlage für Impfstoffe gegen COVID-19 sowie für Medikamente gegen Krebs, Schlaganfälle und Mukoviszidosen bilden. Die dabei auftretende Frage möglicher Entzündungsreaktionen durch mRNA konnte 2008 gelöst werden:

"Seit dreißig Jahren machte ich nun diese Arbeit. Tag für Tag, Experiment für Experiment, Labor für Labor. Und schließlich, endlich war alles da. Wir hatten die Möglichkeit, mRNA im Labor herzustellen. Wir konnten diese mRNA in Zellen einschleusen. Wir konnten unsere mRNA davor schützen, abgebaut zu werden. Indem wir Pseudouridin in die mRNA einbanden, konnten wir eine überschießende Entzündung verhindern. Und dafür sorgen, dass die mRNA in viele, viele Proteine übersetzt wurde".

Teil 6 des Buches "Eine veränderte Welt" beschreibt auf 50 Seiten die Entwicklung von mRNA als Impfstoff gegen COVID-19 - "es ist unmöglich, auf diesen Seiten die Dringlichkeit und Energie wiederzugeben, mit der wir uns Anfang 2020 unserer Arbeit widmeten" – und in weiterer Folge die Impfkampagne, wobei auch auf sachlich begründete Einwände und Bedenken von Impfskeptikern eingegangen wird. "Die COVID-19-Impfstoffe durchliefen alle Phasen mit den üblichen bewährten Verfahren hinsichtlich Sicherheit, Forschungsmethoden und Anzahl beziehungsweise Diversität der Probanden. Aber wir führten Phase 1 und Phase 2 parallel durch, um noch schneller an Resultate zu kommen. Pfizer produzierte jedoch schon während dieser Phasen Millionen Impfstoff-Dosen, die in ultrakalten Lagerhallen aufbewahrt wurden."

Katalin Karikós "Durchbruch" gehört zu den Büchern, die man, einmal angelesen, kaum aus der Hand legen mag. Ihre Lebensgeschichte, verbunden mit Einblicken in ihre Forschungen sowie die Beschreibung ihres keineswegs leichten Weges als Wissenschaftlerin zum Nobelpreis liest sich wie ein spannender Roman, der gleichzeitig biochemisches Basiswissen vermittelt. "Die Geschichte von Katalin Karikó inspiriert. Jeder, der jemals daran gezweifelt hat, dass Wissenschaft, Innovation und Beharrlichkeit die Welt verändern können, sollte dieses Buch lesen" (Bill Gates).

Katalin Karikó, Durchbruch – Mein Leben für die Forschung, Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, München, 2023, ISBN 978-3-442-76286-6, 348 Seiten, 24,00 Euro

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