Thomas Nagel über "Geist und Kosmos"

Lässt sich die Welt ohne Bewusstsein denken?

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Thomas Nagel an der New York University
Thomas Nagel an der New York University

BERLIN. (hpd) In weniger als drei Jahren zum Klassiker geworden: “Geist und Kosmos. Warum die materialistische neodarwinistische Konzeption der Natur so gut wie sicher falsch ist” gibt es nun bei Suhrkamp in der Taschenbuch-Wissenschaft-Reihe wie gemacht fürs Proseminar. In der Tat gibt es Bücher, um die man schwer herumkommt. Redlichkeit kann ein guter Grund dafür sein. Darin ist dieses Buch bestimmt beispielhaft. Doch hat es auch recht?

“Nach einem systematischen Verständnis suchen, wie wir und die anderen Lebewesen in die Welt passen”, dieses Vorhaben mutet so bescheiden wie ambitiös an. Thomas Nagel, 1937 in Belgrad geboren und Professor an der New York University, beschreibt so das Ziel seiner bestechend elegant, weil schlank und unaufdringlich geschriebenen zuerst 2012 bei Oxford University Press erschienenen Untersuchung “Geist und Kosmos”. Wie jedes seriöse Philosophiebuch beantwortet sie nicht in erster Linie Fragen, sondern wirft solche Fragen auf, die nicht so leicht wieder vom Tisch zu wischen sind. Sie übt Kritik derart, dass nicht alles einfach von der Hand zu weisen ist.

Nagels nicht ganz neue aber neu gestellte Frage an uns Zeitgenossen: Wie kam der Geist in die Welt (Englisch: “mind”)? Ihn weg zu definieren als bloßen Gehirnzustand bedeutete eine umgekehrte Form des Transzendierens. Eine Überschreitung. Man kann nicht Geist durch Materie erklären, genauso wenig wie Materie durch Geist, so Nagel. Ihn plötzlich aus der Materie auftauchen zu lassen, erscheint ihm nicht wirklich eine Erklärung, lässt zu viel offen. Da ist es einfacher, anzunehmen, dass dort, wo am Ende Geist raus kommt, von Anfang an schon Geist im Spiel war. Doch was meint Nagel mit Geist?

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Thomas Nagel bemüht sich um eine Minimaldefinition. Geist und Materie hängen miteinander zusammen. Geist meint zunächst einmal nicht mehr als Intelligibilität der Welt. Also dass sie für uns verständlich ist. Dass der Kosmos eine Ordnung hat, für die die Naturgesetze gelten. Geist so bescheiden definiert, lässt dem Leser bald die Frage aufkommen, warum man ihn dann überhaupt braucht.

Die Innenperspektive auf die Welt, die Subjektivität ließe sich anders nicht verstehen, oder besser: Geist ist diese Innenperspektive, Bewusstsein. Jedenfalls für uns und einige andere differenziert entwickelte Wesen.

Man kann diesem Bewusstsein von Welt ruhig trauen. Darauf bauen, dass es keine Täuschung ist. Das klingt nach Descartes, der für Nagel auch eminent wichtig ist. “Wir können uns nicht von uns selbst distanzieren. Das war die Erkenntnis Descartes”, schreibt Nagel. Man könnte auch sagen: Man kann die Welt ohne Bewusstsein nicht denken. Sie ist im Gepäck sozusagen immer schon dabei. - Als Instrument ja, aber als damit immer notwendig mitgedachter und mitzudenkender Bewusstseinsgegenstand auch? Wohl nicht.

Das Denken aber allein als Produkt der Evolution zu bezeichnen, hält der amerikanische Philosoph für unmöglich, da die Evolutionstheorie ihrerseits auf das Vernünftige als Wahrheitskriterium rekurriere. Hier setzt Nagel die Evolution als Prozess und der Natur immanentes Prinzip mit der Theorie von ihr gleich - obwohl dies nicht dasselbe ist.

Aber: Die Vernunft muss mit der Materie immer schon verwoben sein. Genau das führt Nagels Meinung nach zur Entwicklung. Seit Aristoteles nennen wir diese Auffassung Teleologie. Gerichtete Entwicklung. In dem, was das sei, erweist sich Nagel wiederum als sehr zurückhaltend. Nicht mehr als dass bestimmte Ereignisse infolge bestimmter anderer vorausgehender Ereignisse wahrscheinlicher werden als ohne deren Auftreten. Der Kosmos bekommt eine Geschichte. Das hat allerdings weitreichende Folgen. Es sind die Naturgesetze nicht mehr überall und jederzeit gleich gültig, argumentiert Nagel. Womit er wohl irrt. Die Naturgesetze sind gleich gültig, nur die Ereignisse nicht gleich wahrscheinlich.

Faszinierend wirkt und sicher neuerdings sehr im Trend liegend ist Nagels Auffassung, dass man die Dinge auf sehr verschiedene Weise beschreiben kann. Mittels einer Erzählung oder mittels eines Beobachtungsprotokolls. Selbst die totgesagten Warum-Fragen an die Natur werden so wieder möglich. Überhaupt liegt er nun plötzlich im Trend eines neuen, wie dieser sich selbst nennt, Realismus, die Dinge endlich so zu nehmen, wie sie uns scheinen, was sich bei genauem Hinsehen freilich als Phänomenologie in der Nachfolge Edmund Husserls entpuppt.

Die Vernunft erwacht und findet zu sich selbst, formuliert Nagel, und das klingt sicherlich sehr poetisch und wenn nicht romantisch, dann nach Hegel. Die Teleologie, die Selbstorganisation des Lebendigen erlaube es zu erklären, warum es zur Komplexität des Lebens komme, die nur durch Berufung auf den Zufall allzu unwahrscheinlich wäre. “Evo-Devo”, die evolutionäre Entwicklungsbiologie der letzten Jahre, versucht es anders. Andreas Wagner von der Universität Zürich zum Beispiel zeigt, warum die Evolution am Anfang nur sehr langsam und am Ende immer schneller läuft. Weil am Anfang sehr viel Zufall, aber je länger die Geschichte des Lebens dauert, immer weniger davon im Spiel ist, weil Veränderung entlang der Systematik der Genstruktur und der dualen Logik selbst verläuft und Variationen akkumuliert werden, was erst allmählich seine Wirkung zeitigt, wenn sich die Lebensverhältnisse ändern. Tatsächlich hat das Leben seine Geschichte, tatsächlich hat das Leben die Tendenz zur Selbstorganisation. Die irritierende Frage bleibt: Wohin? Zu mehr Komplexität? Entstand nicht der menschliche Verstand, weil die komplexen Instinkte das zunehmend wachsende Gehirn weniger besetzten? Was ist also dann die Richtung, um das Wort “Ziel”, das auch Nagel nicht benutzt, zu vermeiden?

Worauf will das Leben hinaus? Worauf will Nagel hinaus? Dass Bewusstsein und Vernunft zu den Tatsachen gehören. Dass Urteile über die Welt zu den Tatsachen gehören und etwas Wahres über die Welt sagen können. Dass Werte zu den Tatsachen gehören. Werte wie der, dass anderes Leben einen Wert hat. Dass nicht nur der Vorteil für das eigene Überleben gilt. Er will dahin, plausibel zu machen, dass Werte Argumentationszusammenhänge für Handlungen sind. Und damit auf die wirkliche Welt wirken, weil es Handlungen wirklich gibt. Das nehmen wir eigentlich an, wenn wir versuchen, moralisch zu handeln. Selbst als Täuschung wären sie übrigens Tatsachen. So wie ein Spiegelbild eine Tatsache ist und es nur falsch wäre, ihm eine Substanz zuzugestehen. Genau das tut Nagel aber.

Er greift auf keinen Gott und keinen Weltenbauer zurück. Er plädiert für einen Monismus, dessen Qualitäten geist- und materieartig sind. Und doch hallen irgendwie das 17. Jahrhundert nach und Spinoza. An anderer Stelle spricht er von Panpsychismus, das wiederum erinnert an Giordano Bruno. Die Architektur der Nagelschen Gedankenwelt ist von kristalliner Durchsichtigkeit. Sie besticht durch ihre Schönheit. Eine Welt nicht nur für Moralisten, auch für Ästheten. Ich fürchte, die Welt ist nicht so. Nagel will eine intelligible Welt, eine einfache. Ein kluger Kopf wandte mir gegenüber dazu ein: “Mag sein, dass die Naturgesetze einfach sind. Die Welt ist es wahrscheinlich nicht.”

Thomas Nagel: “Geist und Kosmos. Warum die materialistische neodarwinistische Konzeption der Natur so gut wie sicher falsch ist”. Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft Berlin. 2016. 187 S., 14,00 Euro