Freedom of Thought Report 2014

Wie frei ist die Welt?

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Deckblatts des Berichts (Screenshot)
Deckblatts des Berichts (Screenshot)

WIEN. (hpd) Am 10. Dezember 2014, dem internationalen Tag der Menschenrechte, erschien der Freedom of Thought-Bericht zum dritten Mal weltweit. Herausgegeben wurde er von der Internationalen Humanistischen und Ethischen Union (engl. International Humanist and Ethical Union; IHEU).

Er stellt einen einzigartigen Meilenstein für HumanistInnen und FreidenkerInnen dar; es ist die umfangreichste wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den legistischen Diskriminierungen, denen HumanistInnen, AtheistInnen und Areligiöse weltweit ausgesetzt sind. Der Bericht sei jedem freidenkerischen und freiheitsliebenden Menschen zur jährlichen, freiwilligen Pflichtlektüre ans Herz gelegt.

Die IHEU, der Dachverband für humanistische und säkulare Organisationen, dem auch der österreichische Freidenkerbund angehört, hat der Untersuchung jene Menschenrechtsabkommen, die am meisten Einfluss auf Freidenker haben, zugrunde gelegt: das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, das Recht auf freie Meinungsäußerung – statt – Rechte auf Versammlungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit. Der Bericht kommt zu dem wenig überraschenden Urteil, dass in der überwältigenden Mehrheit der Länder die Rechte von AtheistInnen und Areligiösen kaum oder nicht respektiert werden. Hier mögen einem Länder wie Saudi- Arabien, Afghanistan oder der Iran einfallen, kaum aber Deutschland und Österreich, die über zweihundert Jahre nach der Aufklärung nicht so gut abschneiden, wie man sich erwarten sollte. Der Bericht schafft Klarheit für alle, die mehr von der Religiosität der Welt wissen wollen, als dass muslimische Staaten oft reaktionär und lateinamerikanische Staaten meistens katholisch sind.

Auf der ganzen Welt gibt es, Humanismus und Aufklärung zum Trotz, Gesetze, die AtheistInnen jedes Existenzrecht absprechen, ihnen die Staatsbürgerschaft aberkennen, den Zugang zu Bildung oder das Ausüben von öffentlichen Ämtern verwehren oder gar das Heiraten verbieten. Auch die Kriminalisierung von Religionskritik ist durchaus weiter verbreitet, als man annehmen möchte. Trotzdem hält der Bericht auch erfreuliche Entwicklungen fest, nämlich dass die Welt, entgegen aller Annahmen, trotz Bush-Regierung, Al-Quaida und PR-Papst, 2012 bezeichneten sich 59 Prozent der Weltbevölkerung als religiös, ganze Neun Prozent weniger als im Jahr 2005. Der Anteil der Atheisten ist weltweit um 3 Prozent gewachsen und liegt bei stattlichen dreizehn Prozent. 23 Prozent bezeichneten sich in der im Bericht zitierten Studie als nicht-religiös, definierten sich selbst aber nicht als Atheisten.

Globale Trends 2014: Erstarken der Radikalen und Hass-Kampagnen gegen Nichtreligiöse

Erwartungsgemäß gibt es 2014 mehrheitlich Unerfreuliches, sodass einem die Freude über das allgemeine Anwachsen der Zahl an Gottlosen im Halse stecken bleiben lässt. Zum einen der Aufstieg und das enorm gewachsene Selbstbewusstsein militanter Gruppen wie des ISIS (Islamischer Staat im Irak und in Syrien) und der Boko Haram. Diese Gruppen sind zwar beide schon länger aktiv, ihr Terror hat aber im vergangenen Jahr eine ganz neue Qualität angenommen.

Zum anderen sind die verstärkten Hass-Kampagnen gegen Gottlose und Ungläubige, die sich in den letzten Jahren mit Höhepunkt 2014 auffällig gehäuft haben, besorgniserregend. Im Januar ließ Saudi-Arabien beispielsweise per Gesetz "Atheismus" mit "Terrorismus" gleichsetzen. Im Mai ließ der malaysische Premierminister Najib Razak wissen, dass "Humanismus und Säkularismus und Liberalismus" "abartig" sind und auch in Ägypten wurde vom Minister für Jugend, Nuamat Sati, eine Kampagne angekündigt, die darüber aufklären soll, weshalb Atheismus eine Bedrohung für die Gesellschaft ist. Damit sind sie Brüder im Geiste mit Berlusconis Außenminister Franco Frattini, der schon 2010 meinte, dass Atheismus, Materialismus und Relativismus "perverse Erscheinungen" sind, die "gekennzeichnet durch Fanatismus und Intoleranz die Gesellschaft bedrohen" und durch eine Allianz zwischen Christen, Muslimen und Juden bekämpft werden müssten.

Noch immer gilt in 19 Ländern das Verlassen oder Wechseln der Religion als Straftat, in zwölf von ihnen droht für Apostasie der Tod. In dreizehn Ländern wird Atheismus, der stets als schwere Gotteslästerung ausgelegt wird, die Todesstrafe verhängt.

Am verbreitetsten sind weltweit gesehen noch immer Gesetze, die das Kritisieren von Religionen oder Göttern unter Strafe stellen, also Blasphemie-Paragrafen. Solche Religionskritik kann in manchen Ländern als sog. hatespeech oder Anstiftung zu Hass und Gewalt ausgelegt werden.

Das Bewertungssystem

Auf der im Dokument abgebildeten Weltkarte ist jedem Land ein Status bezüglich der Gedankenfreiheit zugeordnet. Die Skala verläuft von "frei und gleich" (grün) oder "meist befriedigend" (gelb) über "systemische Diskriminierung" (orange) bis "schwere Diskriminierung" (rot) und "gravierende Menschenrechtsverletzungen" (schwarz). Anhand der oben genannten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wurden fünf gesellschaftliche Bereiche kategorisiert:

  1. Allgemeine Systemfragen;
  2. Gedanken- und Gewissensfreiheit, Freiheit der Religion oder Weltanschauung;
  3. Einfluss der Religion auf die Bildung;
  4. Einfluss der Religion auf die Gerichtsbarkeit;
  5. Meinungsfreiheit, Freiheit des Eintretens für humanistische Werte.

Die Tabellen sind reichlich selbsterklärend und übersichtlich gestaltet, das System bestraft jede Menschenrechtsverletzung gnadenlos, das schlechteste Ergebnis in einem Teilbereich gilt. Ein schöner Ansatz, denn Menschenrechte sind bekanntlich keine Verhandlungssache.

Österreich ist im Bericht als orange eingestuft und auf der Übersichtskarte eingezeichnet, was einerseits in der systemischen Bevorzugung der katholischen Amtskirche begründet ist, andererseits daran, dass Österreich eines der Länder ist, in dem es einen Blasphemie-Paragrafen gibt. Auch wird das österreichische Schulsystem abgehandelt und kritisiert, dass religiöser Unterricht an staatlichen Schulen stattfindet und keine säkulare oder humanistische Alternative angeboten wird. Da österreichische Gerichte sich, aus welchen Gründen auch immer, ständig weigern, das Verbreiten rassistischer und menschenrechtsfeindlicher Ideologien als solches zu be- und vor allem verhandeln, weichen sie gerne auf den genannten Paragrafen 188 im Umgang mit rechtsextremen Politikern aus. Das führt zu der bizarren Situation, dass jene Rassistin, die Muslime per se als potentielle sexuelle Gewaltverbrecher bezeichnet hat, in einem Bericht von FreidenkerInnen und HumanistInnen als Opfer menschenrechtlich bedenklicher Justiz genannt wird. Das zu recht, obendrein! Alleine dieser Umstand zeigt die Notwendigkeit, diesen Paragrafen ersatzlos zu streichen, wenn Österreich sich als Rechtsstaat ernst nehmen möchte. Jede Religion muss kritisiert werden und vor allem kritisiert werden dürfen. Der Bericht prüft nicht nur die Rechtsnorm, sondern auch die herrschende Praxis und zeigt auf, wie weit die meisten Staaten selbst von ihren eigenen Idealen entfernt sind. Ein Umstand, den wir auch aus Österreich kennen, jener laizistischen Republik, in der in jeder Amtsstube und jedem Klassenzimmer ein Kruzifix hängt.

Die recht strenge Bewertung zieht, nach eigenen Angaben, Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und dazugehörige, richtungsweisende Erklärungen als Bewertungsgrundlage heran.

 


Dieser Artikel erschien zuerst im Freidenker 1/2015.