Herrlich absurd: Ralf Königs Antityp

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Antityp. Rowohlt 2010

(hpd) Nach Prototyp und Archetyp nun Antityp: Ralf König beendet seine Trilogie eigenwilliger Interpretationen biblischer Geschichten mit dem sperrigen Propheten Paulus. Man liest und guckt und wundert sich, wie dieser kleine vergrätzte Typ, offensichtlich ein Wahnsinniger, es schaffte, dem Christentum den Weg zu ebnen. Andererseits...

Der Saul fällt vom Gaul und wird zu Paul: Aus dem hasserfüllten Christenverfolger wird nach einem Sturz vom Pferd ein glühender Prophet der Lust- und Lebensfeindlichkeit. Der den Lesern der ersten beiden Teile vertraute Schlangerich Luz ist es, welcher ihm in der sturzbedingten Umnachtung und auch fortan zuweilen einflüstert, was er zu tun habe und dass er, Saul/Paul, von Gott einen Job hat. Denn er sei klein und vergrätzt, stecke in der Sinnkrise, habe Panik vor dem Tod, verachte das Leben, sei komplett humorlos und habe keinen Sex: „Wie viele Menschen du erreichen könntest!“

Auf seinem Weg, der ihn am Ende nach Athen führen wird, besucht der Seitenwechsler Apostel Petrus und die anderen Apostel, welche ihm die Geschichte der Wiederauferstehung womöglich nur aufbinden, um sich den giftigen Grantler vom Hals zu schaffen. Maria hatte keine Ahnung, dass sie die Mutter Gottes ist, ja: „Wer ist Gott?“, fragt sie verblüfft, was ihr angesichts ihrer unverschleierten Haare ein keifendes Gezeter des Gastes einträgt. Derlei und viel mehr an fundamentalen Ungewissheiten, Infragestellungen und Doppelbödigkeiten liefert König in Wort und Schrift. Er hat Paulus’ Werdegang mühevoll in Etappen rekonstruiert und sich durch die tatsächlichen Äußerungen des wirren Propheten gequält, an denen wir in des Apostels Sprechblasen teilhaben können. Ein Engelschor und Luz kommentieren von Zeit zu Zeit die Ereignisse.

Kokolores: Theologie vom Feinsten

Auf seiner Missionsreise predigt der Auserwählte den Heiden und Juden, die ihn auspeitschen, steinigen, verprügeln und ins Gefängnis werfen. Einige seiner Zuschauer halten ihn für einen unterhaltsamen Komiker, über den sie sich köstlich amüsieren. Möglicherweise genießt er sein Martyrium. Durch nichts lässt er sich beirren. Jesus Christus war Gott und dessen Sohn, der aus dem Grabe stieg und zum Himmel auffuhr. Frauen sollen mal ruhig sein und sich verhüllen. Und keiner darf Sex haben. Spaß auch nicht. Luz hält außerdem seinen Brief an die Kokoloren – stammt daher der Begriff Kokolores? – für „kein Blech. Im Gegenteil, das ist Theologie vom Feinsten! Nicht mal Jesus hätte kapiert, was du meinst!“ Selbst Gott persönlich (wie gewohnt in Fraktur) hat keine Chance, seine Propheten etwas aufzulockern, auch nicht Moses, der Stimmen gehört und sich das mit den Gesetzen eingebildet haben soll. Lockerheit? Stimmen hören? Derartiges kann Paulus ebenfalls nicht dulden!

In Athen herrschen ein fideles Völkchen, offene Gesellschaft und Demokratie, Philosophie und Austausch von Meinungen, Lust und Laune. Ah! Diese Diskrepanz zwischen den lustvollen, strammen Kerlen und dem kleinen vergrätzten Antitypen! Und es gibt auch noch eine „Buskampagne“, den Running Gag Gyros mit Tzatziki sowie das Wort zum Sonntag. Zum Schluss trägt Paulus auf einem Athener Philosophenkongress auf dem Areopag den anwesenden Epikureern und Stoikern seinen absurden Ansatz vor, ausgestattet mit einer von einer Narrenkappe zur Mitra umfunktionierten Kopfbedeckung (hehe), einem Hirtenstab und einer Robe.

Antityp glänzt mit genialen Einfällen und Details. Die Lektüre bedarf allerdings der Konzentration, denn der illustre Comiczeichner bietet philosophisch, historisch, menschlich und – selbstredend – zeichnerisch Einiges auf. En passant wird die Absurdität der Lehre von Jesus als Erlöser vorgeführt. Unglaublich, dass dieses cholerische, wirre Geschreibsel des Paulus obsiegte über die griechische Philosophie, deren Lust- und Lebensfreude, Klarheit und Klugheit. Und doch... „Dass die Vernunft dies nicht erlaube, war damals auch der Griechen Glaube“, schließt König.
 

Fiona Lorenz

 

Ralf König: Antityp. Erscheint heute (17. September 2010) bei Rowohlt. 144 Seiten, Hardcover, 16,95 EUR, ISBN 978-3-49803-551-8.

Premiere: Am kommenden Sonntag, 19. September 2010, stellt Ralf König sein neues Buch bei der Giordano-Bruno-Stiftung in Mastershausen vor. Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung ist aufgrund der beschränkten Sitzplätze erforderlich (Tel: 06545 910286, Fax: 06545 910287)

 

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