Der Kampf um die kulturelle Deutungshoheit wird in den USA zunehmend in den Schulen ausgetragen. Rechte Gruppierungen wie die "Moms for Liberty" setzen sich für eine konservative Bildungspolitik ein – und fordern die Entfernung von Büchern, die nicht in ihr religiös-nationalistisches Weltbild passen.
Was haben Anthony Burgess’ "Clockwork Orange", Margaret Atwoods "Der Report der Magd" und Khaled Hosseinis "Drachenläufer" gemeinsam? Sie stehen auf einer schwarzen Liste. Seit 2021 wurden an öffentlichen Schulen der USA fast 23.000 Bücherverbote verhängt. Laut PEN America wurden allein im Schuljahr 2024/2025 6.870 Bücher verbannt – betroffen waren rund 4.000 verschiedene Titel. Die meisten Verbote verzeichnete Florida (2.304), gefolgt von Texas (1.781) und Tennessee (1.622). Spitzenreiter der Verbotsliste: Burgess’ Klassiker "Clockwork Orange", das in 23 Bundesstaaten verboten ist.
"Besorgte Mütter" mit radikaler Agenda
Die "Moms for Liberty" begannen als Protestbewegung gegen Maskenpflicht und Impfungen während der Corona-Pandemie. Heute verstehen sie sich als Hüterinnen einer angeblich "moralischen" Erziehung – und haben sich zu einer der einflussreichsten ultrakonservativen Organisationen des Landes entwickelt. Mit über 120.000 Mitgliedern und Ablegern in fast allen Bundesstaaten kämpfen sie gegen alles, was sie für "woke" oder "linke Ideologie" halten: Sexualaufklärung, LGBTQ+-Themen, Gender Studies, selbst die Auseinandersetzung mit Rassismus oder Sklaverei ist verpönt.
Es geht den "Moms for Liberty" nicht um Freiheit, sondern um die Unterdrückung Andersdenkender. Sie diffamieren Autorinnen, Lehrkräfte und Eltern, die Diversität befürworten, und schüchtern Bibliothekarinnen ein, die "anstößige" Bücher nicht aus dem Bestand entfernen. Ihre Mitglieder werden in Schulungen darauf vorbereitet, gezielt gegen Schulbehörden vorzugehen, vermeintlich "moralisch schädliche Inhalte" juristisch zu bekämpfen und konservative Kandidaten in lokale Elternbeiräte zu wählen.
Politische Unterstützung kommt von ganz oben: Donald Trump lobte die "Moms" 2023 auf ihrer Jahrestagung, weil sie "radikalen Linken, Marxisten und Kommunisten" eine Lehre erteilt hätten, die sie nie vergessen werden: "Legt euch nicht mit Amerikas Müttern an!"
Auf den Index geraten längst nicht nur Werke mit bestimmten Inhalten. Oft genügt der Vorwurf, ein Buch sei "für Christen anstößig", um es aus dem Unterricht oder der Bibliothek zu verbannen. Besonders betroffen sind Bücher mit queeren oder migrantischen Figuren – Geschichten also, die ein anderes, vielfältigeres Amerika zeigen.
Wenn Moral zur Zensur wird
Während sich die "Moms for Liberty" als Anwältinnen der elterlichen Freiheit inszenieren, führen sie in Wahrheit einen Kreuzzug gegen Vielfalt und geistige Offenheit. Was als "Schutz der Kinder" verkauft wird, ist eine orchestrierte Bewegung zur Re-Christianisierung des öffentlichen Raums – und zur Rückkehr eines autoritären, weißen Familienideals.
Organisationen wie PEN America dokumentieren die Bücherverbote akribisch und stellen auf ihrer Webseite Listen der verbotenen Titel bereit – inklusive Beschreibungen und Kaufhinweisen. Ironischerweise sorgt gerade diese Zensur dafür, dass viele der betroffenen Bücher in den USA heute mehr Leser finden als zuvor.
Doch die Entwicklung bleibt alarmierend: Wenn Elternverbände definieren, was Kinder wissen dürfen, und religiöser Eifer die Lehrpläne bestimmt, droht der Schulalltag zum ideologischen Schlachtfeld zu werden. Die "Moms for Liberty" verkörpern den Geist einer neuen Prüderie – selbstgerecht, laut und politisch bestens vernetzt. Was sie als "moralischen Schutz" verkaufen, ist in Wahrheit ein Angriff auf Meinungsfreiheit und umfassende Bildung.
Es sind keine Flammen, denen die Bücher überantwortet werden – sondern Angst, religiöser Eifer und moralischer Wahn. Doch am Ende gilt, was schon der Schriftsteller Ray Bradbury schrieb: "Du musst keine Bücher verbrennen, um eine Kultur zu zerstören. Sorge einfach dafür, dass die Menschen aufhören, sie zu lesen."






