Menschlichkeit und Brutalität

KÖLN. Beim "Internationalen Soldatengottesdienst" am Donnerstag, den 11. Januar 2007,

im Kölner Dom, an dem der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Franz-Josef Jung, der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Wolfgang Schneiderhahn und der Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma teilnahmen, äußerte Kardinal Meisner seiner <Predigt>, "Menschlichkeit ohne Gottesglauben verkommt in Brutalität".

Der Landesverband NRW des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA e.V.) fragt die beim Gottesdienst anwesenden Politiker, wie sie die Aussagen gegen Nicht- und Andersgläubige in der Predigt des Kardinals mit ihrer Funktion als demokratisch gewählte Vertreter aller Bürger und Bürgerinnen der Bundesrepublik Deutschland in Einklang bringen wollen?

Indem Kardinal Meisner Menschen auf undifferenzierte Weise in gut und böse einteile – Menschen, die an den christlichen Gott glauben, sind "Bruder in Christus" und alle anderen Menschen sind "Genossen des Antichrist" – diffamiere er alle anders- und nichtgläubigen, altruistisch handelnde Menschen als "brutale Bestien". Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens wie soziale Gerechtigkeit und freie Meinungsäußerung werden zu antichristlichen Götzen erklärt; demokratische Werte und die Säkularisierung zu Untergangsszenarien.

"Herr Meisner hetzt gegen die Demokratie – unter dem Schutze des § 167 StGB. Die versammelten Vertreter des Deutschen Volkes – welches höchstens zu einem Drittel aus Katholiken besteht - nehmen dies gleichgültig hin." so Rainer Ponitka, Landessprecher NRW des IBKA e.V. "Sollen Soldaten der Bundeswehr, welche zu so genannten Friedenseinsätzen in Länder gehen, deren Bevölkerung nicht dem Christentum angehört, eben diese Menschen als "Genossen des Antichristen" betrachten? Das erinnert mich an eine Bibelstelle, in der es heißt: "Wenn der Herr, dein Gott, sie [die Stadt] in deine Gewalt gibt, sollst du alle männlichen Personen mit scharfem Schwert erschlagen. Die Frauen aber, die Kinder und Greise, das Vieh und alles, was sich sonst in der Stadt befindet, alles, was sich darin plündern lässt, darfst du dir als Beute nehmen." (5.Mose 20, 13-14)."

Der Landesvorstand NRW des IBKA e.V. fordert den Kölner OB Fritz Schramma, einer der anwesenden Politiker, in einem offenen Brief zur inhaltlichen Stellungnahme auf.

 

OFFENER BRIEF

Predigt Kardinal Meisners zum internationalen Soldatengottesdienst am 11.01.2007

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Fritz Schramma,

durch Veröffentlichungen in den Medien erfuhren wir von Ihrer Teilnahme am so genannten "Internationalen Soldatengottesdienst" am Donnerstag, den 11.01.2007, im Kölner Dom.

Der Landesvorstand NRW des IBKA e.V. (Internationaler Bund der Konfessionslosen und Atheisten) stellt Ihnen die Frage, wie Sie die, unserer Auffassung nach, volksverhetzenden Aussagen von Herr Meisner gegen Nicht- und Andersgläubige mit Ihrer Funktion als demokratisch gewählter Vertreter aller Kölner Bürgerinnen und Bürger in Einklang bringen wollen?

Wir wissen nicht, ob Ihnen die Predigt zu diesem Anlass zuvor bekannt war, dennoch denken wir, dass Ihnen spätestens im Anschluss daran klar werden musste, dass Herr Meisner einen Großteil der Bevölkerung aufs Übelste beschimpft und diffamiert.

Bei näherer Betrachtung der Predigt sollte auch dem Laien auffallen, dass es hier in erster Linie darum geht den Heilsegoismus der Katholischen Kirche zu verteidigen, sowie alle Andersdenkenden im wahrsten Sinne des Wortes zu verteufeln.

In seiner Einleitung zitiert Meisner den als "Heiligen" verehrten Kirchenlehrer Augustinus mit einer ziemlich unverfänglichen Aussage; weitaus bedeutsamer ist hingegen die Einstellung des Augustinus zum Krieg: Er war geradezu ein Befürworter von "heiligen" Angriffskriegen; von seinem Hass auf alle Andersdenkenden (Juden, Heiden, Ketzer) ganz zu schweigen.

Zitat des Augustinus:
"Was hat man denn gegen den Krieg? Etwa dass Menschen, die doch einmal sterben müssen, dabei umkommen?".

Auch wenn dieses Zitat nicht Teil der Predigt war, wie können Sie kritiklos hinnehmen, dass die so genannten Friedenseinsätze der Bundeswehr in irgendeiner Weise mit diesem Kirchenlehrer in Verbindung gebracht werden?

Von ähnlich beeindruckender Menschenverachtung ist Herrn Meisners Einteilung der Menschen in "gut" (Christen) oder "böse" (alle anderen Menschen) geprägt. Man ist entweder /"Bruder in Christus"/ oder /"Genosse im Antichrist"/, eine andere Möglichkeit lässt Herr Meisner nicht zu. Bezieht man dies auf die spätere Aussage: /"Was eröffnet sich hier für ein Einübungsfeld für die Angehörigen der Bundeswehr!"/, fragt man sich zwangsläufig, ob Herr Meisner hier einem Krieg gegen die Ungläubigen, den Genossen des Teufels, das Wort redet. Wie vertragen sich diese Aussagen Ihrer Meinung nach mit dem verfassungsgemäßen Auftrag der Bundeswehr?

Demokratische Werte und die Säkularisierung werden als Untergangsszenarien dargestellt:
"Ich frage: Sind denn unsere europäischen Gesellschaften durch Säkularisierung stabiler geworden? Wir werden antworten müssen: Ganz im Gegenteil!"

Dies ist unverfrorene Geschichtsfälschung: Gerade die Kirche hat die Bildung der Menschen bekämpft; ebenso die Demokratie, freie Meinungsäußerung, Religionsfreiheit, sexuelle Selbstbestimmung, soziale Gerechtigkeit ... bis in dieses Jahrhundert hinein. Mithin also die Grundwerte einer jeglichen modernen Zivilisation. Diese Werte bilden ganz klar und nachweislich eine stabile Basis für das Zusammenleben der Menschen im 21. Jahrhundert, im Gegensatz zu dem für Aufgeklärte mittelalterlich anmutenden Aberglauben an "himmlische Mächte".

Warum lassen Sie, Herr Schramma, es ohne Kritik zu, dass selbst altruistische nichtreligiöse Menschen aufs Übelste verleumdet werden:
"Menschlichkeit ohne Gottesglauben verkommt in Brutalität"?

Der Landesvorstand NRW des IBKA e.V. sieht hierin vor allem nichtgläubige Menschen sowie auch Mitarbeiter nicht kirchenbestimmter, humanitärer Organisationen wie z.B. Rotes Kreuz, Arbeiterwohlfahrt, Kinderschutzbund oder Ärzte ohne Grenzen zu "brutalen Bestien" diffamiert.

Es fällt in der Tat schwer sich zu entscheiden, welcher Absatz der Predigt Herrn Meisners den absoluten Höhepunkt der Menschenverachtung darstellt.

Zu guter Letzt werden zwei Minimalanforderungen unseres Zusammenlebens, die freie Meinungsäußerung nebst der sozialen Gerechtigkeit zu antichristlichen Götzen erklärt, die das christliche Gottesbild ersetzt hätten. Die rhetorische Frage "Würden unsere Gesellschaften nicht ganz anders aussehen, wenn diese Götter vom Thron gestürzt würden?", lässt sich leicht beantworten, wenn man ein paar Jahrhunderte ins "dunkle Mittelalter" zurückblickt...

Die Annahme der Existenz einer übernatürlichen Wesenheit - für Herrn Meisner der von ihm bevorzugte Gott - beruht auf einer Übereinkunft, deren wissenschaftlicher Beweis bis heute aussteht. Somit basieren seine Argumente auf spekulativen Annahmen und entbehren für viele Menschen europäischer Gesellschaften jeglicher Bedeutung, die ihr Glück innerhalb des Diesseits begründen und den Himmel lieber "den Engeln und den Spatzen" überlassen. Entsprechend bedeutungslos ist Kardinal Meisners dualistische Anschauung, eine göttliche Wertigkeit einer ungläubigen Wertlosigkeit entgegenzusetzen; so beispielsweise einen katholischen Lebens- und Leidenszwang höher anzusetzen als dem unheilbar Kranken die Möglichkeit eines selbstbestimmten Sterbens oder einer - selbst vergewaltigten und minderjährigen - Frau die Abtreibung zuzugestehen.

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Fritz Schramma, wie bringen Sie es mit der Ihnen obliegenden Aufgabe in Übereinstimmung, der Vertreter aller Bürger der Stadt Köln zu sein, und diese, unserer Auffassung nach menschenverachtende antidemokratische Predigt unwidersprochen zu akzeptieren?

Weiterhin fragen wir, wie ist es möglich ist, dass Herr Meisner kritiklos im Schutze eines Gottesdienstes (§167 StGB), einen Großteil der Bevölkerung derartig ver-ächtlich beschimpfen kann, zumal er sein beträchtliches fünfstelliges Gehalt von der öffentlich-rechtlichen Hand, also von allen Steuerzahlern und nicht nur von den Kirchenmitgliedern bezieht. Wir geben zu bedenken, dass kein Drittel der Deutschen der Katholischen Kirche angehört.

Wir bitten um Ihre persönliche, inhaltliche Stellungnahme.

Mit freundlichen Grüßen,

Holger Buhr
Pressesprecher des Landesvorstandes NRW des IBKA e.V.