Kolumne

Der besorgte Bürger

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BERLIN. (hpd) Die Flüchtlingsdebatte beherrscht die Medien, die besorgten Bürger die Kommentarspalten auf Facebook. Warum sich hpd-Gesellschaftskolumnist Carsten Pilger über den Missbrauch dieses Begriffs sorgt, erklärt er in seiner Freitagskolumne.

"Ohne Klarheit in der Sprache ist der Mensch nur ein Gartenzwerg"
(Element of Crime – Alle vier Minuten)

Besorgte Bürger bereiten mir Sorgen. Nicht die gleichen Sorgen wie die besorgten Bürger, die in Orten wie Freital oder Heidenau, aber auch woanders, auf die Straße gehen. Ich sorge mich um den besorgten Bürger. Weil der Begriff einfach so nicht passt.

Da wäre vor allem der besorgte Bürger in Heidenau, dessen Sorge war, dass in einem ehemaligen Baumarkt 250 Flüchtlinge untergebracht werden sollten. Bei einer Kundgebung gegen diese provisorische Unterkunft sprachen Politiker der NPD vor dem Privathaus des Bürgermeisters. Neonazis griffen Polizisten mit Wurfgeschossen an, verletzten 31 Beamte im Einsatz.

Abseits dieser Fakten bleibt eine spannende Frage unbeantwortet: Was ist der Anlass der Sorgen des besorgten Bürgers? Die Tatsache, dass der Bürger gemeinsam mit gewalttätigen Neonazis protestiert? Dass vermeintlich friedlich Protestierende mit Pyrotechnik auf andere Menschen losgehen? Dass Asylantenbewerberheime brennen? Das wären ein berechtigte Gründe zur Sorge. Doch darum geht es in den Sorgen der besorgten Bürger nicht.

Die Sorge vieler besorgter Bürger lautet "Überfremdung". Das war im Jahr 1993, auf dem Höhepunkt der Ausschreitungen gegen Ausländer im wiedervereinigten Deutschland, das Unwort des Jahres. Inhaltlich ist die Überfremdung ein Zustand, bei dem Einflüsse aus anderen Kulturen die eigene Kultur in die Unsichtbarkeit verdrängen. In Sachsen, wo die größten Kundgebungen gegen die "Überfremdung" stattfinden, ist der Ausländeranteil traditionell gering: 2011 lag der Anteil der ausländischen Bevölkerung an der gesamten Bevölkerung Sachsens bei 2,8 Prozent. Sprich: Die Sorge ist dort, wo sich die meisten besorgten Bürger sammeln, nicht existent.

Auch zu Lesen: "Wir holen uns mit den Flüchtlingen Terror und Kriminalität ins Land." Besorgte Bürger werden nicht müde, Sätze wie obigen auf Facebook zu posten, während tatsächlich Terror in Deutschland stattfindet. Mit dem Unterschied, dass der Terror eben nicht ein Import ist. Wenn Brandanschläge auf geplante Asylbewerberheime stattfinden und für Flüchtlinge geplanter Wohnraum unbewohnbar wird, ist das Terrorismus. Wenn Rechtsextreme auf Demonstrationen Straßenblockaden errichten und Menschen attackieren, ist das kriminell.

Besorgte Bürger, die Ihrem Namen gerecht werden wollten, würden sich besser mal die Zeit nehmen, und die Motive der Flüchtlinge ergründen. Um dann festzustellen, dass es eben nicht die Aussicht auf ein Asylverfahren und vielleicht ein wenig Geld auf dem Niveau des Existenzminimums ist, das Flüchtlinge dazu bewegt, in unser Land zu kommen. Es sind Menschen, die in ihrem Land um ihr Leben fürchten müssen, weil sie der falschen Religion angehören, vielleicht eine vom Regime abweichende politische Einstellung haben oder vielleicht eine bestimmte sexuelle Orientierung haben. Es sind Menschen, denen durch Terror, Kriege und Gewalt alles genommen wurde. Es sind Menschen, die ihre Heimat nicht aufgeben wollten, sondern mussten.

All das ist ganz weit weg von der Haustür besorgter Bürger passiert. Weit weg von Deutschland, wo es zwar sicher auch Armut und Obdachlose (die ja gerne als Kronzeugen der besorgten Bürger herhalten sollen, wenn eben jene ein Beispiel für etwas suchen, um was sich der deutsche Staat "eher" kümmern sollte) gibt, aber eben niemand von heute auf morgen um sein Leben fürchten muss, weil der Staat eben aufgrund von Krieg oder Terror nicht mehr als Staat regieren kann. 

Der Begriff des besorgten Bürgers passt erst dann wieder, wenn sich die besorgten Bürger in der aktuellen Debatte an erster Stelle um eine Sache sorgen: Dass Menschen auf der Flucht vor Gewalt in Deutschland eine Zuflucht finden können, in der die ständige Überlebensangst ein Ende findet. Bis es aber so weit ist, werden noch viele den Begriff des besorgten Bürgers für sich reklamieren. Dabei ist das nichts weiter als Alltagsrassismus und sollte auch so genannt werden.