Ein Talk der Friedrich-Naumann-Stiftung

Wenn Staat und Kirche(n) zu eng verbandelt sind

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Ist die enge Verbindung von Staat und Glaubensgemeinschaften noch zeitgemäß? Angesichts der schwindenden Bedeutung der Kirchen stellt sich diese Frage mit zunehmender Dringlichkeit, zumal säkular-humanistische Überzeugungen, aber auch nicht christliche Religionen in der Gesellschaft an Einfluss gewinnen. Für Aufsehen sorgt etwa die neu gegründete, islamisch geprägte Wählervereinigung DAVA, die im Juni als Partei zur Europawahl antreten will.

Das Landesbüro NRW der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung hat das Großthema am vergangenen Montag in einem Online-Talk aufgegriffen. Bezeichnenderweise gehörten beide Diskutierende dem kirchlichen Lager an – das seit 2023 weniger als die Hälfte der Bevölkerung repräsentiert, Tendenz sinkend.

Auf der einen Seite Dr. Anne Gidion, Bevollmächtigte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bei der Bundesrepublik Deutschland und der EU. Auf der anderen Seite der katholische Kirchenrechtler Prof. Dr. Thomas Schüller von der Uni Münster, der eine stärkere Trennung von Staat und Glaubensgemeinschaften fordert. Sein Buch "Unheilige Allianzen" war Inspiration für den Titel der Veranstaltung.

Die darin skizzierten Missstände sind säkularen Beobachtern nur allzu bekannt: Obgleich die Trennung von Staat und Glaubensgemeinschaften in der Verfassung steht, genießen die Kirchen dennoch besondere Privilegien wie Subventionen, Steuervorteile, ein eigenes Arbeitsrecht und einen festen Platz im Bildungssystem. Relikte aus einer Zeit, als noch der überwiegende Teil der Bevölkerung den Kirchen angehörte. Grundsätzlich ein Win-Win-Modell für Staat und Kirchen, sagt Schüller. Doch die Mehrheitsverhältnisse haben sich drastisch verschoben, zudem zeigt der Missbrauchsskandal mit seiner Vertuschungspraxis, welche Probleme entstehen, wenn Kirchen als "Staat im Staat" agieren. Angesichts dieser Entwicklungen sieht er die Kirchen in der Pflicht zum Wandel. Ob sie stattdessen weiter in ihrem "komatösen Zustand" verharren, bleibe ihre Entscheidung.

Mit seiner Diskussionspartnerin Anne Gidion ist Schüller einig, dass sich die Gesellschaft in einer Übergangssituation befindet. Allerdings sieht sie Staat und Kirchen bereits mitten im Dialog, in einer "reifen Beziehungsdiskussion", wie in einer großen WG zur Klärung des Gemeinwohls. Ein kooperatives Verhältnis, das stetig neu ausgehandelt werde.

Aus Sicht der Kirchen wäre das wohl wünschenswert. Die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung von November 2023 zeigt ihren rasanten Bedeutungsschwund in der Bevölkerung. Dabei zeigte sich auch ein scheinbarer Widerspruch: Man traut den Kirchen als Institution wenig zu, schätzt aber deren soziales Engagement, etwa in Caritas und Diakonie. Indes ist fraglich, ob sie das gegenwärtige Angebot auch künftig aufrechterhalten werden. Deshalb appellierte Schüller an die Kirchen, mögliche Kooperationen mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren zu prüfen. Da eine größere Diversität auf diesem Gebiet ohnehin gesetzlich vorgeschrieben ist, forderte er auch die Politik auf: "Sorgt dafür, dass ihr diese Trägerlandschaft so gestaltet, dass sich die Bevölkerung abgebildet sieht." Um umfangreiche Bevölkerungsgruppen als Akteure zu gewinnen, fordert Schüller die Schaffung neuer Strukturen, die nicht vom christlichen Mitgliedsverständnis ausgehen. Dabei sei es unabdingbar, auch auf die große Gruppe der islamischen Gläubigen einzugehen, wie auch Gidion betonte – obgleich die Kirchen dann ihre Privilegien und Subventionen teilen müsste.

Dass viele Aspekte im Verhältnis von Staat und Glaubensgemeinschaften im Rahmen des gut einstündigen Abend-Talks nur angeschnitten wurden, versteht sich von selbst. Etwa die Ablösung der Staatsleistungen, die beide Diskussionspartner wünschten, aber noch nicht in dieser Legislaturperiode erwarteten. Aus säkularer Sicht bleibt festzuhalten, dass die Debatte durchaus Anknüpfungspunkte für einen weiterführenden Dialog mit Akteuren ohne Glaubensbindung bot. Gewiss, bis in der Diskussion weltanschaulich neutrale Alternativen zum Religionsunterricht als flächendeckende Alternative wahrgenommen werden, braucht es wohl noch einige Zeit. So gilt bei manchen die Weitergabe von Glaubensinhalten in der Schule immer noch als notwendig für die Vermittlung von ethischen Werten, und auch im Gespräch beschränkten sich die Überlegungen zu Innovationen weitgehend auf ökumenische Unterrichtsmodelle. Dennoch stimmt es hoffnungsvoll, wenn Thomas Schüller von Gesprächen mit Atheisten und Humanisten berichtet, bei denen er sich in Wertefragen durchaus wiedergefunden habe.

Bleibt die Frage, mit der auch der Moderator Meinard Schmidt-Degenhard das Gespräch beendete: Wofür braucht eine Gesellschaft eigentlich Religionen?

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