Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte:

Polnisches Blasphemie-Urteil verletzte das Recht auf freie Meinungsäußerung

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Die polnische Sängerin Dorota Rabczewska alias "Doda" (2007)
Dorota Rabczewska alias "Doda"

2009 hatte sich die polnische Sängerin "Doda" in einem Interview zur Entstehung der Bibel geäußert. Ihrer Hypothese, wonach das Buch von Menschen unter dem Einfluss von Alkohol und rauchbaren Kräutern geschrieben worden sei, stimmten einige nicht nur nicht zu. Zwei Personen, unter ihnen ein Politiker der polnischen rechtskonservativen PiS-Partei, klagten 2012 sogar. Nach zahlreichen Verurteilungen und Instanzen zog Doda vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und gewann. Die Verurteilung der Künstlerin durch polnische Gerichte verletzt das Recht auf freie Meinungsäußerung.

Anti-Blasphemie-Gesetze sind gefährlich und können für Beschuldigte gar tödlich enden. Nicht, weil beleidigte Gött*innen oder Prophet*innen die Lästernden hinrichteten, sondern ihre Gläubigen nach Blut lechzen. Im Gegensatz zu Menschen unter Blasphemie-Anschuldigung in Pakistan wie Ashfaq Masih, Priyantha Kumara oder auch Saleem Mashi kommt die polnische Künstlerin Doda nicht nur mit ihrem Leben davon, sondern erhält auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg Recht.

Im Jahr 2009 hatte die polnische Sängerin Dorota Rabczewska, bekannt als "Doda", in einem Fernseh-Interview erklärt, dass wissenschaftliche Entdeckungen sie mehr überzeugten als die unglaublichen Geschichten der Bibel, welche von Personen unter dem Einfluss von Alkohol und rauchbaren Drogen geschrieben worden sein müssten. In Polen, einem Land, in dem religiös fundamentalistische Kräfte und die katholische Kirche sogar Gesetze zum Nachteil von Schwangeren etablieren können, wohl ein Aufreger.

Drei Jahre später, im Jahr 2012, schienen sich zwei Personen, unter ihnen ein Politiker der nationalkonservativen Partei für Recht und Gerechtigkeit, kurz PiS, so weit von ihrem Schreck erholt zu haben, dass sie in Bezug auf Artikel 196 des polnischen Strafgesetzbuches klagen konnten. Dieser umfasst die Beleidigung religiöser Gefühle und bestraft dieses vermeintliche Vergehen mit bis zu zwei Jahren Haft.

Die Sängerin wurde zunächst zu einer Geldstrafe von umgerechnet etwa 1.200 Euro verurteilt. Dies ließ sie nicht auf sich sitzen und legte Rechtsmittel ein. 2015 schließlich bekräftigte das Verfassungsgericht in Warschau das Urteil. Doch Doda gab nicht auf und zog vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Dieser gab ihr nun Mitte September recht. Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention, welche allen Menschen das Recht auf freie Meinungsäußerung zubilligt, wiegt für das Gericht höher als die Anti-Blasphemie-Gesetzgebung Polens. Für den Straßburger Gerichtshof waren die Urteile der polnischen Gerichte ein Verstoß gegen diese Menschenrechtskonvention, sodass das Warschauer Urteil kassiert und der Künstlerin eine Entschädigung von 10.000 Euro zugesprochen wurde.

Blasphemiegesetzgebung auch in Deutschland

In Bezug auf Anti-Blasphemie-Gesetze müssen wir jedoch nicht erst ins Nachbarland Polen oder bis nach Pakistan schauen. Auch in Deutschland werden Menschen nach Paragraph 166 des Strafgesetzbuches wegen "Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen" bestraft, "die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören". Erst im Juli traf es Abbas M.: Für seine Rede im Rahmen einer Versammlung anlässlich der Ermordung Samuel Patys wurde er auf dieser Grundlage zu 30 Tagessätzen in Höhe von zehn Euro verurteilt, nachdem er von Personen angegriffen worden war, die sich beleidigt fühlten (der hpd berichtete).

Wichtig ist daher die Forderung, den Blasphemie-Paragraphen in Deutschland zu streichen, zuletzt erhoben vom Zentralrat der Konfessionsfreien infolge der Messerattacke Mitte August auf den Schriftsteller Salman Rushdie, dem religiöse Fundamentalist*innen seit Jahrzehnten den Tod für sein Werk wünschen. Anti-Blasphemie-Gesetze geben selbstgerechten Gläubigen eine Grundlage, vermeintliches Recht und seine Durchsetzung in die eigenen Hände zu nehmen.

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