Für Integration, gegen Islamismus

(hpd) Die Journalistin Alice Schwarzer veröffentlicht zuvor bereits in der Zeitschrift „Emma“ erschienene Texte, welche sich vor allem gegen die Diskriminierung von Frauen in den islamischen Gesellschaften wenden. Trotz mancher emotionalen Töne und polemischen Überspitzung – welche aber häufig durch die Sache gut begründbar ist – handelt es sich um einen beachtens- und diskussionswerten Sammelband.

Die Bedrohung von Demokratie und Menschenrechten durch den Islamismus ist vor dem 11. September 2001 in den westlichen Ländern kaum zur Kenntnis genommen worden. Eine der wenigen politischen Akteure, die hier frühzeitig krische Aufmerksamkeit bewies, war die Frauenbewegung. Auch in Deutschland machte die von Alice Schwarzer herausgegebene Zeitschrift “Emma“ immer wieder auf die Frauendiskriminierung in islamisch geprägten Ländern aufmerksam. Daran änderte sich bis in die Gegenwart hinein nichts. Ganz im Gegenteil: Kritisches Interesse fand nun auch die Situation der Muslima in Deutschland und dem europäischen Ausland. Dies bezeugen die Beiträge des Sammelbandes „Die große Verschleierung. Für Integration, gegen Islamismus“, der von Alice Schwarzer auf Basis von zuvor in „Emma“ erschienenen Artikeln herausgegeben wurde. Bereits in der Einleitung formuliert sie als eine Kernposition: „Das Kopftuch ist seit dem Sieg Khomeinis im Iran 1979 weltweit die Flagge der Islamisten“ (S. 15).

Zunächst geht es aber in der Rubrik „Mitten in Europa“ um eine kritische Bestandsaufnahme, wobei auf die unterschiedlichsten Aspekte des Lebens von Muslimen hingewiesen wird. Schwarzer bemerkt etwa über die Ergebnisse einer empirischen Studie zur geringen Verbreitung des Kopftuchs bei gläubigen Muslima in Deutschland: „Was im Gegensatz steht zu der Behauptung islamischer Funktionäre, für die Muslimin sei Religiosität zwangsläufig mit dem Tragen eines Kopftuches verbunden“ (S. 20). In einer ganzen Reihe von Texten wird auch vor der Gewährung von Ausnahmerechten für Muslime gewarnt. Die Islamwissenschaftlerin Rita Breuer macht diesbezüglich auf die Folgen für Frauen aufmerksam: „Die hierzulande herrschende übertriebene Bereitschaft zu Sonderregelungen für Muslime führt zur Teilung von Rechten, die für alle gelten sollten: zur Benachteiligung muslimischer Mädchen und Frauen und zur Förderung parallelgesellschaftlicher Strukturen, die so manches Mal gerne in Kauf genommen ... werden“ (S. 48).

Der zweite Teil „Sie sagten nein!“ enthält Selbstzeugnisse von ehemaligen Muslima, die aufgrund der Erfahrung von Frauendiskriminierung mit ihren bisherigen sozialen Kontexten brachen. Exemplarisch dafür steht die Aussage der Publizistin Djemila Benhabib: „Ich muss Ihnen gestehen, dass ich nicht Feministin und Laizistin aus Neigung bin, ich bin es aus Notwendigkeit, gezwungenermaßen, aus leidvoller Erfahrung“ (S. 114). Besondere Aufmerksamkeit erhalten danach „Die Konvertitinnen“, wobei auch zwei anonyme Stellungnahmen abgedruckt werden, und das „Exempel Frankreich“, wofür das Kopftuch-Verbot auch als Erfolg gewürdigt wird. Und schließlich enthält der letzte Teil „Sind sie verloren?“ Berichte zur Situation von Frauen in Afghanistan, dem Irak und dem Iran. Ganz zum Schluss wird noch ein Artikel von Schwarzer aus dem Jahr 1979 nachgedruckt. Darin bemerkte sie über den Schleier: „Einst Zeichen des Kampfes gegen die Zwangsverwestlichung ist er jetzt Zeichen einer neuen Unterwerfung“ (S. 303).

Der Band enthält 30 bereits zuvor gedruckte kürzere Artikel, die sich mehr als journalistische Essays und nicht als systematische Abhandlungen verstehen. Gleichwohl enthalten sie eine Fülle von beachtenswerten Informationen und Thesen zur kritischen Auseinandersetzung. Dies bezieht sich nicht nur auf die Ausführungen zu Frauenunterdrückung und Islamismus, sondern auch auf deren Fehlwahrnehmung oder Ignoranz von anderer Seite. In diesem Kontext formuliert vor allem Schwarzer zutreffende Kritik an Linken und Menschenrechtsorganisationen. Bezüglich des Kopftuchs wird allerdings etwas zu oberflächlich argumentiert: Es mag objektiv ein Symbol für den Islamismus sein, subjektiv sehen dies Frauen wohlmöglich anders. Schwarzer weist auf diese Problematik im Sinne von „subjektiven Motiven/objektiver Bedeutung“ (S. 232) hin, benennt aber keinen praktischen Weg für eine mögliche rechtliche Umsetzung eines Kopftuch-Verbots. Wie soll diese Forderung ohne Verletzung von anderen Grundrechten umgesetzt werden?

In anderen Fällen könnten Veränderungen weitaus einfacher erfolgen. So macht etwa Breuer auf folgenden Sachverhalt aufmerksam: „Notare betreuen mitten in Deutschland Testamente nach islamischem Erbrecht mit deutlicher Benachteiligung der Mädchen, und Gerichte wenden zum Nachteil der Frauen Elemente des islamischen Scheidungs- und Sorgerechts an“ (S. 73). Angesichts solcher Gegebenheiten besteht Handlungsbedarf, und die dafür relevanten rechtlichen Möglichkeiten bestehen eindeutig. In manchen Artikeln des Sammelbandes irritieren emotionale Töne und polemische Überspitzungen – wobei es dafür angesichts der Situation nicht nur von Frauen gute Gründe gibt. Ärgerlich ist, dass sich manche Autorinnen auf dubiose Quellen wie den Buchautor Hans Peter Raddatz (S. 84) oder das angebliche „Institut für Faschismusforschung“ (S. 214) stützen. Mehr moralische Überzeugungskraft würde darüber hinaus das Anliegen gewinnen, wenn die Autorin und Herausgeberin keine Werbung für ein frauendiskriminierendes und sexistisches Boulevardblatt machte.

Armin Pfahl-Traughber

 

Alice Schwarzer (Hrsg.), Die große Verschleierung. Für Integration, gegen Islamismus, Köln 2010 (Verlag Kiepenheuer & Witsch), 318 S., 9,95 €