Kreuzsymbole in staatlich-öffentlichen Räumen?

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Zeichnung: Rolf Heinrich, 1997

FRIEDBERG (hpd) Grundsätzliche Überlegungen zur religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates, anlässlich des Streits um das Kreuz in Düsseldorfer Gerichtssälen im Februar 2010.


Von Gerhard Czermak

Ausgangslage

Ist das Kreuzsymbol neutral genug, um die weltliche Staatsgewalt überzeugend repräsentieren zu können? Die Errichtung eines neuen Justizzentrums in Düsseldorf war Anlass für die Präsidenten von Amtsgericht und Landgericht, zu entscheiden, ob die Sitzungssäle auch in den neuen Gebäuden mit dem Kreuz ausgestattet werden sollen. Da es in den vergangenen Jahren immer wieder vorgekommen war, dass sich Verfahrensbeteiligte am Kreuz rieben und sein Abnehmen erreichten, entschied man nun, künftig auf das Kreuzsymbol ganz zu verzichten. Immerhin hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) 1995 entschieden: Kreuze in öffentlichen Schulen sind unzulässig, da sie geeignet sind, mit ihrem „appellativen Charakter“ eine – und sei es geringe – religiöse Beeinflussung auszuüben. Das verletzt laut BVerfG die Religionsfreiheit Andersdenkender und verstößt außerdem gegen die dem Staat auferlegte religiös-weltanschauliche Neutralität („Kruzifix-Beschluss“ vom 16.5.1995, voller Wortlaut).

Man sollte sich nun fragen, wieso trotzdem noch 2010 Kreuze überhaupt in Gerichten hängen können. Das nicht nur wegen des Verstoßes gegen die tragenden und daher alle deutschen Staatsorgane bindenden Gründe des BVerfG, sondern auch wegen der einfachen Überlegung, dass die staatlichen Gerichte keinerlei Kompetenz in religiös-weltanschaulichen Fragen haben. Sie sind unmittelbarer Ausdruck der rein säkularen Staatsgewalt. Auf Grund der klaren deutschen Verfassungsrechtslage behauptet hierzulande kein Jurist, der Staat habe einen religiösen Zweck. Er kann nicht durch das Symbol einer bestimmten Religionsgruppe repräsentiert werden, sondern allenfalls durch das Staatswappen. Gerichte sprechen Recht nach den staatlichen Gesetzen und haben keinerlei religiöse Maßstäbe. Die Düsseldorfer Gerichtspräsidenten haben daher lediglich für die schon lange fällige Beseitigung eines groben Verstoßes gegen das Grundgesetz gesorgt.

Kontroverse Diskussion

Dennoch: Am 18. und 19.2. 2010 las und hörte man den empörten Aufschrei mancher christlicher Politiker und Kirchenoberer beider großen Kirchen in den rheinisch-westdeutschen Medien. Aber insgesamt war die Aufregung deutlich geringer als nach dem Kruzifix-Beschluss des BVerfG von 1995 (Grundinformationen zur Düsseldorfer Debatte). Hatte sich doch sogar der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit Urteil vom 3.11.2009 erdreistet, das Schulkreuz in italienischen Schulen als Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention zu werten: Der Staat habe in Räumlichkeiten, die Personen zwangsläufig betreten müssten, von Glaubensbekundungen abzusehen. Und in NRW musste selbst das Justizministerium einräumen, dass von etwa 1300 Gerichtssälen in NRW nur 40-60 noch mit einem Kreuz ausgestattet waren, ohne dass es bisher zu besonderen Irritationen gekommen war. Vor 15 Jahren war die Situation noch ganz anders. Die Präsidentin des Oberlandesgerichts Düsseldorf wies unter Hinweis auf das Neutralitätsgebot verwundert darauf hin, dass neben den Bundesgerichten wie dem Bundesverfassungsgericht oder dem Bundesgerichtshof auch der nordrhein-westfälische Verfassungsgerichtshof sowie die Verwaltungsgerichte und das Oberverwaltungsgericht NRW keine Kreuzsymbole kennen.

Bildungsdefizite

Viele Äußerungen beweisen erneut die üblichen Bildungs-, insbesondere staatsbürgerkundlichen Defizite. In der Rheinischen Post etwa finden sich folgende Kommentare: Leser fanden die christlich-abendländischen Werte mit Füßen getreten, die eigene Identität werde verleugnet, die christliche Bevölkerung mit ihrer Mehrheit beuge sich gegenüber jeglicher kleinen Minderheit, die Berufung auf die Gottesnennung in der Präambel des Grundgesetzes (GG) durfte natürlich nicht fehlen, ebensowenig der Satz Böckenfördes, der freiheitliche, säkularisierte Staat lebe von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ (Dazu Näheres http://hpd.de/node/8543) Dass die christlichen Wurzeln des Volkes nicht gewürdigt würden, sei eine Schande, und die islamischen Staaten wurden wieder einmal zum Vergleich herangezogen. Demgegenüber sei das Kreuz das Zeichen für Gerechtigkeit und Nächstenliebe. Gesamttenor: „Christliche Symbole sind unverzichtbar“ (so Rhein. Post 25.2.2010). Den Gipfel des Unverständnisses erklomm eine Karikatur in der Rheinischen Post: „Schwören auf Asterix? Oder Telefonbuch?“.

Äußerungen von Politikern dürfen in ideologischen Fragen nicht unbedingt ernst genommen werden, zumal in Wahlkampfzeiten. Wenn daher die CDU-Justizministerin von NRW erklärte, sie „trete dafür ein, dass Kreuze nur im Einzelfall abgehängt werden, wenn einer der Prozessbeteiligten hieran Anstoß nimmt", so ist das schon deswegen milder zu beurteilen. Entsprechendes gilt für die nicht sinnvoll definierbare Aussage von Ministerpräsident Rüttgers, das Kreuz stehe für "die christlich-abendländischen Werte", auf denen das Gemeinwesen basiere (Dazu Ursula Neumann: Sind Christen doch die besseren Menschen? Das Märchen von der Bedeutung christlicher Wertevermittlung). Auch dafür, dass Repräsentanten der Kirchen, Machtausübung seit jeher gewohnt und staatlicherseits hofiert, sich für das Kreuz im Gerichtssaal einsetzen, ist verständlich.

Gefährliche Aussagen

Durchaus gefährlich wird es freilich, wenn etwa der Düsseldorfer Superintendent Ulrich Lilie betont: "Wir sind eine christliche Mehrheitsgesellschaft, das sollten wir selbstbewusst zum Ausdruck bringen." Denn das bedeutet, genau betrachtet, nichts anderes, als dass stets gilt, was die (parlamentarische?) Mehrheit beschließt. Das kommt einer Abschaffung der individuellen Grundrechte gleich. Nicht besser ist die Behauptung von Erzbischof Robert Zollitsch in seiner Funktion als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, es sei ein "krasses Missverständnis", Religionsfreiheit als Freiheit von Religion aufzufassen. Denn das heißt, allen Nichtreligiösen ihr Grundrecht aus Art. 4 I, II GG abzusprechen. Gerade dort (und an anderen Stellen des GG) wird aber Religion und nichtreligiöse Weltanschauung ohne Differenzierung gleich behandelt. Staatspolitisch bedeutsam ist es auch, wenn es in einem Artikel der Rheinischen Post (der hier nur als eines von vielen Beispielen aus der Medienlandschaft genannt sei) vom 25.2. heißt: „Es muss … jeder Minderheit klar sein, dass sich die deutsche Rechtsprechung an christlichen Werten orientiert…[Es hat] Kreuze im Gerichtssaal zu geben, denn das Volk ist christlich!“ Daran ist alles falsch: erstens trifft die Behauptung, in Deutschland sei die Mehrheit der Bevölkerung „christlich“, in dieser pauschalen Form nicht zu: etliche repräsentative Umfragen belegen seit über einem Jahrzehnt, dass sich (ungeachtet einer derzeit noch 60%igen formalen Mitgliedschaft in einer der großen Kirchen, einschließlich eines erheblichen Prozentsatzes von Agnostikern und „Atheisten“) eine knappe Bevölkerungsmehrheit nicht mehr als „religiös“ versteht. An einen persönlichen „Gott“ glauben nur noch etwa 20 (oder weniger) bis maximal 25%. (Zahlreiche detaillierte statistische Angaben und Erläuterungen zu dieser Problematik finden sich im Portal der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland.) Das Argument, das Volk sei christlich, schlägt sich daher selbst. Es kann in diesem Zusammenhang auch keine regionalen Unterschiede geben: Gerichtssäle haben in jedem Bundesland und jeder Region dieselbe Funktion. Und eine Rechtsprechung, die sich an spezifischen „christlichen“ oder nichtchristlichen Werten orientierte (was immer das konkret bedeuten mag), verhielte sich GG-widrig.