Notizen aus Polen

Streit um die Zahl der Demonstranten

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WARSCHAU. (hpd) Auch viele deutsche Medien haben über die größte Protestkundgebung in Warschau nach der Wende 1989, die am 7. Mai 2016 durch die polnische Hauptstadt Warschau zog, berichtet. Unser Polen-Korrespondent Andrzej Wendrychowicz schildert einige wenig berücksichtigte Aspekte der Demonstration.

Bis heute dauert Streit um die Anzahl der Demonstranten an. Nach Angaben des Warschauer Rathauses waren es eine Viertelmillion Menschen, die am 7. Mai gegen die Politik der PIS-Regierung protestierten. Die Polizei gab 45.000 an. Das staatliche Fernsehen hat auch auf eigene Faust gerechnet und in den Hauptnachrichten am Montag verkündet: höchsten 45.000. Nach den Nachrichten haben "Experten" die wissenschaftliche Methoden der Zählung der Menschenmenge in Bewegung und im Stehen, pro Minute und pro Quadratmeter erklärt und die Zahl 40-50 Tausend bestätigt.
Die politischen TV-Kommentatoren unterstellten der Bürgermeisterin Warschaus eine gezielte Fälschung der Zahlen, "um den Ruf Polens im Ausland zu schaden".

Bei der Zählung der am gleichen Tag auch in Warschau marschierten Nationalisten sind die Angaben ebenfalls sehr diskrepant. Die Organisatoren und die Polizei haben 4.500 Teilnehmer gesehen, das Rathaus aber nur 2.500. (Die Nationalisten sind die Anhänger und Verbündeten der PiS Regierung.) Es wäre ein fataler Eindruck, wenn bei dieser Gegendemonstration nur 10 Prozent der Anti-PiS-Demonstration auf die Straßen gegangen wären.

Der auf den ersten Blick lächerliche Streit um die Zahlen der Demonstranten hat einen tieferen politischen Hintergrund. Die Regierenden tun alles, um die politische und gesellschaftliche Ruhe zu bewahren. Bald kommen internationale Politiker zum NATO Gipfel nach Polen. Gleich danach besucht anlässlich der "Welttage der katholischen Jugend" in Krakau der Papst das Land. Die Gäste werden unbequeme Fragen stellen, weshalb so viele Polen gegen die PiS-Regierung protestieren. Es ist deshalb nicht egal, ob es Viertelmillion waren oder lediglich einige Tausend.

Das Motto der längst angesagten Kundgebung war: "Wir sind und bleiben in Europa". Um diese Parole zu untergraben, hat Kaczyński mit Nachdruck erklärt, dass die EU-Mitgliedschaft für Polen sehr wichtig ist und diejenigen, die das bestreiten den polnischen Interessen schaden. Seine nähere Umgebung war von diesen Worten erschüttert; war doch die bisherige Rhetorik der regierenden Partei eindeutig EU-feindlich. Die Ministerpräsidentin hat nach ihrem Umzug in den Regierungspalast die EU-Fahne aus ihrem Amtszimmer entfernt. Die vertraute Mitarbeiterin von Kaczyński, Frau Professor Krystyna Pawłowicz, hat die EU-Fahne als "Lappen" bezeichnet. Und plötzlich lieben und brauchen sie alle die Europäische Union? Die Organisatoren der Protestkundgebung haben den Worten Kaczyńskis jedenfalls nicht geglaubt und die Demonstration wurde nicht abgesagt.

Es gibt noch Eines, das die Machthaber sehr beunruhigte: Die bisherigen großen Straßenproteste hat das Komitee zur Verteidigung der Demokratie (KOD) organisiert. Diesmal hat die KOD jedoch ein ad-hoc-Bündnis mit den im Parlament anwesenden Parteien, aber auch mit der außerparlamentarischen Opposition geknüpft und gemeinsam die Demonstration organisiert.

Auf der Bühne vor dem Aufbruch des Marsches und am Ziel haben die führenden Politiker volle Einigung gezeigt und eine gemeinsame Front im Kampf gegen die PiS-Regierung angekündigt. Die Zuschauer haben die Aussprachen von allen Politikern mit Applaus belohnt. Die Polen erwarten von den verfeindeten Parteien und Politikern aus dem Oppositionslager gemeinsames Tun. Und das muss die PiS und Kaczyński ernst beunruhigen.