Hamburg

Prozess gegen Abtreibungsgegner

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Ärztin Kristina Hänel beim Prozess in Gießen im Oktober 2018.

Am Landgericht Hamburg wird am Freitag, dem 21. August 2020, der Prozess gegen den Abtreibungsgegner Klaus Günter Annen, der Betreiber einer einschlägigen Webseite ist, wegen seiner fortwährenden Holocaustvergleiche eröffnet. Geklagt hatte die Fachärztin für Allgemeinmedizin Kristina Hänel.

Klaus Günter Annen, der Betreiber der Website "Babycaust.de", zeigt seit Jahren Ärztinnen und Ärzte in Deutschland unter Berufung auf Paragraf 219a des Strafgesetzbuches an. Er vergleicht Schwangerschaftsabbrüche mit den Verbrechen des Holocaust.

Im Juli 2019 haben die Anwälte von Kristina Hänel Anzeige auf Unterlassung persönlicher Schmähkritik erstattet. Klaus Günter Annen stelle sie und andere Ärztinnen und Ärzte auf eine Stufe mit den Verbrechern des Nationalsozialismus, die in den Konzentrationslagern Millionen Menschen unter schrecklichsten Bedingungen gequält und getötet haben. Er bezeichnet Frau Hänel unter anderem als "Entartete". Mit seinen Holocaustvergleichen diffamiert Herr Annen nicht nur medizinische Fachkräfte, sondern auch jede ungewollt Schwangere. Ihr wird vermittelt, dass das, was sie tut, schlimmer sei als die Verbrechen der Nationalsozialisten.

In einer Pressemitteilung zum Prozessbeginn schreibt Kristina Hänel: "Was in den Konzentrationslagern geschah, ist auch Jahrzehnte danach kaum fassbar. Es ist in der Anwendung der systematischen Vernichtung einmalig. Es ist Teil der deutschen Geschichte. Noch gibt es Überlebende, die uns von den Gräueltaten berichten können. Niemand hat das Recht, ihre Geschichten zu verhöhnen. Wie auch nicht die der Ermordeten."

"Für mich war letztes Jahr der Punkt erreicht, an dem ich sagte: Es reicht! Es kann nicht angehen, dass ausgerechnet in Deutschland Menschen es wagen, den Holocaust zu relativieren und ihn damit zu verharmlosen. Wir befinden uns dieses Jahr 75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz. Wir gedenken der Opfer eines Unrechtsregimes. Immer noch ist es unsere gesellschaftliche Aufgabe, uns in Würde und Anstand unserer Vergangenheit zu stellen, um Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen. In diesem Bewusstsein habe ich mich entschieden, Klage auf Unterlassung gegen Klaus Günter Annen einzureichen."

Aufgrund des großen Tabus zum Thema Schwangerschaftsabbruch erreichte das Agieren der Abtreibungsgegner jahrelang nicht das öffentliche Bewusstsein. Betroffene hingegen stoßen auf ihrer oft verzweifelten Suche nach neutralen Informationen, deren Bereitstellung Ärztinnen und Ärzten ja verboten ist, noch immer häufig und dazu völlig unvorbereitet auf die Webseite "Babycaust". Annen listet auf dieser circa 1.200 Adressen in Deutschland auf und stellt Ärztinnen und Ärzte an den Pranger.

Die offizielle Liste der Bundesärztekammer, die nach Änderung des Paragraphen 219a StGB im Jahr 2019 eingerichtet wurde, enthält hingegen aktuell gerade einmal 327 Adressen. "Ich halte diese sogenannte Reform für vollkommen unzureichend", schreibt Frau Hänel: "Das Verbot sachlicher Informationen durch Fachleute ist ein Anachronismus und gehört auf keinen Fall in ein deutsches Strafrecht. Auch die Adressen der offiziellen Liste der Bundesärztekammer wurden von Annen kopiert und in eine blutrünstige Liste umgewandelt, die die dort gelisteten Ärztinnen und Ärzte in Gefahr bringt."

Der Staat hingegen habe die Pflicht, allen Bürgerinnen und Bürgern ein flächendeckendes Netz elementarer Gesundheitsversorgung zur Verfügung zu stellen, wozu unweigerlich auch die Möglichkeit der Beendigung einer Schwangerschaft gehört. "Wenn er diese Aufgabe ernst nehmen will, muss die Tabuisierung des Themas, die Kriminalisierung und Stigmatisierung der Betroffenen und des medizinischen Fachpersonals unbedingt beendet werden. Es zeigt sich, dass mit dem faulen Kompromiss zu Paragraph 219a StGB die ohnehin schon beständig schlechter werdende Versorgungslage nicht einmal aufrecht zu erhalten ist – von einer Verbesserung kann keine Rede sein."

Der Prozess beim Landgericht Hamburg beginnt um 10.30 Uhr und ist öffentlich. Um 9.30 Uhr wird vor dem Gerichtsgebäude eine Kundgebung mit Mund-Nasen-Schutz und Einhaltung der Abstandsregeln stattfinden. Kurze Reden werden gehalten seitens des Auschwitz-Komitees, Kersten Artus von Pro Familia Hamburg, sowie von Nora Szász und Kristina Hänel als nach 219a StGB angezeigte Ärztinnen.

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