Die (v)erleuchtete Welt der DVCK

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Demonstration am 17.9.2011 in Berlin / Foto: Evelin Frerk

FRANKFURT. (hpd) „Solange man nicht die Moral des Christentums als Kapitalverbrechen am Leben empfindet, haben dessen Verteidiger gutes Spiel.“ Nietzsches Ausspruch könnte für unsere heutige Zeit kaum nützlicher, passender, angebrachter sein. Ein Blick auf die Verteidiger der christlichen Kultur verdeutlicht das auch aktuell.

Es ist schon lange eine beliebte Taktik seitens der Kirchen- und Religionsvertreter, die menschenverachtende Kriminalgeschichte des Christentums dem Versagen einzelner Personen, manchmal auch ganzer Völker, hie und da auch wieder dem Zeitgeist aufzuhalsen. Nie jedoch, und das ist der entscheidende Punkt, wird als Hauptursache des unmenschlichen Treibens dieser Religion ihr Glaubensbekenntnis, ihr religiös indoktriniertes Denken, ihre Moral benannt. So glauben heute immer noch viel zu viele Menschen, der christliche Glaube stelle per se eine zeitgemäße moralisch-ethische Instanz dar. Dabei sind all die Verfehlungen des Christentums, (als sei das Christentum keine einzige große Verfehlung), gerade im Hinblick auf die Moral dieser Religion, mehr als absehbar. Sie sind schlicht damit erklärbar, ja eine logische Konsequenz dieser Religion. Dennoch gibt es sie scharenweise, die Organisationen, die Vereinigungen, die Vereine, von den Kirchen ganz abgesehen, die eine christliche Moral für Deutschland und Europa fordern. Ein  Propagandist der christlichen Moral ist die Deutsche Vereinigung für eine christliche Kultur (DVCK) – der Name ist selbstredend.

Die Ochsen vor dem christlichen Kulturkarren

Die DVCK hat sich großes, allzu großes, vorgenommen. Ihr wichtigstes Ziel freilich, wie könnte es auch anders sein, ist der „Schutz“ der christlichen Gesellschaft, deren Werte, deren Kultur, ja überhaupt alles, was christlich ist. So will man denn auch mit einer Petition für das Jahr 2012, an deren Kopf sogleich der längst überholte Teil der Präambel des Grundgesetzes  „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor GOTT...“ zitiert wird, den Paragraphen 166 StGB reformiert sehen: „Die religiösen Empfindungen sollen respektiert, die Religionsbeschimpfung, die Verächtlichmachung und die Hetze gegen Christentum und Christen sollen bestraft werden.“ Dass „Gott“ ausschließlich mit Großbuchstaben versehen ist (was in der Präambel nicht der Fall ist), lässt wohl darauf schließen, dass die DVCK das Wohle ihres Herrn mehr beschäftigt als das der Menschen, die vor ihm niederknien – oder genug Rückgrat haben, es nicht zu tun.

Und natürlich weiß die DVCK auch, wie man die Gesellschaft vor dem Untergang bewahrt! Nämlich, indem man „Werte und Prinzipien des Christentums als Basis eines gesunden gesellschaftlichen Zusammenlebens“ propagiert. Droht doch die Gefahr von überall, wie die Petition weiß. Sei es das blasphemische „Golgata Picnic“, die Kölner Stunksitzung, die der Welt „eine abstoßende Gotteslästerung“ bescherte, indem sie „Jesus Christus grinsend und lächerliche Gesten machend auf einem Elektroroller zur Kreuzigung fahren“ ließ. Oder etwa die verdammungswürdigen Pläne von Bündnis 90/Die Grünen, die „stillen Tage“, also z.B. Karfreitag, zu „gewöhnlichen“ Feiertagen „herabzustufen“. Also jene Tage, an denen allen Bürgerinnen und Bürgern der Bundesrepublik ein Verbot aufgehalst wird, damit ein paar theokratische Sklaven ihrem Herrn und Meister huldigen können.

Die Behauptung, der DVCK käme es nicht auf Fakten an, wäre maßlos untertrieben. Vielmehr kann sie gar nicht anders, als die Realität zu leugnen – vorausgesetzt, dass sie diese überhaupt kennt. Angefangen von der Durchsetzung des Christentums durch die römischen Kaiser (als hätte sich eine derart debile Glaubensrichtung in einer dermaßen hochentwickelten Kultur selbst durchsetzen können), über die Vernichtung der antiken Kultur, auf der unsere heutigen Werte basieren, welche wiederum gegen Christentum und Kirche erkämpft werden mussten, über all die Kriege gegen Andersgläubige, Ketzer, ja selbst gegen andere Christen. Reconquista, Inquisition, Hexenverbrennung, die Ausbeutung Südamerikas, die Mitetablierung der faschistischen Regime Europas durch die katholische Kirche im 20. Jahrhundert, jeder halbwegs gebildete Mensch kann heute damit etwas anfangen. Die Blutspur ist kilometerweit, die Kriminalgeschichte so lang, dass sie Bände füllt. Und immer geschah es im Namen des Herrn, im Namen Christi, im Namen der Heiligen Jungfrau. Und heute? Ja heute müssen wir uns das dummdreiste Geschwätz von Christen – selbsternannten Kulturbewahrern – anhören, ihre Religion sei Alpha et Omega in Fragen der Moral, der Gerechtigkeit, der Menschlichkeit. Sind sie doch nicht mehr als blinde Ochsen, die einen schamlos überbewerteten Karren hinter sich herziehen.

Die Liga der außergewöhnlichen Pornfighter

Mit dem Christentum zog eine gewaltige Flutwelle über Europa hinweg bestehend aus Askese, Diesseitsverachtung, Sexualfeindlichkeit, ja überhaupt Feindlichkeit gegenüber allen Gelüsten. Immer wieder zentrales Thema war für die Kirchen das Thema „Sexualität“. Es gab durch die Jahrhunderte hindurch alle möglichen (auch nur aus christlicher Sicht sinnvollen) Dispute, was beim Sex Sünde ist, was nicht, was darf gemacht werden, was kann wie gerechtfertigt werden und was gilt definitiv als Todsünde – gab es nicht zuletzt auch eine klerikale Debatte, wie viele Zentimeter sich die Zungen zweier Menschen bei einem Zungenkuss berühren dürfen, bis es als Sünde gilt.

Zentraler Gedanke blieb doch immer derselbe: Sex ist Teufelswerk, wer sich dem Sexus willig zeigt, sündigt schwer. Die DVCK fährt ganz auf traditioneller Linie. Am stärksten manifestiert sich diese Tatsache in einer von ihr etablierten, wie sie es selbst nennt, „Aktion“. „Kinder in Gefahr“ nennt sie sich, kurz „kig“. Die Mutter Theresa dieser Aktion ist Mathias von Gersdorff, selbsternannter Kulturbewahrer und Harry-Potter-Experte. Letzteres deshalb, da er in einem Artikel auf der Homepage von Kinder in Gefahr nicht müde wurde, den Lesern zu erklären, dass Harry Potter spätestens seit Teil vier schlimmer als Horror sei und eine große Gefahr für Kinder darstelle, da J. K. Rowling die Welt der Magier interessanter beschreibe als die der Nichtmagier und die jungen Leser somit den Eindruck erhielten, als sei das, was in anderen Erzählungen das "Böse" darstelle (Zaubertränke, Trolle, Kobolde, Hexer usw.), eigentlich etwas „Gutes“.

Doch zurück zur DVCKschen Sexualpolitik. Näher erläutert werden soll dies anhand zweier Appelle: „Keine Sexualisierung der Kinder in der Grundschule“ und „Stoppt endlich BRAVO!“. Der erste Appell bezieht sich auf in Berlin gestartete Initiative „Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt“, welche den Schulkindern ab der 1. Klasse ein offeneres Bild zum Thema Sexualität geben soll. Ihnen wird erklärt, dass es verschiedene Formen von Sexualität gibt (Homo-, Bi-, Transsexualität). Ziel ist es, die Bildung der Schulkinder in diesem Bereich des menschlichen Lebens zu fördern, Vorurteile abzubauen und ihnen auch die „Furcht“ vor dem Anderssein zu nehmen. Man will de facto also auch nicht zuletzt Demokratie lehren – das Recht des einzelnen auf Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung. Die DVCK sieht darin freilich nur einen „Skandal“, einen „Angriff auf die moralische Gesundheit unserer Kinder“, spricht von „Gehirnwäsche“, man wolle „die christliche Sicht von Mann, Frau und Familie aus[...]löschen“. In einer christlichen Gesellschaft hat Vielfalt keinen Platz.

Der zweite Appell richtet sich direkt gegen die Jugendzeitschrift Bravo. Diese sei laut DVCK „der Feind Nr. 1 der Kinder“, ein obszönes „Erotik-Magazin“, in jeder Ausgabe gebe es Nacktfotos, die Kinder bekämen erklärt, wie diverse Sexstellungen aussehen, natürlich alles reich bebildert, man erklärt, was Kamasutra, was Oralsex ist, wie es funktioniert, von „sexuellen Perversionen“ sei die Rede – die dazugehörigen Beispiele: Fesseln und Sadomasochismus. Die DVCK erweckt fast den Eindruck, als bestünde kein Unterschied, ob man sich die neue Bravo oder den neuen Hustler holt. Die Vorstellungen, wie es auszusehen hat, sind klar definiert: Sex nur in der Ehe, das Ganze nicht zu Freizügig, ja im Verborgenen und bloß nicht zu oft.