Soll Ex-Cheflobbyistin der katholischen Kirche OVG-Präsidentin in Nordrhein-Westfalen werden?

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Seit Juni 2021 ist der höchste Posten im Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen vakant.

Die Neubesetzung der höchsten Position des nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgerichts (OVG NRW) gerät immer mehr zur Farce. Zuerst war für den Posten der langjährige Präsident des Düsseldorfer Verwaltungsgerichts im Gespräch, der dort entgegen des Kruzifixbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts im Treppenhaus ein Kreuz anbringen ließ. Aktuell scheint die Favoritin eine Ex-Cheflobbyistin der katholischen Kirche zu sein. Allerdings wurde dem Land Nordrhein-Westfalen vom Verwaltungsgericht Münster (VG Münster) nun die Besetzung der Stelle mit dieser Favoritin untersagt, da das Bewerbungsverfahren nach Auffassung des Gerichts gravierende Unregelmäßigkeiten aufwies.

Statt Andreas Heusch, dem Kreuzpräsidenten des Verwaltungsgerichts Düsseldorf, der als Kandidat gesetzt war, aber zurückzog, jetzt Katharina Jestaedt als OVG-Präsidentin in Nordrhein-Westfalen? Dass sie die aktuelle Favoritin ist, lässt sich aus den anonymisierten Beschreibungen zu ihrem beruflichen Werdegang im aktuellen Urteil des VG Münster zweifelsohne ableiten. Hart geht das Verwaltungsgericht – es gibt noch Richter in Münster – den nordrhein-westfälischen Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) im Konkurrentenstreit der Bewerber an. Der will die  langjährige stellvertretende Leiterin des Katholischen Büros beim Kommissariat der deutschen Bischöfe in Berlin an die Spitze der Verwaltungsgerichtsbarkeit des Landes setzen. Der Minister duzt sie. Ihr Name war bisher tabu. Mit dem Gerichtsbeschluss kommt nun das Politische ans Tageslicht und man begreift, warum Limbach über Personalangelegenheiten nicht in der Öffentlichkeit reden mag.

Seine Favoritin war 2011 bis 2020 als Landesbeamtin (Ministerialrätin B2) vom Landesjustizministerium der Kirche zugewiesen. Nach dem Beamtenrecht ist das möglich, wenn ein dienstliches Bedürfnis dafür besteht. Sie behielt so ihren Beamtenstatus trotz des Arbeitsvertrages mit der katholischen Kirche. Das Verwaltungsgericht  äußert seine Zweifel daran, ob in einem weltanschaulich neutralen Staat diese komfortable Weitergabe der Ministerialbeamtin an eine Kirche rechtmäßig war. Limbach begründet nun aber  in seiner Auswahlentscheidung den "Eignungsvorsprung" von Frau Jestaedt maßgeblich unter Bezug auf ein Arbeitszeugnis des leitenden Prälaten beim Kommissariat. Das Gericht kritisiert das deutlich.  

Bei den Bischöfen war sie die Cheflobbyistin des deutschen Katholizismus. Dem für Limbach ausdrucksstarken Arbeitszeugnis zufolge hat sie ihren Aufgabenbereich offenbar zur vollsten Zufriedenheit der Kirche erfüllt. Wahrscheinlich konnte die Christdemokratin an ihre Berufsanfänge beim Presse- und Informationsamt des Bundes und im Kanzleramt anknüpfen. Zu politischen und rechtlichen Streitfragen gab sie Stellungnahmen für ihre Kirche ab. Der Fortbestand des Werbeverbots für Abtreibungen zum Beispiel war für sie ein Anliegen des Lebensschutzes. Im Missbrauchsskandal setzte sie sich für Aufklärung und Wiedergutmachung ein. Verdienstvoll für manche, aber doch nur ethisches Minimum: für jede Richterin unerlässlich und selbstverständlich, aber kein besonderes Qualifikationsmerkmal für ein Spitzenamt der Justiz.

Nach ihrer Berliner Zeit kehrte sie nicht in die Justiz oder ins Justizministerium zurück, sondern als Beamtin ins Innenministerium, wo ihr binnen kurzer Zeit ein kometenhafter Aufstieg zur Ministerialdirigentin B7, Abteilungsleiterin für Digitales und Cybersicherheit, gelang. Wo und wie sie auf ihrem Berufsweg dafür Kompetenz erworben hat, bleibt im Dunkeln. Richterliche Tätigkeit am OVG – für eine Präsidentin doch nicht unerheblich – bringt sie kaum mit. Das jedenfalls lässt sich aus einer Aussage des Präsidialrats schließen, dem richterlichen Mitbestimmungsorgan im Besetzungsverfahren, der allgemein kritisiert, dass niemand im Bewerberkreis mehr als fünf Jahre Berufserfahrung am OVG habe.

Nach eigentlich abgeschlossenem Bewerberverfahren mit, wie der Präsidialrat anmerkt, mehreren hervorragend geeigneten Bewerbern, von denen sich Amtsvorgänger Biesenbach bereits für einen entschieden hatte, bricht Limbach als neuer Minister das Verfahren ab, manipuliert, schreibt neu aus, ermuntert Frau Jestaedt offenbar im persönlichen Gespräch beim Abendessen zu einer Bewerbung und begründet sodann ihre Favoritenstellung mit rechtswidrigen Überbeurteilungen, und im Kern haltlosen Auswahlerwägungen, unter anderem aus dem kirchlichen Arbeitszeugnis, so das Verwaltungsgericht.

Der grüne Justizminister will an der Spitze der Verwaltungsjustiz eine Frau haben, die kaum ausreichende berufliche Erfahrung an einem Obergericht oder im Justizmanagement mitbringt, sondern in den prägenden Jahren ihrer bisherigen beruflichen Karriere religiöse Lobbyistin war. Dem Anforderungsprofil für ein Spitzenamt in einer weltanschaulich neutralen Justiz wird das nicht gerecht. Ministerpräsident Wüst und der CDU dürfte das dennoch gefallen. Auch den Grünen? Viele grüne Frauen, Mitglieder und Wählerinnen, würden eine OVG-Präsidentin, die ärztliche Informationen über die Möglichkeit von Abtreibungen bestraft sehen will, als Zumutung empfinden. Ist die Freiheit von Frauen, über eine Schwangerschaft selbst zu bestimmen, für die Grünen kein politisches Anliegen mehr?

Bei Benjamin Limbach scheint der Apfel etwas zu weit vom Stamm gefallen zu sein. Ein Rücktritt wird an der Loyalität und Zustimmung der christlichen Koalitionspartner scheitern, und daran, dass die Grünen, so stand es auf ihren Wahlplakaten, "bereit" sind, zu allem.

Vielleicht gibt es nun auch aus der SPD bei aller Kritik an Limbach eine Erklärung dazu, warum Thomas Kutschaty als Justizminister damals bereitwillig ein dienstliches Interesse in der Expedition von Frau Jestaedt zu den Bischöfen sah. 

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