Adeline, grün und blau

Adeline_Minelli.jpg

Adeline grün und blau. Edition Isele

(hpd) Aruak Eiland ist die fiktive karibische Insel, auf der, im ersten Roman von Michèle Minelli, Adelines Leid ihren Anfang nimmt. Es sollte das Paradies sein, doch stattdessen landet sie in Daves Familie, einer Sammlung armer und desolater Menschen, die die blonde Adeline verachten. Sie stinkt. Weiße stinken.

Die junge Adeline, gerade 18, wird verächtlich beschimpft und ausgeschlossen. Und eingeschlossen, denn Dave lässt sie nie alleine vor die Tür gehen. Nicht einmal auf die Veranda. Und irgendwann, urplötzlich, schlägt er sie.

Adeline, grün und blau, zeigt eine junge Frau, die im Verlauf eines langsamen Prozesses zusehends massiver unterdrückt wird. Sie entfloh ihrer gleichgültigen Familie in der Schweiz mit diesem jungen, schönen Schwarzen, der ihr viele Versprechungen machte, und landet mitten im öden, schmerzerfüllten Elend.

In winzig kleinen Kapiteln schreibt Adeline ihrer toten Schwester, werden ihre endlos hingezogenen, entsetzlich langweiligen Tagesabläufe mit nächtlichen Gewaltexzessen, Daves „Korrekturen“, beschrieben, all dies aus einer Distanz, die das Buch streckenweise fast unerträglich werden lassen – Fragmente einer Zerstörung. Es wirkt wie ein wahr gewordener paranoider Traum, aus dem Adeline keine Chance hat zu entkommen:

„Adeline ist sich sicher: Wenn sie nur lange genug wartet, die Luft anhält und sich still verhält, wird Dave eines Tages schon merken, was er an ihr hat – und endlich damit aufhören, sie zu verprügeln.“

Dave und sie pendeln einige Male zwischen Aruak Eiland und der Schweiz. Aber auch in der heimatlichen Schweiz ist sie isoliert, darf keine Kontakte unterhalten. Während Dave, ihr „Schöpfer“, ständig unterwegs ist, zu dieser Frau, zu jener. Er, der selbst von seiner Mutter brutal misshandelt wurde und das vollkommen in Ordnung findet, geht limen, nichtstun, abhängen. Adeline vereinsamt. Das Buch handelt von extremer existenzieller Einsamkeit inmitten grundverschiedener Gesellschaften.

Bis der Siedepunkt erreicht ist und Adeline beginnt, sich zu wehren.

Und alle haben davon gewusst.

„Divide et impera, teile und herrsche“ – Adeline zeigt: So kinderleicht geht das mit dem Etablieren einer Diktatur! Sei es Mobbing auf der Arbeit, sei es eine diktatorische Regierung oder eine gewalttätige Beziehung, der Prozess vollzieht sich mitunter schleichend, die Betroffene glaubt dauerhaft an Besserung, und niemand hilft. Zum Glück hilft Adeline sich selbst, und dann erst kann sie auch Unterstützung von anderen erbitten. Die diese ihr liebend gern gewähren!

Fiona Lorenz

Michèle Minelli: Adeline, grün und blau. Edition Isele 2009, 216 Seiten.