Interview

Viele X-Kreuze für Söders Kreuzerlass

Zur neuen Kunstaktion "Kreuz der Vielfalt" hat der hpd ein Interview mit Lutz Neumann geführt. Er berichtet über das Gemeinschaftswerk mit David Farago ("11. Gebot"), die Motivation und das Ziel, möglichst viele X-Kreuze für Söders Kreuzerlass zu verbreiten.

hpd: Was ist das "Kreuz der Vielfalt", das im Rahmen der neuen Kunstaktion gezeigt wird?

Lutz Neumann: Unser "Kreuz der Vielfalt" zeigt verschiedene Piktogramme aus der vielfältigen Geschichte und Kultur Bayerns in der Form eines X-Kreuzes. Es ist inspiriert vom sogenannten Kreuzerlass.

Worum handelt es sich beim Kreuzerlass?

Der CSU-Politiker Markus Söder hatte als eine seiner ersten Amtshandlungen als bayerischer Ministerpräsident im Jahr 2018 verfügt, dass im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns gut sichtbar ein Kreuz anzubringen ist. Das ist der "Kreuzerlass" laut Paragraf 28 AGO, der Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayern.

Zur Umsetzung des Kreuzerlasses hängte Söder bei einem Pressefototermin ein katholisch geweihtes und evangelisch gesegnetes Kreuz im Eingangsbereich der Staatskanzlei auf. Bei diesem Kreuz mit Reliefs aus christlicher Symbolik handelte es sich um ein Geschenk von Kardinal Friedrich Wetter. Dieser Kardinal war einer der notorischen Vertuscher des jahrzehntelangen sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen. Beides interessierte Söder offenbar nicht. Er meinte beim Aufhängen sogar – vermutlich auf Anraten seiner Juristen –, dass dieses Kreuz "nicht ein Zeichen einer Religion" sei.

Gegen den ansonsten meist christlich gelesenen Kreuzerlass regte sich vielfach Kritik und es wurde vor Gericht Klage gegen die bayerische Staatsregierung eingereicht. Daraus resultierte dann ein mehrjähriger Rechtsstreit, in dem sie in allen Instanzen recht bekam. Die Gerichte ließen sich auf die Argumentation von Söder ein, dass das Kreuz keine Identifikation mit dem christlichen Glauben darstelle. Nach dem jüngsten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts schrieb hingegen Söder selbst auf X, vormals Twitter, dass er das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts begrüße, denn das Kreuz sei ein Zeichen der christlichen Prägung Bayerns. Kürzlich gab der Bund für Geistesfreiheit München bekannt, dass sich der Streit vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe fortsetzen wird.

Der frühere Bundesverfassungsrichter Dieter Grimm und viele andere sagen, dass Söders Kreuzerlass verfassungswidrig sei. Warum also nicht einfach ignorieren oder auf den Entscheid des Bundesverfassungsgerichts warten?

Es gibt gute Gründe für die Annahme, dass Söders Kreuzerlass in Karlsruhe scheitern wird. "So ist es gute bayerische Tradition", meinte sarkastisch pointiert der rechtspolitische Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, Ronen Steinke. Es bleibt allerdings eine Restunsicherheit und es ist abzuwarten, wann sich die Verfassungsrichter mit dem Fall befassen. Das kann jahrelang dauern. In dieser misslichen Gesamtlage war eine neue Lösung zur Ausgestaltung des Kreuzerlasses gefragt.

Wie ist die Idee zur Kunstaktion "Kreuz der Vielfalt" entstanden?

Die Idee ist ein Gemeinschaftswerk mit dem Augsburger Aktionskünstler David Farago von der Aktionsgruppe "11. Gebot". Ich sondiere derzeit einige Ideen für das neue Projekt "Artikel 140" zur Stärkung säkularer Politik und sprach David an, ob aus seiner bayerischen Sicht die Idee eines X-Kreuzes als "Kreuz der Vielfalt" der säkularen Sache und der Geltung des Grundgesetzes unter Söder zuträglich sein könnte. Er reagierte sofort positiv. In einem gut zweistündigen Telefonat mit ihm durfte ich ein tolles kreatives Wechselspiel erleben. Neue Ideen zur Gestaltung der Kunstaktion flogen zwischen uns nur so hin und her. Die anfänglich grobe Skizze des X-Kreuzes nahm Form an. Im Handumdrehen entstand ein Aktionsplan. Als Schreinermeister hatte er Holzlatten und Leim gleich griffbereit und war sofort voller Schaffensdrang, mit der Produktion von X-Kreuzen für ein paar ausgewählte Dienstgebäude und mit der praktischen Planung der Aktionen loszulegen.

Zum Kern der Idee gehört: Das "Kreuz der Vielfalt" in X-Form erlaubt eine rechtssichere Ausgestaltung der Eingangsbereiche bayerischer Dienstgebäude, ohne den Staat mit nur einer Religion zu identifizieren und ohne andere auszugrenzen. Ein Grafikbüro hat dann ein X-Kreuz als Druckvorlage mit schöner, klarer Linie erstellt. Unsere Erstfassung zeigt 13 Piktogramme. Im Zentrum steht das Porträt des Schöpfers des Kreuzerlasses: Ministerpräsident Markus Söder. Auf den Schenkeln befinden sich zwölf weitere Piktogramme. David nennt sie auch die "zwölf Apostel der Vielfalt". In alphabetischer Reihenfolge sind es die Symbole für Atheismus, Bierkrug, Brezen, buddhistisches Rad des Gesetzes, christliches Langkreuz, Davidstern, Fliegendes Spaghettimonster, Fußball, Happy Humanist, islamischer Halbmond, Weißwürste und das vielen Bayern aus dem Yoga bekannte daoistische Yin und Yang.

Wie ist die Resonanz auf diese Auswahl?

Bislang fand diese Mischung hohe Akzeptanz. Aber sie ist nicht in Stein gemeißelt. Das X ist für eine agile und dynamische Nutzung mit anderen Piktogrammen offen. So können ortsbezogen Symbole getauscht oder noch weitere Symbole aufgenommen werden, je nachdem was der lokale dekorative Symbolkanon mit geschichtlichem, kulturellem und religiösem Bezug wünschenswert erscheinen lässt.

Was ist das konkrete Ziel der Aktion?

Wir schließen uns dem Ziel der bayerischen Staatsregierung an. Zur Einführung des Kreuzerlasses wurde als Ziel ausgegeben: "Je mehr Kreuze, desto besser." Mit den X-Kreuzen wollen wir – quantitativ betrachtet – auf konstruktive Weise zu diesem Ziel beitragen.

Und qualitativ betrachtet?

Wir wollen mithelfen, die vom Kreuzerlass ausgelösten Folgen von "Spaltung, Unruhe, Gegeneinander" (Zitat: Reinhard Kardinal Marx) zu heilen und die "Bevorzugung der christlichen Religion gegenüber anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften" (Zitat: Bund für Geistesfreiheit München) zu überwinden.

Wir verstehen unser Gemeinschaftswerk als historisch rezeptive, soziokulturelle Aktionskunst mit agilen politisch-religionspädagogischen Ansätzen. Denn die Aktion wirbt letztlich für den säkularen Staat, der das Neutralitätsgebot des Grundgesetzes achtet. So wenig wie wir unter einem christdemokratischen beziehungsweise christlich-sozialen Ministerpräsidenten eine Pflicht zur Anbringung von Kreuzen in Dienstgebäuden sehen wollen, so wenig wollen wir unter einem islamisch-demokratischen Ministerpräsidenten Behördengänge unter einem islamischen Halbmond erledigen müssen. Dieses Gedankenspiel sei Söder und seinen Kreuzerlass-Juristen nahegelegt. Wir bewegen uns dabei streng im Rahmen der Rechtsvorschrift von Paragraf 28 AGO.

Die Aktion soll idealerweise gesamtgesellschaftlich integrativ im Sinne eines weltoffenen Bayerns und eines weltanschaulich neutralen Staats wirken – solange Paragraf 28 AGO fortbesteht. Wir werden mit der Zeit sehen, ob unsere Kunstaktion vielleicht auch dazu beiträgt, dass zukünftig beim X-Kreuz anstelle des veralteten Begriffes des Andreaskreuzes auch vom "Markuskreuz" oder örtlich in Franken vom "Magguskreuz" gesprochen wird. Mit dieser Begriffsverschiebung könnte zugleich mahnend an die verfassungswidrige Phase der Identitäts- und Religionspolitik Söders erinnert werden. Ich hörte auch schon des Öfteren den Begriff "Söderkreuz".

Wie wird die Kunstaktion von der CSU und ihrem Ministerpräsidenten gesehen?

Ich vermute, recht positiv. Wir haben die Kunstaktion sogar unter das offizielle Motto der CSU gestellt: "Näher am Menschen".

Von Ministerpräsident Söder erwarten wir jede gebotene Unterstützung bei der Aufhängung von X-Kreuzen. Bereits vor geraumer Zeit hat er seine Toleranz dahingehend öffentlich bekräftigt, dass die Umsetzung seines Kreuzerlasses von ihm nicht kontrolliert werde und liberal erfolge.

Hängen denn schon X-Kreuze in Amtsstuben?

Zu dieser Frage möchten wir uns zurückhalten und verweisen an die zuständigen Behördenleitungen und ihre Pressestellen. Wir halten es für eine interessante Frage, ob Söder beziehungsweise die Staatsregierung wissen, wie viele "Kreuze der Vielfalt" in Form von X-Kreuzen in Eingangsbereichen bayerischer Dienstgebäude bereits angebracht sind.

Was ist geplant?

Wir setzen unseren Aktionsplan Schritt für Schritt um. Abgesehen von den Dingen, die in manchen Behörden von selbst geschehen, werde ich mich um die strategische Flankierung kümmern und Allianzen mit gesellschaftlichen Gruppen aufbauen. Auf der Website kreuzerlass.bayern haben wir die X-Kreuz-Grafik frei verfügbar veröffentlicht. Sie kann von anderen für eigene Aktivitäten genutzt werden. Aktuell hat der Online-Shop "Denkladen" des Alibri Verlags Aufkleber mit X-Kreuzen in sein Sortiment aufgenommen.

Unter der Ägide von David Farago wird es großartige Aktionskunst in Bayern geben, sobald die Temperaturen für Außenaktivitäten konstant hoch genug sind. In den nächsten Wochen dürften einige sehr schöne Geschichten und Bilder entstehen. Dazu wird er selber zu gegebener Zeit mehr berichten.

Wie lange soll die Kunstaktion dauern?

Wir haben die Aktion an dem "Solange-Diktum" ausgerichtet, das in der säkularen Politik im Umgang mit der Bevorzugung der Kirchen und der christlichen Religion bekannt ist. Das Diktum lautet angewendet auf den Kreuzerlass: Solange Söders Kreuzerlass nach Paragraf 28 AGO mit der Anbringung von christlich gelesenen Kreuzen in Dienstgebäuden fortbesteht, werden wir mit dem vielfältig gelesenen X-Kreuz weitermachen.

Die Initiatoren der Kunstaktion weisen aus rechtlichen Gründen darauf hin, dass das Anbringen von X-Holzkreuzen in den Eingangsbereichen von Dienstgebäuden, von Aufklebern bedruckt mit X-Kreuzen an Türen, Fenstern oder Wänden von Dienstgebäuden oder die Projektion von X-Kreuzen auf Außenflächen von Dienstgebäuden ggf. einer Genehmigung bedarf. Es ist gleichwohl ausdrücklich erwünscht, Fotos von X-Kreuzen in den Sozialen Medien unter dem Hashtag "#kreuzerlass" zu teilen und besonders relevante Bilder dem freien Medienarchiv Wikimedia Commons zur Verfügung zu stellen.

Die Kunstaktion wird gefördert von der Giordano-Bruno-Stiftung.


Hinweis der Redaktion: Der dritte Absatz nach der zweiten Frage wurde überarbeitet.

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